Neues aus Lexikalien

Aktuelle Nachschlagewerke von Brockhaus, Meyers und Bertelsmann

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Wissensgesellschaft boomen Lexika und Nachschlagewerke. Schon jetzt wird elektronisch aufgerüstet. Neue Speichermedien wie CD-ROM und DVD-ROM gesellen sich an die Seite der traditionellen Bücher, und die Zeit wird kommen, da der Leser vollends zum Nutzer mutiert.

In einer ferneren Zukunft wird das einzige, was man gegen klingende Münze nach Hause tragen kann, ein Passwort sein, mit dem man sich in eines der großen, ständig aktualisierten Wissensportale einloggen kann. Zu jeder Zeit und von jedem Ort. Multimedial gestützt. In Echtzeit. Der Vorteil: Die hohen Herstellungs- und Produktionskosten entfallen, neu hinzukommende Informationen lassen sich zentral „einpflegen“.

Die großen Lexikon-Verlage haben die Zeichen der Zeit erkannt. Wer heute ein Nachschlagewerk von Brockhaus oder Meyers erwirbt, der erhält die CD-ROM oder die DVD zur elektronischen Nutzung meistens gleich dazu. Nur die fünfzehnbändige Ausgabe aus dem Jahr 2002 verfügt noch nicht über einen digitalisierten Zwillingsbruder. Parallel dazu betreibt Brockhaus im Internet den Aus- und Aufbau einer „Infothek“ genannten Online-Datenbank, über die momentan etwa 1.000 Artikel aus den wichtigsten Lebens- und Wissensgebieten abrufbar sind. Auch wenn die Chance, dass man zu einem gesuchten Begriff auch fündig wird, derzeit noch nicht so hoch ist, wird damit eine wichtige Weiche gestellt.

Stand die Infothek bislang ausschließlich Nutzern zur Verfügung, die auch die große Enzyklopädie (ab der 19. Auflage) ihr eigen nennen, so kann man sich nun die verfügbaren Artikel herunterladen oder per Fax-on-Demand ausdrucken. Ein Artikel kostet 2,50 Euro, nur den Käufern der Enzyklopädie und des „Großen Brockhaus in einem Band“ wird bis Ende 2005 ein Rabatt eingeräumt.

Vom Ballast des Papier und Leinen befreit, scheinen der Vermarktung des lexikalischen Wissens kaum noch Grenzen gesteckt zu sein. Im Mai 2004 bietet etwa die „Zeit“ ein vier Wochen umfassendes Probeabonnement an. Bei jeder Ausgabe mit dabei: Eine Silberscheibe aus dem Brockhaus-Verlag mit insgesamt 100.000 Stichwörter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur.

Glücklicherweise haben die Lexikonmacher die fröhliche Reise nach Digitalien aber nicht als One-way-Ticket gebucht. Wie zum Trotz rattern die Druckerpressen gegen die Entstofflichung der Informationen an. Zum Beispiel mit dem ab Herbst 2004 in den Buchhandlungen erhältlichen „Brockhaus in zehn Bänden“, einem völlig neuen Format. Die Bände mit der Anmutung geschmiedeter Eisenblöcke wirken so schwer und hochwertig, dass der Tausch Geld gegen Gewicht glatt zugunsten des Käufers aufgeht. Es versteht sich fast von selbst, dass dieser laufende Regalmeter konzentrierter Materialität ganz ohne elektronischen Beistand auskommt und der neue Zehnbänder auf den silbernen Huckauf verzichtet.

Aber auch sonst tut sich eine Menge im Land der Lexika. Mittlerweile ist die Produktpalette der Verlage Brockhaus und Meyers so vielfältig und die verschiedenen Lexika so eng miteinander verzahnt, dass die Orientierung nicht immer leicht fällt.

Den Brockhaus in einem Band zum Beispiel gibt es gleich zwei Mal – einmal als handliches Schreibtischlexikon mit 55.000 Stichwörtern, einmal als einbändiges Schwergewicht mit 70.000 Einträgen, einem Extrakartenteil mit Satellitenaufnahmen und CD-ROM. Im Zeitalter von Günter Jauch sucht der umfangreichere Band seine Käufer bezeichnenderweise unter den Quizinfizierten und Ratefreaks: „Der beste Wirkstoff gegen offene Fragen und Wissenslücken. Ideal zum Mitquizzen und garantiert besser als jeder 50:50-Joker. Die einzige Nebenwirkung: viel Allgemeinbildung!“

Darf es etwas mehr sein? Mit 80.000 Stichwörtern aus allen Wissensbereichen präsentiert der kleinere „Brockhaus in drei Bänden“ aktuelles Wissen von A bis Z in prägnanter Form. Wo liegt Bhutan? Was ist Corporate Governance? Wer ist Jean-Pierre Raffarin? Was ist Speedskiing? Schon diese Begriffe machen schmerzhaft bewusst, was man alles nicht weiß – aber noch dazulernen kann.

