Die sprachhistorische Aufarbeitung des Deutschen als Fremdsprache

Über Helmut Glücks Monographie "Deutsch als Fremdsprache in Europa vom Mittelalter bis zur Barockzeit"

Von Markus HundtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Hundt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nos enim maledictiones teutonicas intulimus et ipsi nobis arabicas et conclamavimus, nec ipsi nos, nec nos eos intelleximus. [...] 'Wir aber haben sie mit deutschen Flüchen belegt und sie uns mit arabischen, und so haben wir uns angeschrien, doch weder haben sie uns noch wir sie verstanden'. (Felix Fabri, zitiert nach Glück S. 118)

Diese Beschreibung des Jerusalempilgers Felix Fabri macht einen der ganz wenigen Fälle deutlich, in denen die Unkenntnis der jeweils anderen Sprache auch einmal von Vorteil sein kann. Helmut Glück stellt im Gegensatz dazu in seiner Monographie die vielfältigen Gründe für das Deutschlernen und die jeweilige Stellung des Deutschen als Fremdsprache (DaF) in den europäischen Nachbarländern detailliert vor. Er schließt damit eine seit langem bestehende Forschungslücke. Die Monographie ist - anders als der Titel erwarten lässt - mehr als eine bloße Dokumentation der Geschichte des Deutschen als Fremdsprache. Dessen ist sich auch der Autor bewusst, wenn er die präzisere Titelwahl als "sehr umständlich" ablehnt; hätte dann doch der Titel lauten müssen: "Geschichte des Hoch-, Mittel- und Niederdeutschen sowie des Niederländischen bis in den Zeitraum (16. und 17. Jahrhundert), an dem das Niederländische sich als eigenständige Sprache etablierte, als Fremdsprache(n)." Allerdings wäre auch dieser Titel noch ungenau, da der Autor immer wieder über die engere Geschichte des Deutschen als Fremdsprache hinausgreift und so streckenweise eine Geschichte des Fremdsprachenlernens in Europa im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit bietet.

Kapitel 2 enthält einen kurzen Abriss des Forschungsstandes zum Thema, in dem der Autor mit einigen Studien hart ins Gericht geht, wodurch die Notwendigkeit der Beschäftigung mit dem Untersuchungsgegenstand einmal mehr deutlich wird. Kapitel 3 präzisiert den Begriff des "Deutschen" im fraglichen Zeitraum. Wenn jemand Deutsch lernen wollte, schloss diese ,Redeweise' neben den hochdeutschen Dialekten auch das Niederdeutsche und das Niederländische mit ein. Zusätzlich thematisiert Glück hier das Verhältnis des Deutschen zum Jiddischen in seinen verschiedenen Ausprägungen. Kapitel 4 skizziert einerseits die "Völker- und Sprachenwanderungen in der Spätantike und im Mittelalter" und andererseits die "älteste[n] Berichte über Sprachkontakte des Deutschen". Hier finden sich geordnet nach Themengruppen zahlreiche Belege zu Sprachkontakten im allgemeinen, zum Fremdsprachenerwerb, zu Verständigungsproblemen und (mangelnden) Sprachkenntnissen, zu Problemen beim Erwerb des Deutschen und schließlich zu Resultaten des Sprachenkontaktes.

