Heil und Sieg und fette Beute

Gabriele Tergits Roman „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ in der Originalfassung

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gabriele Tergit, eine der wichtigsten Journalistinnen der Weimarer Republik, hat mit ihrem Roman „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ der eignen Zunft ein hinreißend ironisches Denkmal gesetzt. Die Gerichts- und Feuilletonradakteurin des „Berliner Tageblatts“ hat den Berliner Presse- und Kulturbetrieb der späten Weimarer Republik so treffend porträtiert, dass der 1931 erschienene Roman nicht nur ein großer Publikumserfolg, sondern besonders von ihren Kollegen als Schlüsselroman eingestuft wurde; jene machten sich auch bald daran, die realen Personen hinter Tergits fiktiven Charakteren zu entdecken. Sonderlich weit kamen sie damit nicht, denn Tergits Charaktere besitzen ein starkes Eigenleben, sind aber gleichzeitig auch typisch für das Berlin ihrer Zeit. Die Redakteure der „Berliner Rundschau“, die im Mittelpunkt des Romans stehen, haben nur entfernte Ähnlichkeit mit denen von der eigenen Zeitung Tergits, dem gutbürgerlichen „Berliner Tageblatt“, das zum jüdischen Verlagshaus Mosse gehörte. Die Zeitung im Roman ist nicht ganz so vornehm, ihre Redakteure Miermann, Gohlisch, Augur und Fräulein Dr. Kohler sind jedoch gute humanistisch gebildete Liberale. Das Bürgertum hat materiell und ideologisch keinen leichten Stand, obwohl die Handlung noch vor dem großen Börsenkrach von 1929 einsetzt. Verunsichert ist auch der Literat Otto Lambeck, der eigentlich mit der Moderne und ihrem Symbol Berlin eigentlich wenig anfangen kann, sich aber trotzdem von der Leitung der „Berliner Rundschau“ überreden lässt, eine Serie von Essays über die Hauptstadt zu schreiben. Als ihm dazu rein gar nichts einfällt, lässt er sich von dem intriganten Opportunisten Frächter überreden, dem Volkssänger Käsebier einen Artikel zu widmen. Die Tatsache, dass ein berühmter Schriftsteller im Feuilleton ein Loblied auf einen populären Barden singt, lässt die Unterhaltungsindustrie aufmerksam werden, die Käsebier in Folge zum Objekt einer gigantischen Publicity- und Vermarktungsoffensive macht. Der schlichte Sänger wird zum Objekt komplizierter Spekulationen, die keine Chance haben, den Börsencrash zu überleben. Das Zerplatzen der Spekulationsblase zieht eine ganze Kette von Katastrophen nach sich, untergräbt die finanzielle Basis der „Berliner Zeitung“ und bringt viele um ihr Erspartes. Am Ende sind einige Protagonisten tot, andere ruiniert, und die „Berliner Zeitung“ wird von Frächter auf den „rechten Kurs“ gebracht. Vermutlich ohne es selbst zu wissen hat Gabriele Tergit in „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“bereits 1931 das Ende der Weimarer Republik als demokratischen Rechtstaat beschrieben, denn im Roman wird ganz deutlich, dass nach 1930 die alten Eliten wieder uneingeschränkt das Sagen haben. Humanismus und Freiheit sind zu überflüssigem Gerümpel geworden, das am Ende des Romans recht drastisch entsorgt wird und auf dem Müllhaufen der Geschichte landet.