Der hohe Bildanteil, Bildtafeln, zum Beispiel zum Thema Licht, großformatige Abbildungen, wie zu den Sanddünen der Wüste Gobi, und die insgesamt sehr leserfreundliche Aufmachung laden zum Blättern und Weiterlesen ein. Die beigefügte CD-ROM enthält den gesamten Stichwort- und Textbestand der Printausgabe und ermöglicht über Volltextsuche ein schnelles Auffinden der gesuchten Informationen.

Gegen dieses Duo hat es das Konkurrenzprodukt aus dem Hause Bertelsmann schwer. Das „Bertelsmann Universallexikon“ mit mehr als 70.000 Stichwörtern und einem eigenen Kartenteil wirkt schon beim Erstkontakt qualitativ minderwertig. Billiges, stumpfes Papier und matte Farben sorgen verlässlich dafür, dass sich das Lesevergnügen erst gar nicht einstellen will. Den Rest besorgt eine mangelnde sprachliche Sorgfalt. So vermerken die Redakteure zu dem britischen Schauspieler Sean Connery, dass er „u. a. in zahlreichen Filmen den Geheimagenten ‚James Bond‘ (spielte)“, wollen aber in Wirklichkeit sagen, dass Connery in zahlreichen Filmen u. a. den Geheimagenten James Bond spielte. Zu Odysseus heißt es, die Eroberung Trojas sei schließlich durch „das von ihm angeratene hölzerne Pferd“ geglückt. Ob bis zum Herbst 2004 solche und andere Trojaner ausgemerzt sind? Dann nämlich erscheint das Lexikon in neuer Auflage.

Beim Blick auf die dreibändigen Lexika von Brockhaus und Bertelsmann ist das Bild ein ähnliches. Der „Brockhaus in drei Bänden“ überzeugt durch ein ansprechendes Design, eine moderne Seitengestaltung und hochwertige Materialien. Die 80.000 Stichwörtern aus allen Wissensgebieten berücksichtigen auch aktuelle Themen wie MMS und Kinderbetreuungsfreibetrag, die ausführlichen Länderartikel wurden von der Redaktion komplett neu bearbeitet und aktualisiert.

In einer eigenen Schmuckschatulle mit dabei: eine CD-ROM mit dem gesamten Stichwortbestand der Printausgabe. Wer will, kann eigene Kommentare und Notizen zu den Artikeln eintragen oder Abschnitte mit Leuchtstiftfunktion markieren. Wie die meisten CD-ROMs von Brockhaus ist auch die zum Dreibänder in die Oberfläche der hauseigenen „PC-Bibliothek“ eingebettet, was ein schnelles Springen zwischen den elektronischen Büchern ermöglicht.

Ebenfalls 80.000 Stichwörter enthält das „Lexikon in drei Bänden“ von Bertelsmann. Es belastet die Geldbörse mit gerade einmal der Hälfte des Preises, der für den gleich dimensionierten Brockhaus zu entrichten ist. Trotzdem ärgert man sich gleich beim Aufschlagen über den Grauschleier, der über den Seiten liegt. Ebenso gewöhnungsbedürftig ist die dreispaltige Seitenaufteilung – und ein Buchformat, das sich dem Quadrat annähert. Während man dem äußeren Erscheinungsbild bei Brockhaus eine besondere Sorgfalt angedeihen lässt, haben die Bertelsmänner auf dem Cover sowohl an Farbe (das Lexikon ist weiß) als auch an den Bandnummern gespart.

Vieles an diesem Lexikon ist nicht nur unausgegoren, sondern nachgerade schlecht durchdacht. Der Eintrag zu den „Geschlechtsorganen“ zum Beispiel bricht mitten im Satz ab, um über siebzig Seiten später wieder aufgenommen zu werden. Denn zwischen die Geschlechtsorgane schiebt sich ein eigenes Kapitel, die „Weltgeschichte im Überblick“.

