Ein Hochstapler auf Lesereise

Martin Suter parodiert den Literaturbetrieb mit einer Liebesgeschichte

Von Evelin UrbanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evelin Urban

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer heutzutage schnulzige Liebesromane schreibt, wird bestimmt kein erfolgreicher Autor werden. Es sei denn, er hat Glück, und ein gefragter Literaturkritiker entdeckt darin die sensationelle Abkehr von der literarischen Postmoderne und betitelt sie als "Das Ende der Knabenwindelprosa".

Genau so ergeht es David Kern, dem jungen Helden aus Martin Suters neuem Roman "Lila, Lila". Nach anfänglichen Schwierigkeiten wird der schüchterne David von der Kritik entdeckt und landet mit seinem gleichnamigen Debütroman einen Bestseller. Doch glücklich macht ihn dieser Erfolg nicht, der Roman stammt nämlich nicht von ihm. Der 23-Jährige ist in Wirklichkeit Kellner in einem Nachtlokal und fand das Manuskript zufällig in der Schublade eines alten Nachtschränkchens, das er beim Trödelhändler gekauft hatte.

"Sophie, Sophie" ist der eigentliche Titel des Romanmanuskripts, und ein Alfred Duster ist der Autor. Die Geschichte spielt in den 50er Jahren und handelt von der unglücklichen Liebe sowie dem traurigen Schicksal eines jungen Pärchens, das durch die Eltern des Mädchens auseinander gebracht wurde - Verrat und Tod sind das folgenschwere Ende. David, ein stiller und einsamer Mitläufer, fühlt sich von diesem über-sentimentalen "Romeo und Julia" der 50er Jahre innerlich berührt. Die Sehnsucht nach der wahren, reinen Liebe wie der beschriebenen wird in ihm wach, denn kurz zuvor hat er sich in Marie verliebt. Leider interessiert sich die schöne Marie nicht für ihn, aber - sie interessiert sich für Literatur! Hoffnungs-witternd beschließt David, das Skript sauber in seinen Computer einzuscannen, Fehler zu korrigieren und es Marie zu lesen zu geben. Er will ja nur wissen, ob sie es auch gut findet, doch da passiert ihm ein fürchterliches Malheur, und statt den Namen des Autors setzt er seinen eigenen Namen unter dem Romantitel ein!

Marie ist tatsächlich begeistert, und David zu feige, die Wahrheit zu gestehen. Was er nicht wissen kann, ist, dass sie ohne sein Einverständnis den Roman an einen Verlag schickt und dieser ihn auch noch annimmt. So werden die beiden prompt ein Liebespaar und der tapsige, bescheidene David landet als ein Hochstapler auf Lesereise, der jeden Tag befürchten muss, dass sein Schwindel auffliegt ...

Der 1948 in Zürich geborene Schriftsteller und Kolumnist Martin Suter kreiert mit "Lila, Lila" einen Unterhaltungsroman. Neben der Liebesgeschichte von Marie und David thematisiert er die Gefühlskonflikte der jungen Generation und liefert eine erfrischend witzige Parodie auf den Literaturbetrieb. In zweiundfünfzig Kapiteln werden die Handlungsstränge von unterschiedlichen Seiten ausgeleuchtet und gekonnt zu einem Ganzen zusammengeführt. Suter, der sich mit seinen Büchern "Small World" (1997), "The Dark Site of the Moon" (2000) oder "Ein perfekter Freund" (2002) stets literarisch ausgewogen zwischen Kriminalroman und Psychothriller bewegt hat, begibt sich mit "Lila, Lila" auf ein neues, jedoch nicht einfaches Gebiet.

Der Roman ist insofern schwer einzuordnen, als er weder eine ausgeprägte Liebesgeschichte enthält, noch die Spannung eines Krimis erzeugt. Der Plot ist eher flach gehalten und teilweise voraussehbar - sprich kein "Suter" im eigentlichen Sinne. Einzig die spitzen Beschreibungen der Verlagsbranche und die Schilderung der Ereignisse auf der Frankfurter Buchmesse erinnern durch ihre satirischen Züge an seine Kolumnen "Business Class" (2000), in denen Suter die "Unternehmungsgötter der Wirtschaftswelt unbarmherzig aufs Korn nimmt".

So bewertete auch die Kritik den neuen Suter eher unentschlossen. Während die einen den routinierten Erzählstil und des Schweizers Exaktheit in der Darstellung der Fakten lobten, bemängelten andere die Leere der handelnden Personen und die zu sehr in die Länge gezogene Erzählung des eher dünn ausgefallenen Stoffes. Dem Autor seien keine Ideen gekommen, und so habe er seine eigene Welt - die Welt eines Schriftstellers beschrieben.

Doch gerade diese Anekdoten von der Lesereise eines Jungautors, der eigentlich keiner ist, machen den Roman lesenswert. Davids Lampenfieber, seine Missgeschicke und Fehltritte bei den Verhandlungen mit Verlagen sind sagenhaft komisch und realitätsnah. Da kann man nur mitleidig werden - was müssen Schriftsteller mitunter alles ertragen! Nicht ganz ohne sind auch die Kommentare von der Buchmesse: "Ich habe mich hier ein wenig umgehört. Du wärst nicht der einzige, der Vorschuss kassiert und nicht liefert." - Wer da wütend wird, ist allerdings selbst betroffen.

"Lila, Lila" ist im Gegensatz zu dem monotonen und kitschigen Roman im Roman, der wie durch ein Wunder zum Beststeller wird, zugleich vielseitig und doch stilistisch nüchtern. Die Geschichte von David ist die Geschichte einer Generation, in der man Erfolg haben muss, um Beachtung zu finden und in der man vorgeben muss, jemand anders zu sein, um geliebt zu werden. Seine Beziehung zu Marie ist von Beginn an zum Scheitern verurteilt, da sie auf einer Lüge basiert. David kämpft sich durch einen Wald von Intrigen, um diese Liebe zu erhalten, und lernt dabei eine bittere Lektion. Und Martin Suter beweist sich hiermit auch außerhalb der Kriminalliteratur als ein sehr guter Erzähler.

Titelbild

Martin Suter: Lila, Lila. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2003.
346 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 3257234694

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