Die Kraft und die Axt der Literatur

Helmut Koch und Nicola Keßler wollen lesend und schreibend Hoffnungsbrücken bauen

Von Dennis SiepmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dennis Siepmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich schreibe. Ich lese. Ich atme. Ich esse. In dieser Reihenfolge. Man könnte mir die Nahrung nehmen, die Luft zum Atmen, vielleicht sogar die Bücher, aber wenn man mir Stift und Papier nehmen würde, ich hätte dem Wahnsinn nichts mehr entgegenzusetzen".

Für viele Menschen bedeutet schreiben und lesen zu können, die Beschäftigung mit einem Buch, den Ausweg aus einer tiefen Lebenskrise zu finden. Menschen, die sich in einer solchen Situation befunden haben, berichten in "Ein Buch muss die Axt sein ... Schreiben und Lesen als Selbsttherapie" von ihren individuellen Problemen - und wie ihnen die Literatur bei ihrer Genesung geholfen hat. Inhaltlich richtet sich das Buch vor allem an Menschen, die bereit sind, mit Hilfe der Literatur auf eigene Probleme einzugehen, aber auch an diejenigen, die Möglichkeiten zur Neuorientierung zu suchen.

In wieweit kann die Literatur dazu dienen, einen psychisch kranken Menschen zu therapieren? Welche Methoden gibt es? Diesen Fragen sind der Literaturwissenschaftler Helmut H. Koch (Universität Münster) und Dr. Nicola Kessler (Lehrbeauftragte am Institut für Deutsche Sprache und Literatur der Universität Münster) in ihrem Buch nachgegangen. Der Titel des Werkes ist angelehnt an ein berühmtes Kafka-Zitat: "Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns".

Welche Rolle nimmt die Literatur für sie in einer Lebenskrise ein? So lautete die Frage, welche die Autoren im Rahmen eines bundesweiten Aufrufs unter dem Titel "Schreiben und Lesen in psychischen Krisen" an ganz verschiedene Institutionen und Personen richteten. Über 800 briefliche Einsendungen waren das Ergebnis des Aufrufs. Auf 160 Seiten wurden nun ausgesuchte Texte abgedruckt, die als Beispiel für eine positive Wirkung der Literatur fungieren sollen.

Menschen berichten in diesem Buch über ihre Auseinandersetzung mit einer Krankheit, dem Verlust eines lieben Menschen und anderen negativen Lebenserfahrungen. Unterteilt in zwei Hauptgebiete widmet sich das Buch im ersten Teil dem Komplex des Schreibens. Warum haben wir oft das Bedürfnis, Krisen schriftlich festzuhalten (z. B. im Tagebuch)? Wie kann uns das Aufschreiben in konkreten Lebenssituationen helfen?

Im zweiten Teil des Buches, der sich mit dem Bereich des Lesens beschäftigt, geht es um Leseerfahrungen. Darum, wie bestimmte Bücher in der Lage sind, einen Menschen in einer bestimmten Lebenssituation anzusprechen, ihn vielleicht zu trösten und ihm neuen Lebensmut zu vermitteln. Zwischen den zumeist anonymen Berichten kommentieren die Autoren die Texte und geben nützliche Hintergrundinformationen zum Themengebiet (vor allem entsprechende Internetadressen und Ansprechpartner).

Lesen und Schreiben hat von alters her eine besondere Wirkung. Wir schreiben uns sprichwörtlich etwas von der Seele, setzen uns mit unseren Gefühlen auseinander oder finden unter Umständen beim Lesen eines Buches die Worte, die uns selbst nicht zur Verfügung standen.

Leider geben die hier abgedruckten Erfahrungsberichte nur einen sehr eingeschränkten Einblick in die Gedankenwelt des jeweiligen Autors. Infolge dessen drängen sich Fragen auf. Man möchte beim Lesen mehr über die persönliche Lebensgeschichte des jeweiligen Autors erfahren. Hier kann das Buch nur Teilaspekte ansprechen.

Jeder Mensch muss in seinem Leben krisenhafte Situationen bewältigen, manche schaffen es aus eigener Kraft, andere benötigen professionelle Hilfe - nicht wenige verzweifeln.

Lesenswert ist dieses Buch deshalb, weil es genau solche Menschen anspricht und Impulse zur Selbsthilfe vermittelt: Eine Krise dazu zu nutzen, produktiv zu werden, seinen Gefühlen Raum zu geben und sich im besten Falle selbst zu therapieren. Oder wie es Christiane Rees in ihrem Erfahrungsbericht beschreibt: "Manche Bücher sind wie Schlüssel zu unseren Gedanken, zu unseren Herzen; Schlüssel zu Türen, von denen wir gar nicht wussten, dass sie existieren. Da versuchen wir jahrelang mühsamst über Mauern zu klettern, uns geheime Gänge zu graben, Zäune einzureißen, und dabei gibt es dieses geheimnisvolle Tor, das sich mit einem Zauberwort knacken lässt".

Titelbild

Helmut H. Koch / Nicola Keßler: Ein Buch muß die Axt sein ... Schreiben und Lesen als Selbsttherapie.
Königsfurt Verlag, Kiel 2002.
160 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3933939194

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch