Lacan sagt mir das. - Aber was will er?
Mikkel Borch-Jacobsen: "Lacan. Der absolute Herr und Meister"
Von Nina Ort
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNein, Borch-Jacobsen legt kein Lehrbuch über Lacan vor, keine, wie er schreibt, "allgemeine Einführung". Gleichwohl handelt es sich bei seinem Buch um ein Lehrstück - empfehlenswert für den in psychoanalytischer Literatur einigermaßen bewanderten Leser. Und der darf berechtigterweise fragen, was man denn hier lernen könne. Das Buch liefert das Dokument eines Ringens um das Verständnis der Lacanschen Lehre mit allen Widerständen, aller Wut auf Lacan und das Unverständliche an ihm, das sich in der zweiten Hälfte dann zunehmend zu dem Dokument eines symbolischen Paktes wandelt, zu dem sich Borch-Jacobsen entscheidet. In dem Maße, in dem Borch-Jacobsen Lacan "anerkennt", gelingt es ihm auch, sich den Problemen der Lacanschen Lehre auf eine sachliche und instruktive Weise zu widmen. Dieser Wandlungsprozeß im Umgang mit Lacan(s Lehre) ist in diesem Buch so auffallend, daß er hier geschildert werden soll. Denn wenn man hier etwas lernen kann, so ist es eine Doppellehre. Psychoanalytisch könnte man formulieren: Borch-Jacobsen durchmißt die Stadien des imaginären Kampfes um Anerkennung, die sich in Haßliebe Lacan gegenüber ausdrückt, um dann, nachdem er seinen Zorn auf Lacan ausagiert hat, dazu überzugehen, ihn und sein Werk anerkennen und dessen Problematik würdigen zu können. Mit anderen Worten: Das Buch vollzieht denselben psychogenetischen Prozeß, den die Lacansche Lehre beschreibt.
Aus diesem Grund gestaltet sich die Lektüre dieser "Einführung in das Denken Jacques Lacans" aber auch durchaus kompliziert. Wird doch dem an Lacan unvoreingenommen Interessierten zunächst unmißverständlich klar gemacht, daß er es hier nicht nur mit einem enfant terrible zu tun bekommt, sondern - schlimmer - mit einem Taschenspieler, mit einem Schauspieler, dessen "Exhibitionismus gewaltig war (und schon ans Lächerliche grenzte)". Lacan wird vorgestellt als Autodidakt und Plagiator: der Autodidakt "schuldet, wie man weiß, niemandem nichts; nicht weil er alles sich selbst verdankte, sondern weil er alles allen verdankt." Insofern sei Lacan dann immerhin auf "offene und ehrliche Weise Plagiator", der " in der Tat keinen wirklich eigenen Gedanken hatte". Wer mit Lacans Texten bisher noch nicht in Berührung gekommen ist, wird auf diese Beschuldigungen möglicherweise leicht irritiert reagieren. Wozu sollte man die Mühe auf sich nehmen, sich in derart schwierige Texte einzuarbeiten, wenn es sich ohnehin nur um Plagiate eines Hochstaplers handelt?
Sicher ist es im Kontext psychoanalytischer Literatur legitim, den individuellen Lektüreprozeß zu beachten. Wie also liest Borch-Jacobsen Lacan? Man hat den Eindruck, daß er Lacans Texte persönlich nimmt; dies ist im Grunde sympathisch - amüsant wird es dort, wo Borch-Jacobsen in derart gereiztem Ton schreibt, als fühlte er sich von Lacan angegriffen. Das provoziert Gegengangriffe und diese sind häufig eher unfeine Wadenbeißereien als sachliche Einwürfe: Lacans "Fistelstimme" wird ihm ebenso angekreidet wie seine Kleidung. So fragt sich Borch-Jacobsen, wer denn dieses "Chamäleon" gewesen sei, "dessen Denken ebenso buntscheckig war wie seine Gewandung". Solche unsachlichen Boshaftigkeiten tragen nicht zum Verständnis der Lehre Lacans bei. Borch-Jacobsen, so habe ich den Eindruck, ficht hier eher einen persönlichen Kampf aus: der Haß auf den imaginären Vater? Ganz im Stil der üblichen Streitereien unter den Psychoanalytikern wird dieser Kampf von einer in den Fußnoten geführten Privat-Debatte mit Elisabeth Roudinesco flankiert, auf die er im fortlaufenden Text jedoch immer dort verweist, wo deren liebenswürdig-gehässige Anmerkungen über Lacan (vgl. insbesondere ihre 1996 erschienene Lacan-Biographie) in das Konzept seiner eigenen Kritik passen.
