Freund Kafka

Neuerscheinung des erstmals 1965 publizierten Werkes von Johannes Urzidil

Von Silja BüchtingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Silja Büchting

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Kafka war Prag und Prag war Kafka" Mit diesem Zitat Urzidils wird die Neuausgabe seiner Aufsätze und Schriften über seinen Zeitgenossen und Freund Franz Kafka eingeleitet, und tatsächlich gehen alle Kapitel des Buches von diesem Ansatz aus. Urzidil, der zur Zeit Kafkas zwar noch jung, aber bereits im Kreis der Prager Schriftsteller, zu dem Kafka gehörte, fest integriert war und somit als "Insider" gelten konnte, gibt in erzählerischer Sprache sequenzenhaft Einblick in das literarische Prag der 20er Jahre und das Bild Kafkas in den Augen seiner Zeitgenossen. Indem sowohl Kafkas konkrete Umgebung, also nahe stehende Personen, seine Wohnstätten, seine bevorzugten Cafés, als auch seine geistige Umgebung, etwa die Mythen Prags oder Kafkas Verhältnis zu seiner jüdischen Religion, beschrieben werden, erhält der Leser einen tiefen Einblick in Kafkas Lebenswelt und Lebensgefühl. Die kapitelweisen Interpretationen mancher seiner Erzählungen oder Urzidils wirklichkeitsnahe Beschreibungen von Begegnungen mit Kafka, ermöglichen einen neuen Zugang zu Kafkas Werk aus einer besseren Kenntnis seiner Lebenssituation heraus - ein Weg, Kafka, soweit dies überhaupt möglich ist, zu verstehen.

Bei diesem Zugang von Leben und Werk, wird trotz Urzidils offensichtlich guter Kenntnis, die seinen Aussagen und Interpretationen als Zeitgenosse und Bekannter entsprechend Gewicht verleiht, dennoch deutlich, wie übermäßig Urzidil Kafka damals bewundert haben und wie sehr sich diese Verehrung nach Kafkas Tod und der weltweiten Verbreitung seines Werkes gesteigert haben muss. Zwar schließt Bewunderung eine detailgetreue und für den Leser wertvolle Beschreibung der Lebenswelt Kafkas zunächst nicht aus, hier wird jedoch kleinen Details, Aussagen und Hinterlassenschaften Kafkas eine dermaßen große Bedeutung zugeschrieben, dass die Darstellung teilweise überzeichnet und im Nachhinein mystifiziert wirkt. Der Autor, bemüht, der gesamten Prager Schriftstellerwelt der 20er Jahre ein Denkmal zu setzen, scheint die Vergangenheit passagenweise geradezu mit einem Schleier von Nostalgie und Glorifizierung zu verhängen, wodurch an seiner hohen Einschätzung Kafkas zwar kein Zweifel bestehen kann, dem Leser aber der objektive Blick auf Kafka, wie er war, leider verstellt wird.

Diese gelegentlichen Ansätze zur Überinterpretation ändern aber nichts an der Anschaulichkeit der Sprache, den interessanten und lebendigen Einblicken in das Lebensumfeld Kafkas und der Bedeutung, die dem Urteil eines so nahen Bekannten zugemessen werden kann. Vieles von der Stimmung und den Inhalten der Werke Kafkas können durch Urzidils Einblick in das Prag der 20er Jahre nachvollzogen werden, mit dem er nach Meinung des Autors untrennbar verwoben war. Ein Verständnis der Werke Kafkas ist demnach ohne Kenntnis seiner damaligen Umgebung nicht möglich.

Titelbild

Johannes Urzidil: Da geht Kafka.
Buchverlage LangenMüllerHerbig, München 2004.
208 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3784429459
ISBN-13: 9783784429458

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