Das gleiche gilt für den Inhalt, den Brockhaus insbesondere sprachlich weitaus souveräner meistert. Während Brockhaus also beispielsweise die „Donquichotterie“ unter Hinweis auf die unwirkliche Eigenwelt des Ritters von der traurigen Gestalt als „eine dieser Geisteshaltung entsprechende Handlung, Erzählung“ erklärt, spricht Bertelsmann, ansonsten durch einen starken Hang zu bestimmten Artikel und Relativpronomen gekennzeichnet, von einem „durch Weltfremdheit zum Scheitern verurteilte[n] Unternehmen“.

Auch sachlich gibt es durchaus Differenzen, zum Beispiel bei den „Akademikern“. Bei Brockhaus kommen nur Studierte in den Genuss dieses Titels, Bertelsmann hingegen weist jeden Standesdünkel strikt von sich und zählt auch alle „Studierende[n] einer Universität oder Hochschule“ dazu.

Also lieber schnell weitergeblättert zum „Brockhaus in fünf Bänden“, mit dem jüngst das klassische Familienlexikon in der 10. Auflage aufgelegt wurde. Hier gehört eine DVD-ROM zur Sonderausstattung: es gibt sie nur gegen Aufpreis. Der kompakte Fünfbänder informiert auf 5.336 Seiten und in rund 125.000 Stichwörtern über Fakten und Zusammenhänge aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Geschichte, Sport, Naturwissenschaften, Technik, Kultur, Recht und Alltag. Auch zeitnahe Begriffe zu jüngsten politischen Ereignissen sowie neuen Entwicklungen, z. B. auf den Gebieten Telekommunikation, Biotechnik und Börse, wurden in den Stichwortbestand mit aufgenommen.

Für die Neuausgabe wurden die Abbildungen, die Länderartikel, Biografien und Tabellen aktualisiert und überarbeitet. Auch optisch haben die Brockhaus-Designer nachgebessert und dem Lexikon eine neue Hülle verpasst. Die fünf gestandenen Bände der neuen Ausgabe wirken technischer und moderner als der noch mit einem feierlichen Anzug aus Blau und Silber bekleidete Vorgänger (vgl. literaturkritik.de).

Eine preisgünstige Alternative zu den gebundenen Brockhaus-Lexika bietet das „Große Taschenlexikon“ aus dem Hause Meyers. Mit 150.000 Stichwörtern, 5.000 meist farbigen Abbildungen sowie ca. 820 Tabellen und Karten enthält es gleich den kompletten Informationsbestand der fünfzehnbändigen und jenseits der 400-Euro-Grenze angesiedelten Brockhäuser.

Hatte der fünfzehnbändige Brockhaus noch mit zahlreichen Altlasten zu kämpfen (vgl. literaturkritik.de), so scheint das Taschenlexikon in vielem aktueller. Ein sicheres Indiz dafür, wie gründlich die Neuausgabe aktualisiert wurde, bieten die Literaturangaben. Zu Berthold Brecht wurde wie für viele andere Stichworte auch Literatur bis 2002 verzeichnet, Ausnahmen bilden Publikationen zur „Dekadenz“ (bis 1997) und zum „Denken“ (bis 1994). Dafür endet die Geschichte der „Physik“ zwei Jahre nach Erscheinen der Standardausgabe nicht mehr 1997, sondern 2002.

Wie seine schwergewichtigen Kollegen ist das Lexikon im Taschenbuchformat in einer Künstler- und in einer Standardausgabe erhältlich. Aber welche ist welche? Während das von Brockhaus so genannte „Standardwerk“ mit in Gelb, Grün und Blau getauchten Satellitenbildern auf den Einbänden das inwendige Weltwissen grafisch unaufgeregt in sein kartografisches Äquivalent übersetzt, gleicht das vom Berliner Pop-Art-Künstler Andora gestaltete „Kunstwerk“ einem apokalyptischen Höllenpfuhl.

Der Sehnerv möchte verrückt spielen angesichts dieses Spektakels aus lodernden Fackeln, bösartig grienenden Fratzen, Fabelwesen und vieräugigen Monstern. Ein in die Formensprache des Graffiti übersetztes Brueghelsches Strafgericht, ein kunterbuntes Drunter und Drüber ohne Sinn und Struktur, mit dem Meyers offenbar verstärkt jüngere Leser ködern will.

Andoras Kunst hat den Weltraum erobert, als sie in Gestalt einer bemalten russischen Rakete ins All geschossen wurde, und vielleicht ist in diesem Spektakel ja auch die Gebrauchsanweisung für die neue „Kunstausgabe“ formuliert.