Borch-Jacobsen zu lesen ist schwierig. Verdienstvoll an seinem Buch ist aber sicher die philosophische Einordnung der Lacanschen Psychosemiololgie: in liebevoller Detailarbeit bemüht sich Borch-Jacobsen dabei um den Nachweis, daß Lacan all seine Gedanken aus seiner Lektüre von Kojève, Hegel und Heidegger kompiliert habe. Beinahe stereotyp fragt er nach Zitaten dieser Philosophen: "Lacan, wird er je etwas anderes gesagt haben?..." Diese Angriffe zehren an der Motivation, den sehr komplizierten Text weiter zu verfolgen. Allzuoft hat man den Eindruck, es handle sich bei den despektierlichen Beschreibungen von Lacans Kompilationen zugleich um Überbietungsversuche: den Kampf eben gegen den "Meister". Viele der Vorwürfe Borch-Jacobsens treffen außerdem ins Leere. So habe Lacan sich beispielsweise aus Freud nur das herausgepickt, was ihm gepaßt habe. Es fällt mir schwer, hierin etwas Ungehöriges zu sehen. Oft auch liegt es nur an den Formulierungen, die dem Leser den Eindruck vermitteln, auf Mängel oder Fehler der Lacanschen Theorie gestoßen zu sein. Beinahe zwanghaft wirken Wendungen, wie die folgende: "Wenn Lacan sich später zum 'Erfinder' des 'klassischen Spiegelstadiums von Jacques Lacan' erklären wird, so hätte er den Mund etwas voll genommen, ginge es nur um die Beobachtung selber." Denn gleich im Anschluß heißt es: "Tatsächlich liegt seine Originalität anderswo, und zwar ist sie, wie stets bei ihm, eine der verallgemeinernden Kombination. Sie in zwei Worten zu bezeichen: Lacan hat die Spiegelprobe Wallons mit Freuds Narzißmus und Hegels Dialektik 'gemischt' und hat im selben Zug die bescheidenen Feststellungen des Psychologen auf die Ebene einer grandiosen 'ontologischen Struktur der menschlichen Welt' gehoben."
Was liegt wohl dieser mit dem Paukenschlag des Plagiats- und Kompilations-Vorwurfs eröffneten Einführung in das Werk Lacans zugrunde? Was, anders ausgedrückt, erregt den so heftigen Widerstand Borch-Jacobsens gegenüber den Texten Lacans? Borch-Jacobsen geht es letztendlich um eine einzige Denkfigur, die sich jedoch durch die verschiedenen Stationen der Lehre Lacans zieht. Die narzißtische Kränkung, die diese Idee bedeutet, liefert gleichzeitig den Schlüssel zur symbolischen Kastration, die Borch-Jacobsen schließlich auf sich nehmen wird. Borch-Jacobsen ringt mit der Erkenntnis der grundsätzlichen Nichterfüllung des Begehrens: "Das Imaginäre, das bei Freud gerade der 'Ort' der Wunscherfüllung war (ihr 'anderer Schauplatz', verstanden als ein 'auf-der-anderen-Seite-des-Schauplatzes', ein 'Schauplatz-Jenseits' [autre scène vs. outre-scène]), wird bei Lacan zum Ort der Nichterfüllung oder, wenn man lieber will, der 'fiktiven' Erfüllung des Wunsches."
Den Grund für diese "Nichterfüllbarkeit" des Begehrens erkennt Borch-Jacobsen im Status all dessen, worauf sich das Begehren richten, bzw. als was es in Erscheinung treten könne: dies ist der Status der Repräsentation. "Wo Freud trotz allem immer noch Platz ließ für ein nichtrepräsentatives Unbewußtes (beispielsweise für 'unbewußte Gefühle' oder auch für ein nicht verdrängtes 'Es'), schneidet Lacan die Frage brutal ab: kein Trieb, der nicht schon immer repräsentiert ist, kein Begehren, das nicht immer schon in Vorstellungsrepräsentanten artikuliert wäre [...]."
