Fernsehen bleibt Mittelmaß ohne Fallhöhe

Der "Aspekte"-Moderator Wolfgang Herles enthüllt in seinem Roman"Die Tiefe der Talkshow"

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

TV ist in. Längst haben die zeitgenössischen Autoren entdeckt, dass auch das Fernsehen Literaturtauglichkeit besitzt. Versuchten sich schon Walter Kempowsky und Alexander Osang am Nullmedium unserer Tage, hat nun, zeitgleich zu Thea Dorn und ihrem Roman "Brut", der "Aspekte"-Moderator Wolfgang Herles seine prosaische Sicht auf das Talkshowbusiness unserer Tage vorgelegt. Ein "Insider", der die amigo-orientierte Maschinerie des Öffentlich-Rechtlichen kennt und dessen Untiefen kritisch, aber mit einer vollen Breitseite Unterhaltung ausleuchtet? Und so verspricht denn auch der Klappentext, das unsere Erwartungen vom Haifischbecken Fernsehen noch übertroffen werden, es sei alles viel Schlimmer. Sind wir also gespannt!

Schon nach einigen Seiten fühlen wir uns zuhause. Es springen uns bekannte Namen, die Talk-Größen unserer Zeit ins Auge: Kerner, Bio, Beckmann, Maischberger & Co. Sie bilden die Rahmenhandlung einer Auseinandersetzung zweier alternder Talkmaster in den 50ern, die zwischen knallhartem Polittalk und nach Gesetzen des Marktes inszeniertem Schmuddeltalk nach Bestätigung, Quote, Geld und dem Sinn des Lebens suchen. Beide im Talkformat, jedoch mit unterschiedlichen Zielgruppen: Anselm Klamm, der erfolgreichere, betreibt die Investigations-Journalismus-Talkshow "Klamm hakt nach", während sein Kontrahent der in den Untiefen des gesellschaftlichen Boulevard-Talks stochernde Tobi Tobel ist. Unklar bleibt, inwieweit wir bei diesen Namen nun das Vademekum der TV-Branche zücken und den realitätsnahen Subtext dechiffrieren müssen oder es sich gar um eine verklausuliert formulierte gespaltene Form des Herles'schen Alter Egos handelt - es ist wahrscheinlich letztlich auch egal. Denn jetzt rollt die aus vielen Fernsehfilmen längst bekannte Eitelkeits-TV-Maschinerie ab. Schmierige Produzenten, unfähige Redaktionsteams, nur nach der Quote schielende Intendanten, eine auf Enthüllungen scharfe Presse, wichtigtuerische Agenten und dazwischen die gloriose und selbstzufriedene Eitelkeit der gesamten Branche.

Der Kampf zweier Rivalen, in denen Klamm, die deutlich differenzierte Zeichnung bekommt (mit leisen Selbstzweifeln behafteter Liebhaber erotischer Literatur und unverstandener Mann einer konsumorientierten Frau) braucht natürlich mehr als den beruflichen Neid. Und so kommt der Kampf um die Journalistin Ruth und eine gemeinsame Vorgeschichte, die Jugendliebe Eva, als würzende Beigabe zu dem medialen Branchenalltag, zu dem etwa getürkte Kandidaten von bestochenen Redaktionsmitgliedern ebenso gehören wie das allgegenwärtige Branchenlatein (re-Branding, audience flow, warm up), hinzu.

Herles entwickelt seine Geschichte auch mit zynischen Begebenheiten und den kleinen Bösartigkeiten des Alltags. Richtig erheiternd wird die Vorstellung, als Tobi Tobel auf den genialen Gedanken verfällt, anlässlich seines 50. Geburtstags und zur Verbesserung seines Images - er soll demnächst in der Mittagszeit eine Kochshow moderieren - in den Vereinigten Arabischen Emiraten eine Großinteressensvertretung der Talkmaster mit Bio als designiertem Präsidenten zu gründen. Auch hier ist die allgegenwärtige Femme Fatale in Person der "Mikado"-Journalistin Ruth Aschenbach präsent. Jetzt überschlägt sich die Geschichte und verliert ein wenig den Faden. Nach einem fingierten Beduinenüberfall und einem Unfall landet Klamm mit Ruth Aschenbach in Bangkok. Und dies, während man in Deutschland zwischen der Annahme, Tobel habe Klamm ermordet bzw. er sei von Beduinen entführt, schwankt. Als er nach vielen Schlagzeilen, Vermutungen und Erklärungen wieder in Deutschland auftaucht, strahlt sein Stern heller denn je. Aus dem Vorsatz, das TV-Business zu verlassen, wird angesichts der versprochenen Prime-Time-Sendung nichts und auch mit seiner Frau kann er sich nach einem vernünftigen Gespräch unter Erwachsenen wieder versöhnen. Und Tobi Tobel? Der schreibt mit Ruth Aschenbach ein Buch, einen Roman, in dem auch Klamm vorkommen wird. Ein unspektakuläres Ende, das letztlich keinen wirklichen Verlierer kennt. Vielleicht ist dies am Ende des Buches auch konsequent. Weniger als Ergebnis des Medienbusiness, in dem es immer wieder Möglichkeiten gibt, gestrauchelte Existenzen und deren angeknackste Eitelkeiten zu lindern, als vielmehr als Ergebnis der Figuren- und Handlungsführung. Denn es bleibt eine Sammlung bisweilen sogar unterhaltsamer dramaturgischer und auch personaler Einzeleinfälle, die keine eigene Dramatik gewinnen. Herles zeichnet zwar präzis die ineinandergreifenden Mechanismen von Presse, Medien, Narzismus und Öffentlichkeit, jedoch fehlt ihm ein wirklicher Konflikt, ein Verbrechen, eine Herausforderung. Auch als Einblick in den realen Medienzirkus bietet es weder Nachhilfestunden und sensationelle Neuheiten noch die Preisgabe intimer Details, die uns beim nächsten Tischgespräch die Aufmerksamkeit unserer interessanten brünetten Nachbarin sichern. Und letztlich ist es in Herles' TV-Talkshow-Zirkus auch nicht schlimmer, als wir es uns immer vorgestellt haben, schade eigentlich!

Titelbild

Wolfgang Herles: Die Tiefe der Talkshow.
dtv Verlag, München 2004.
275 Seiten, 14,50 EUR.
ISBN-10: 3423243821

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