Auch Jüngere werden von Brockhaus und Meyers umworben und können wahlweise zu Meyers einbändigem Jugendlexikon mit 9.000 Stichwörtern oder dem 11.000 Stichwörter starken „Jugend-Brockhaus“ greifen. Der zugrunde liegende Textbestand ist wiederum identisch, so dass sich lediglich die Frage stellt, ob man für die 2.000 Stichwörter und 1.400 Grafiken bzw. Fotos, die der Brockhaus zusätzlich bietet, einen mehr als doppelt so hohen Preis entrichten will.

Das aktuelle Wissen für Schule und Alltag präsentiert sich nicht nur in frischen Farben. Neben Sachinformationen ist hier auch viel zu finden, was es in anderen Lexika so nicht gibt. Das Lexikon zeichnet sich besonders durch den lockeren Plauderton in der Erklärung von Bildern und Grafiken aus. Der Versuch, Informationen inhaltlich und sprachlich alters- und bedürfnisgerecht aufzubereiten, schlägt allerdings ganz unterschiedlich zu Buche.

So erörtert der umfangreiche Text zum Stichwort „Empfängnisverhütung“ unterschiedliche Maßnahmen hinsichtlich ihrer Zuverlässigkeit, unter dem Buchstaben „P“ stößt man gar auf eine nachdrückliche Empfehlung: „Petting ist eine gute Möglichkeit, sexuelle Erfahrungen zu machen, wenn man mit dem Partner/der Partnerin noch keinen Geschlechtsverkehr haben möchte.“

Da die jüngere Generation den Neuen Medien stärker zugewandt ist und immer weniger zum Gedruckten greift, als es den Buchmachern lieb sein kann, heißt die Werbestrategie in diesem Fall nicht Fusion, sondern Abgrenzung. Was dem Verlag mit anderen Worten bei den konventionellen Lexika durchaus recht ist, das ist ihm bei seinem Jugendwerk nicht billig. Auszug aus der Presse-Information: „Die Kids wollen klare Antworten und Informationen. Und da ist das gute alte Lexikon immer noch voll im Trend. Denn anders als das Internet kann ein gedrucktes Nachschlagewerk inhaltlich, optisch und sprachlich auf die Ansprüche von Jugendlichen eingehen.“

Titelbild

Der Große Brockhaus in einem Band. Mit CD-ROM.
Brockhaus Verlag, Mannheim 2002.
1176 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3765331414

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Titelbild

Bertelsmann Lexikon in drei Bänden.
Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh 2003.
1824 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-10: 3577100990

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Titelbild

Der Brockhaus in einem Band. 10., veränderte Auflage.
Brockhaus Verlag, Mannheim 2003.
1024 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-10: 3765316806

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Titelbild

Der Brockhaus in fünf Bänden - Buchpaket. 10., neubearbeitete Auflage.
Brockhaus Verlag, Mannheim 2003.
5336 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 3765316601

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Titelbild

Der Brockhaus in fünf Bänden - Medienpaket. Mit DVD-ROM. 10., neubearbeitete Auflage.
Brockhaus Verlag, Mannheim 2003.
5336 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 376532440X

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Titelbild

Der Jugend Brockhaus. 5., aktualisierte Auflage.
Brockhaus Verlag, Mannheim 2003.
1200 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-10: 3765323055

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Meyers Großes Taschenlexikon in 26 Bänden plus CD-ROM. Andora. Künstlerausgabe. 9., neubearbeitete und erweiterte Auflage.
Bibliographisches Institut, Mannheim 2003.
8736 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 341110709X

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Titelbild

Meyers Großes Taschenlexikon in 26 Bänden plus CD-ROM. Standardausgabe. 9., neubearbeitete und erweiterte Auflage.
Bibliographisches Institut, Mannheim 2003.
8736 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 3411110090

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Meyers Jugendlexikon. 5., vollständig neubearbeitete Auflage.
Bibliographisches Institut, Mannheim 2003.
768 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3411078057

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Titelbild

Bertelsmann Universallexikon. Das Wissen unserer Zeit von A - Z.
Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh 2004.
1056 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-10: 3577102381

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Titelbild

Der Brockhaus in drei Bänden. 3., vollständig neubearbeitete Auflage. Mit CD-ROM.
Brockhaus Verlag, Mannheim 2004.
2592 Seiten, 99,90 EUR.
ISBN-10: 3765315036

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