Kann man genießen, ohne zu denken?

Über Kirstin Breitenfellners Roman "Der Liebhaberreflex"

Von Ute EisingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Eisinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Name des verflossenen Geliebten lautet Thomas; seinen Kardinalmakel, den mangelnden Glauben an sich selbst, kompensiert er mit dem Verwöhnen von Frauen - darin hat es der typische Liebhaber, wie er im Bilderbuch steht, zu einer Meisterschaft gebracht, der sogar die Ich-Erzählerin erliegt. Nachdem es der Galan mit den grauen Schläfen nicht schafft, die beschlossene Trennung von seiner Frau zugunsten der jungen Protagonistin in die Tat umzusetzen, wird diese ihren Betörer auch wieder los und atmet darüber auf.

Als "Liebhaberkomplex" entpuppt sich der Unsinn einer klugen und tüchtigen Frau, die sich von einem erfahrenen Verführer aus der Realität entführen lassen möchte, in der sie doch selbst ihren Mann steht. Obwohl die Rolle der Verführten in der Welt, in der die Heldin erfolgreich lebt, überlebt ist, gibt die Protagonistin wider besseres Wissen ihrer Sehnsucht nach einem bleibenden Zusammensein mit Thomas nach. Zur Strafe für die versuchte Selbsttäuschung gerät Agnes' Urvertrauen in sich selbst ins Wanken. Dagegen verfügt ihre engelhafte Freundin Angela über den Erkenntnisvorsprung, man dürfe sich keinen Illusionen hingeben, um nicht enttäuscht zu werden - begeht allerdings kurz darauf Selbstmord. Es braucht einen ganzen Roman über die beiden auf den Charmeur Thomas folgenden Männerbeziehungen, bis Agnes, eine erfolgreiche und selbstsichere Zeitgenossin, über das schale Gefühl hinwegkommt, das der Leichtfuß Thomas und der Freitod von Angela in ihrem Weltverständnis hinterlassen haben.

In einer glücklichen Kindheit wurde in Agnes der robuste Grundstock für eine positive und selbstbewusste Lebenseinstellung gelegt - geboten von Eltern, die ihr und den beiden Schwestern Aufmerksamkeit und jede mögliche Förderung gaben - wie man sie später nie wieder erfährt. Auch Agnes wünscht sich - irgendwann - einmal Kinder und bricht mit ihrem Freund Tibor, dem Künstler, als er nebenbei bemerkt, er hätte sich nun doch gegen Nachwuchs entschieden.

Zwar könnte man Kirstin Breitenfellners Debüt-Roman vorwerfen, dass die Konstruktion ihrer Erkenntnisfindung in Form von Rückschauen nicht ganz gelungen ist; doch liegen die Stärken dieses intelligenten Frauenromans vielmehr in den soliden Betrachtungen von Welt und Gesellschaft. Es sei denn, es handelt sich um Thomas, den charmanten Chef in Designersakkos, der die neue Mitarbeiterin in den Mittagspausen zum Japaner führt, im Schutz des Kinodunkels küsst und sie mit den üblichen Geliebten-Präsenten entlohnt. Diese Figur wirkt beim Lesen weit weniger leibhaftig als Agnes' Reisebilder aus Amerika und ihre Ansichten über Krankheiten unserer Zeit und ihre Ursachen: echt, witzig. Auch die tragische Figur ihrer Freundin Angela will nicht so richtig Gestalt annehmen - ganz anders als Tibor, der ehrliche und anschmiegsame Maler, dem Agnes nach der romantischen Illusion Thomas und der Vernunftehe mit Poigenfürst begegnet. Er scheint wahr und liebenswert - darum frappiert Agnes' plötzliche Trennung von ihm - folgte da nicht im Lauf der Dinge, dem die sympathische Zweiflerin zunehmend nüchterner entgegensieht, ein überraschender Schluss.

Titelbild

Kirstin Breitenfellner: Der Liebhaberreflex. Roman.
Skarabaeus Verlag, Innsbruck 2004.
231 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-10: 3708231503

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch