Kalte Ente

Henner Löfflers Heimatkunde Entenhausens "Wie Enten hausen" beklagt die Unbehaustheit des modernen Entenlebens

Von Andreas BaumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Baumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Erforschung der Entenhausener Gesellschaft im deutschsprachigen Raum hat innerhalb der letzten Jahrzehnte zwar bedeutende Fortschritte gemacht. Seit der seinerzeit aufsehenerregenden und noch heute, mehr als dreißig Jahre später, Maßstäbe setzenden Arbeit "Die Ducks" von Grobian Gans beschränkt sich das Schrifttum aber weitgehend auf Zeitschriftenpublizistik. Große Monographien sind dünn gesät. Um so erfreulicher ist es, dass mit "Wie Enten hausen" des Literaturexperten Henner Löffler nun eine neue Frucht aus dem kargen Feld treibt. Die umfangreiche und sich ihrer Wichtigkeit bewusste Schrift ist als Sammlung von Essays zu Einzelproblemen konzipiert und zugleich wie ein Lexikon alphabetisch nach Stichworten gegliedert. So lädt sie gleichermaßen zur Reflexion ein, wie sie bündige Information verspricht.

Die beiden hauptsächlichen Anliegen des Verfassers sind schnell benannt: Er möchte erstens zeigen, dass Carl Barks, der berühmte Zeichner und Texter der meisten Donald-Duck-Comics, als großer Dichter des 20. Jahrhunderts in eine Reihe mit James Joyce und Marcel Proust zu stellen ist, und zweitens nachweisen, dass sämtliche einzeln erschienenen Geschichten von Barks sich zu einer "Saga" der Ducks, einem "Kosmos" Entenhausens zusammenfügen und so einen circa fünfundzwanzig Jahre umfassenden Ausschnitt aus der Geschichte dieses Gemeinwesens und seiner prominentesten Familie abbilden.

Der Beleg der zweiten These erfolgt ohne Mühe. Mit vollem Recht stellt der Verfasser fest, dass es innerhalb der Gesamtheit der einzeln erschienenen Geschichten kein Zeitkontinuum, keinen "inneren Fortschritt", keine Charakterentwicklung, keine Erinnerung, kein Altern gibt, ja, dass sich die Handlungen der Einzelgeschichten nicht selten gegenseitig ausschließen, kurz, dass alles fehlt, was notwendig ist, um von einem narrativen Zusammenhang sprechen zu können, wie er, der Form der "Saga" gemäß, von der Chronik einer Familie erzählerisch extrapoliert wird. Dank seiner "Hilfskonstruktion der Erscheinungsdaten" gelingt es dem Autor aber auf verblüffend einfache Weise trotz allem, seine zentrale Behauptung zu verifizieren, indem er Parallelen zieht zwischen den Erscheinungsdaten der Geschichten und den dann und wann in die Handlung eingestreuten Kalenderdaten.

Der Begeisterung des Verfassers für Zahlen und Daten verdankt die vorliegende Untersuchung überhaupt Unschätzbares. Die Statistik bildet sozusagen ihr methodisches Rückgrat. Im Zusammenhang etwa mit der philosophisch sicherlich bedeutendsten Frage des Werks, der nach der Heimat in Zeiten transzendentaler Obdachlosigkeit, bringt es die statistische Auszählung ganz klar an den Tag, dass das zunächst signifikante starke "Ansteigen des Heimatcharakters" der "Saga" sich sehr bald von der Krise getroffen umkehrt, so dass der Verfasser schließen kann: "Mir ist das nicht so recht. Mein Ideal bleibt der kalte Wintertag, der gemütliche Sessel am Kamin".

Wer möchte ihm da widersprechen? Dass man das Buch trotz solch beunruhigender Wahrheiten kaum aus der Hand legen mag, liegt ganz gewiss auch daran, dass, bei aller gebotenen Sachlichkeit, der "eminent wichtige Humor" in der Dichtung von Carl Barks, wie der Autor einleitend bemerkt, auch bei ihm selbst "stets vorhanden ist und in die Untersuchung einfließt". Und so folgt der willige Leser aufmerksam ihren Synthesen und Subtilitäten, die ihm immer wieder Bewunderung, wenn nicht gar Fassungslosigkeit abnötigen:

Wie man unter dem Stichwort "Wirtschaftsleben" erfährt, ist Dagobert Duck, der reichste Mann der Welt, im amerikanischen Original, anders als die deutsche Übersetzung behauptet, kein Bankier. Übrigens besitzt er auch keine Versicherungsgesellschaft, wie sie "oft Hand in Hand mit Bankinstituten geht". In Deutschland "heute normal", sei diese Verbindung in den USA jedoch "eher selten". Aber warum? Natürlich, weil die "Wirtschaftskapitäne" dort in ihrer Jugend sorgfältig Donald-Duck-Heftchen studiert haben, um sich an der Unternehmenspolitik Dagobert Ducks zu schulen, der aber andererseits gar keine Bank besitzt: eine Argumentation, die in ihrer Finesse anspruchsvollen Zen-Problemen gleichkommt und nebenbei noch Interessantes über die moderne Finanzwirtschaft aussagt. Gut!

Bald auch zeigt sich, dass auf diesen Seiten nicht nur die Heimatkunde der Enten Gewinne verbucht, sondern ebenso weltläufige ethnographische und physiognomische Menschenkenntnis waltet. Die Parodie der "nackten und brutalen Machtgier" Sowjetrusslands in der Zeichnung des Botschafters von "Brutopia", heißt es etwa im Artikel "Politik und Geschichte", drücke sich aus durch dessen "rücksichtsloses Gebaren und ein Gesicht, dem russische Züge deutlich über die Augenbrauen zuzuordnen sind". Dergestalt kritisch wie sprachlich inspiriert geht es auf knappen fünfhundert Seiten weiter, und der gefesselte Entenfreund mag es bedauern, dass ihm nicht noch einige hundert Seiten mehr an Aufzählungen, Assoziationen und Axiomen gegönnt werden.

Fazit: Für alle wissenschaftlich Interessierten, aber auch für Liebhaberinnen und Liebhaber, die Aufklärung zum Beispiel darüber verlangen, wie viel Euro einem Kubikmeter Entenhausener Taler entsprechen oder mit welcher statistischen Häufigkeit die Prügelstrafe in den Geschichten vollzogen wird, die überdies wissen wollen, welche Donald-Duck-Comics dem Verfasser schon in der Kinderzeit am besten gefallen haben, für all jene ist dieses Buch unverzichtbar. Für alle anderen eher nicht.

Titelbild

Henner Löffler: Wie Enten hausen. Die Ducks von A bis Z.
Verlag C.H.Beck, München 2004.
469 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3406516084

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