Jedoch ist „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ kein politischer Roman im direkten Sinn, zumal die drastischen politischen Ereignisse im Spiegel des Journalistenlebens dargestellt werden. Bei all dem ist Tergits Beschreibung weitgehend unsentimental und ironisch distanziert. Obwohl ihr Roman eigentlich die Neue Sachlichkeit in Bestform repräsentiert, hat er bisher von der germanistischen Literaturwissenschaft wenig Aufmerksamkeit erhalten, wurde er gar in das Ghetto der Frauenliteratur gesteckt. Abgesehen von der Geschlechtszugehörigkeit der Autorin und der Tatsache, dass sich unter ihren Protagonisten auch Frauen befinden, gibt es dafür eigentlich keinen nachvollziehbaren Grund. Tergits Charaktere Fräulein Dr. Kohler und Käte Herzfeld sind zwei sehr unterschiedliche Verkörperungen der Neuen Frau, wie sie für die Ikonographie der Weimarer Republik so typisch ist: Beide sind berufstätig und unverheiratet, damit enden ihre Gemeinsamkeiten aber schon. Während die promovierte Journalistin Kohler hin- und hergerissen ist zwischen den Idealen humanistischer Bürgerlichkeit und dem Zynismus der Nachkriegsgeneration, repräsentiert Käte Herzfeld ganz und gar letztere. Sie scheut sich nicht, ihre Sexualität einzusetzen, um ökonomische Vorteile zu erlangen, und trägt den Abschied von den Wert- und Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts ziemlich demonstrativ zur Schau. Überhaupt scheinen Tergits Charaktere wie die restlichen Berliner jener Jahre nur an dem Einen interessiert gewesen zu sein, „Bett, immer nur Bett“, wie der Schriftsteller Lambeck etwas griesgrämig bemerkt.

Insgesamt ist „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ ein Berlinroman, wie er auch Journalistenroman ist. Wenn es in ihm überhaupt eine Heldin gibt, dann ist es die Stadt Berlin, die in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit und Polyphonie dargestellt wird. Berlinroman und Presseroman sind untrennbar miteinander verwoben, nicht zuletzt durch die Tatsache, dass Tergit mit der schwungvollen Nüchternheit einer guten Journalistin schreibt und immer wieder Fragmente aus ihren Berlin-Feuilletons in den Roman einwebt.

Im Verlag Das Neue Berlin hat jetzt Jens Brüning, der sich um die Wiederentdeckung Tergits vielfach verdient gemacht hat, die Originalfassung des Romans herausgebracht. Dies wird bei den Wissenschaftlern, die bisher über „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“ gearbeitet haben, gelindes Staunen hervorgerufen haben, denn es war kaum bekannt, dass es sich bei der bislang erhältlichen Fassung um eine handelt, die die Autorin 1976 für die Neupublikation überarbeitet hat. Leider erwähnt Brüning in seinem Nachwort nicht, wie stark die ursprüngliche Fassung von der Nachkriegsausgabe abweicht, sondern beschränkt sich, wie meist in seinen Nachworten, auf Anekdotisches. Obschon er nach eigenem Bekunden sogar den Briefwechsel Tergits mit ihrer Lektorin eingesehen hat, teilt er wenig über die Natur der Änderungen und die Intentionen der Autorin mit. Eine Kenntlichmachung der Änderungen oder zumindest eine Liste der Streichungen hätte sich im Anhang gut gemacht. Ein kursorischer Vergleich der beiden Fassungen zeigt jedoch kaum schwerwiegende Unterschiede. Es sind vor allem die Sprüche der Journalisten entschärft worden, die sich 1931 bevorzugt mit „Heil und Sieg und fette Beute“ begrüßen. So erscheinen Tergits fiktionale Kollegen in der Originalfassung etwas frivoler und zynischer als in der Ausgabe letzter Hand.

Ob es sich um die alte oder neue Ausgabe handelt, „Käsebier erobert den Kurfürstendamm“wären mehr Leser und besonders mehr Aufmerksamkeit von germanistischer Seite zu wünschen. Obwohl in vielen Punkten vergleichbar mit den berühmten Berlinporträts von Roth, Brentano oder Kracauer, hebt sich Tergits Roman durchaus von diesen ab: Er ist zwar nicht unkritisch, doch fehlt ihm der Kulturpessimismus, der in der damaligen Berlin-Prosa oft durchklingt. Den legte sich die Autorin erst zu, als sie 1933 vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste.

Nachtrag der Redaktion: Der Beitrag bezieht sich auf die 2004 im Verlag Das Neue Berlin erschienene Ausgabe des Romans (ISBN 9783360012470), die inzwischen vergriffen ist. Hingewiesen wird jetzt nachträglich auf die 2016 erschienene Ausgabe.

Titelbild

Gabriele Tergit: Käsebier erobert den Kurfürstendamm.
Herausgegeben von Nicole Henneberg.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2016.
392 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783895614842

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