Je deutlicher Borch-Jacobsen diese Grundverfassung des Begehrens herausarbeitet, desto ernster widmet er sich den damit zusammenhängenden Problemen. Etwa in der Mitte des Buches läßt er von seinen Vorwürfen und Boshaftigkeiten ab; zugleich wird seine Argumentationslinie verständlicher. Tatsächlich, Borch-Jacobsen beginnt, sich für den Lacanschen Text zu interessieren: jetzt möchte er begreifen. In auffälliger Weise verändert sich der Duktus seines Textes, in dem die einzelnen Passagen nun mit Phrasen wie "Damit wissen wir noch nicht..." oder "Bleibt noch zu begreifen..." eingeleitet werden. Am Beispiel der Gegensätze von imaginärer und symbolischer Rede bzw. von parole vide und parole pleine beschreibt Borch-Jacobsen implizit gleichsam sein eigenes Ringen mit "Maitre Jacques", das schließlich in Anerkennung mündet.
Die Frage nach dem Begehren zieht die Fragen nach der Wahrheit und der Realität (des Subjekts) nach sich. Hierbei stellt sich heraus, daß die Wahrheit auf einem symbolischen Pakt beruht: Wahrheit kann nur kommunikativ entschieden werden, wobei Borch-Jacobsen die prinzipielle Kontingenz von Entscheidungen betont. "Das volle Sprechen sagt in diesem Sinne nichts anderes als das leere und trügerische. Aber es sagt, daß es (es) sagt." Das volle Sprechen wird demnach mit dem performativen Akt verglichen, (wie zum Beispiel das "Jawort" etwa oder: "Du bist mein Weib"). In dieser Form liege, so Borch-Jacobsen, ein selbstrefentielles Sprechen vor, das nichts anderes sage als sich selbst.
Es geht beim vollen Sprechen aber nicht nur darum, nichts zu sagen, sondern das Nichts zu sagen. Borch-Jacobsen stellt in diesem Zusammenhang die berechtigte Frage nach der psychoanalytischen Kur. In dieser Frage koinzidieren die eingangs unterstellte Taschenspielerei Lacans mit den Aussagen über die Nichterfüllbarkeit des Begehrens und der vollen Rede. Denn was soll die analytische Kur dann erreichen? Der Analysand soll dazu kommen, seine subjektive Wahrheit, die fiktive Geschichte seines "Familienromans" auszusprechen (sie in der analytischen Sitzung gleichsam öffentlich zu machen). Dabei geht es allein um die symbolische Dimension, in der diese Geschichte auftauchen soll, nicht jedoch um imaginäre Suggestionen. Damit, so Borch-Jacobsen, sei es wiederum egal, was der Analysand sagt und was der Analytiker interpretiert: wichtig sei nur, daß dies in der symbolischen Dimension geschieht. Und deswegen fragt Borch-Jacobsen besorgt, ob es sich in der analytischen Kur unter diesen Umständen nicht wirklich einfach um "eine Art Schwindel", um das "Abrakadabra eines Schwarzkünstlers" handelt.
Genau dies habe Lacan gegen Ende seines Lebens zugegeben (wobei Borch-Jacobsen darauf hinweist, daß Lacan im Grunde damit nur wiederholt, was er bereits in seiner "Rede von Rom" gesagt habe). Dies ist der - dramatische - Höhepunkt der Lacan-Interpretation Borch-Jacobsens, den er mit einem entsprechenden Zitat Lacans auf dem Cover seines Buchs bereits andeutet: "Eine Zeit lang konnte man glauben, daß die Psychoanalytiker etwas wußten. Aber das ist nicht mehr sehr verbreitet. Der Gipfel ist, daß sie selbst nicht mehr daran glauben." Noch aus diesen Passagen hört man leicht die Trauer und auch die Verzweiflung heraus, mit der Borch-Jacobsen die Erfüllung des Begehrens und die Wahrheit des Subjekts verabschiedet. Der Lacansche Schamanismus wird dann allerdings (am Beispiel der von Lacan so geliebten "Matheme" und unter Zuhilfenahme von Lévi-Strauss' Anthropologie) nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar legitimiert. Denn "In Wirklichkeit ist es eine Symbol- (oder was hier auf dasselbe hinauskommt) 'Signifikanten'-Manipulation, die durchaus mit der eines Mathematikers zu vergleichen sei, der mit Zahlen und Buchstaben jongliert." Ganz ähnlich handle es sich bei der Psychoanalyse um eine auf einen "'Kollektivkonsens' gegründete Soziotherapie", die es gestatte, unformulierbare Zustände in eine gemeinsame Sprache zu integrieren: "Mit einem Wort: die rituell-mysteriöse Operationsform des Schamanen ist für das zu heilende Übel das, was das x des Mathematikers für die Unbekannte einer Gleichung ist."