Auf den Kapiteln 5 bis 7 liegt der Schwerpunkt der Arbeit. Detailliert werden in Kapitel 5 die Gründe für das Deutschlernen - aufgefächert nach sozialen Domänen und Sprechergruppen - vorgestellt. Hier werden auch manche liebgewonnene Ansichten zum Schulwesen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit korrigiert. In Kapitel 6 wird die Stellung des Deutschen als Fremdsprache in verschiedenen europäischen Nachbarländern herausgearbeitet. Der Autor macht hier einen großen Rundgang durch Frankreich, Italien, die baltischen Länder, Russland, die nordischen Länder, die Niederlande, die britischen Inseln, die iberische Halbinsel, die böhmischen Länder und Polen. Das Fehlen von Ungarn, Rumänien, der Ukraine und der übrigen Balkanländer begründet der Autor mit den begrenzten Sprach- und Sachkenntnissen sowie mit der engeren Verbundenheit dieser Länder mit "einem anderen historischen Zentrum Mitteleuropas" nämlich mit Österreich. Kapitel 7 beschäftigt sich mit der lexikographischen und grammatikographischen Tradition. Besonders hervorgehoben werden muss dabei Kapitel 7.2, das eine interessante Aufarbeitung der Vochabolista-Tradition bietet, die - beginnend mit Georgs von Nürnberg "liber in volgaro" 1424 - bis ins 17. Jahrhundert reicht und die ein "entscheidender Schritt" ist "vom (semi-)oralen Unterricht zum schrift- und textbasierten Unterricht". Abgeschlossen wird dieses letzte Hauptkapitel mit einem Überblick zu den Grammatiken des 16. und 17. Jahrhunderts. Dass dabei Christian Gueintz fehlt ist verständlich, war doch seine Grammatik "Deutscher Sprachlehre Entwurf" auch für Muttersprachler nahezu unbrauchbar. Dass jedoch auch Johann Bödikers 1690 erschienene "Grundsätze der deutschen Sprache" - die grammatikographische Gelenkstelle zwischen Schottelius im 17. und Gottsched im 18. Jahrhundert - nicht eingehender vorgestellt wird, ist weniger nachvollziehbar bzw. zumindest erklärungsbedürftig.

Die zentralen Kapitel geben somit Auskunft darüber, wer, aus welchen Gründen, wo, wann und mit welchen Mitteln Deutsch gelernt hat. Glück legt dabei eine anschauliche, belegreiche und quellennahe Darstellung des Gegenstandes vor. Sehr leserfreundlich ist der Umgang mit den Zitaten, die - wenn sie nicht unmittelbar verständlich sind - jeweils übersetzt werden. Das gilt auch für Belege aus dem Frühneuhochdeutschen oder aus dem Mittelhochdeutschen. Der flüssigen Lesbarkeit etwas abträglich ist die Platzierung der Fußnoten jeweils am Kapitelende statt am Seitenende. Wünschenswert wäre es auch gewesen, (noch) mehr Abbildungen aus den Quellen zu präsentieren (wie z. B. in Kap. 6.8), um so dem Leser die Originaltexte näher zu bringen. Bei der Analyse der Quellen versäumt es der Autor nicht, sein Material auch einer profunden philologischen Analyse zu unterziehen. Die Darstellung der französisch-deutschen Übergangsvarietäten der Hugenotten sei hier nur als eines von vielen Beispielen erwähnt.

Neben dem Hauptthema kommen auch relevante Nebenaspekte zur Sprache. So ist z. B. der Erwerb einer Fremdsprache auch mit dem jeweiligen Prestige oder Stigma dieser Sprache und deren Sprecher verbunden. Der Verfasser kann anhand verschiedener Quellen die Stigmatisierung des Deutschen und der Deutschen plausibel rekonstruieren. Nicht nur galt das Deutsche als schwere Sprache, sondern auch die Deutschen waren als raue, trinkfeste Gesellen berüchtigt. Ihr "Ballermann-Image" existiert bei den europäischen Nachbarn schon sehr lange.

Darüber hinaus liest sich Glücks Studie an einzelnen Stellen wie eine Geschichte der Emanzipation anderer Sprachen vom Deutschen, etwa wenn die Etablierung von Standardsprachen in Dänemark und Schweden behandelt wird, die sich vom vormaligen starken niederdeutschen Einfluss lösten und so die "lange Epoche des 'semikommunikativen' Sprachkontaktes zwischen Deutschland und dem Norden" beendete. Unter Semikommunikation ist in diesem Fall eine Art Dialektkontakt zu verstehen, bei dem jeder Gesprächspartner seine eigene Sprache spricht, die des anderen aber weitgehend versteht.

Insgesamt dürfte die besprochene Monographie auf absehbare Zeit das Standardwerk zur Geschichte des Deutschen als Fremdsprache bleiben. Der Autor verweist abschließend auf noch bestehende Forschungslücken, die vor allem das 18. und das 19. Jahrhundert betreffen. Hier muss die Forschung zur Geschichte des Deutschen als Fremdsprache ansetzen.

Titelbild

Helmut Glück: Deutsch als Fremdsprache in Europa vom Mittelalter bis zur Barockzeit.
De Gruyter, Berlin 2002.
606 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-10: 3110170841

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