Borch-Jacobsen unterstellt Lacan folgende Antwort auf die Frage, ob Psychoanalyse nun Schwindel sei oder nicht: "Aber gewiß doch, war praktisch Lacans Antwort, - bis auf den Umstand, daß sie die Wahrheit des Schwindels an den Tag bringt, welche just darin besteht, daß die Wahrheit des Subjekts, die da eine rein symbolische ist, die 'Struktur einer Fiktion' hat."
Die anschließenden Kapitel sind nun klar verständlich. Vielleicht sind die Passagen über die "Linguisterien" wirklich lehrbuchartig, da hier Lacans Zeichenbegriff ausführlich aus dem Saussureschen hergeleitet wird. Auch das geschieht, um die zentrale These zu stützen: "Was ihn bei dieser uferlosen Überdehnung des Begriffs 'Signifikant' interessiert, ist dies: einmal mehr zu beweisen, daß die Sprache/langage (ein Term, unbestimmt genug, um alle Unterschiede zwischen der Sprache/langue, dem Sprechen und den Produktionenn des Unbewußten zu verwischen) nichts repräsentiert."
In seinem abschließenden Kapitel, "Das Begehren am Schwanz gepackt", unternimmt Borch-Jacobsen einen letzten Versuch, die Frage nach dem Status des Begehrens bei Lacan zu klären, da dieses doch, entgegen allen Beteuerungen, immer wieder als Objekt, d.h. in gewisser Weise als existent dargestellt werde: "Nichtsdestoweniger geht es immer noch um ein erotisches und, was mehr ist, um ein einzigartig fixiertes, nicht austauschbares Objekt". Ein letztes Mal, so hat es den Anschein, insistiert Borch-Jacobsen auf dem Begehren als einer faßbaren Größe. Doch die Lösung, die er bereitstellt, ist nun eine klare Absage: "Die Frage nach dem 'Objekt' des Begehrens ist, wie man sieht, abermals keine andere als die nach der Manifestation des Subjekts des Begehrens, und wir wissen ja, wie Lacan sie bisher beantwortet hat: mit dem 'vollen Sprechen' und/oder dem 'Signifikanten', beides verstanden als Anwesenheit der Abwesenheit des Subjekts."
Geschickt und didaktisch gut durchdacht ist Borch-Jacobsens Strategie, das Objekt klein a erst am Schluß, nach der umfangreichen Erklärung des Begehrens (des Phallus und der Bedeutung des Ödipuskomplexes), einzuführen. Denn das Objekt klein a ist eigentlich kein Objekt, es ist Objekt nur, insofern es verlorengegangen oder ständig am Entschwinden ist, es ist die Ursache des Begehrens. In dieser phantasmatischen Form ist es dennoch der letzte verbleibende Kandidat dafür, daß sich das Begehren doch auf etwas Objekthaftes beziehe. Denn nun kann Borch-Jacobsen die Frage stellen, was denn mit dem durch den Kastrationskomplex "aufgerissen Loch" geschehen soll: "Kurz, das Objekt a ist das Objekt des Phantasmas, will sagen, dieses Lochstopf(er)-Objekt", das eben jenes Loch stopfen soll, was der Phallus, weil reiner Signifikant, unwiderbringlich nicht kann. Luzide ist seine Erklärung des Objekts klein a: Es "stellt das Subjekt am Rande des Entschwindens dar, aufgehangen (und so sein Begehren 'abstützend') am Rande der Kastration: 'Gehege der Zähne', an Brustwarze knabbernd; Lippen, sich um die Eichel schließend; Anusring, den Säulenschaft von Fäzes oder Penis abtrennend; Auge ans Schlüsselloch gepreßt; Mund anorektisch ums Nichts geschlossen."
Am Ende dieses schwierigen Buches wird klar: Borch-Jacobsen hat einen weiten Weg zurückgelegt. Die Dramatik dieses Wegs, die Unsicherheit an seinem Ausgang, die erschütternde Erkenntnis faßt Borch-Jacobsen in eindringliche Worte: "Wir hatten erst noch zu lernen, dieses Objekt nicht mehr zu sein, uns ihm zu entreißen, es definitiv zu verlieren. Wir waren nur noch ein Loch im Bild, und in dieses Loch müssen wir uns nun mit weit ausgerissenen Augen versenken."
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