Mit verreckter Kamera

Das Toilettenbuch aus dem Hause Schwarzkopf & Schwarzkopf

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gekachelte Kühle. Kunstlicht. In der Mitte der Zelle ein Thron aus Keramik und Plastik, daneben eine Endlosrolle von Papier. Hinter der Tür mit der Doppel-Null, so meint man, hat kein Mensch etwas zu befürchten. Die Toilette ist still, ruhig und erleichtert. Und wer sich erleichtert hat, schafft Platz für Neues. Obendrein kann man hier eine ganze Menge lernen. Zum Beispiel, dass alles, was unten raus kommt, zuvor oben rein musste. Oder, dass es zur befreienden Auflösung einer Blockade keine endlosen Sitzungen braucht, sondern vor allem Entspannung.

Pro Jahr sondere der Mensch, so hat ein Herr Heiden 1881 ausgerechnet, 48,5 kg feste Exkremente und 422 kg Harn aus. Mehr noch, wir seien ein Abtritt auf zwei Beinen, befand der Psychotherapeut Georg Groddeck: "Die meisten Menschen leiden an Verstopfung, und ihre Gedanken sind drei Viertel ihres Lebens auf dem Klosett." Ein normaler Sechzigjähriger hat summa summarum 150 Tage seines Lebens auf dem stillen Örtchen verbracht. Das sind 150 Tage Komfort und Bequemlichkeit, Hygiene und Entsorgung - aber auch konzentriertes Brüten und sich Sammeln. Es soll sogar Fälle geben, die der Latrine ein rundes Lebensjahr geopfert haben.

Auch im Seelenleben beansprucht die menschliche Notdurft ihren festen Platz. Freud weist auf die anale Phase beim Kleinkind hin: "In frühesten Kindheitsjahren ist von einem Schämen wegen der exkrementellen Funktionen, von einem Ekel vor den Exkrementen noch keine Spur. Das kleine Kind bringt diesen wie anderen Sekretionen seines Körpers ein großes Interesse entgegen, beschäftigt sich gerne mit ihnen und weiß aus diesen Beschäftigungen mannigfaltige Lust zu ziehen." Das Versagen des Schließmuskels beim bettlägerigen Pensionär oder Rentner (und der fügliche Einsatz der Bettpfanne) gilt genauso als analerotisches Indiz wie übertriebene Sparsamkeit oder exzessiver Geiz.

Der menschliche Verdauungstrakt lässt sich mit anderen Worten nicht ausklammern. Weder in der Psychoanalyse, noch in der Kunst oder in der Fotografie. Für ihr Buch "Spülen nicht vergessen!" sind Stefan Schabenberger und Lars Lindigkeit quer durch die Republik gereist und haben wildfremde Menschen auf öffentlichen Bedürfnisanstalten fotografiert. Heimlich und ohne ihr Wissen. Aber was durch die gezielte Indiskretion und den fotografischen Hausfriedensbruch vielleicht noch interessant zu werden verspricht, entpuppt sich als Reinfall auf ganzer Linie. Schabenberger und Lindigkeit sind lärmend in einen Hort der Ruhe eingefallen, sie haben aus dem Refugium des Privaten etwas ganz und gar Hässliches gemacht.

Was hofften die Fotografen denn zu entdecken, als sie über den Türen und Trennwänden der Toiletten einer Kölner Discothek, einer Essener Baustelle, eines Schwimmbades in Dresden und anderer Orte frech den Auslöser ihrer Kamera abdrückten? Was anderes als bei höchst weltlichen Verrichtungen ertappte Menschen? Als ob man es nicht geahnt hätte, nutzen wir das Klo nicht nur für das Eine, sondern auch zum Zeitung lesen, Pizza essen, Koksen, Sex, Rauchen, Telefonieren, Geld zählen ... Vielleicht erblickt einer in der Toilette die Quelle ewig sprudelnden Glücks und setzt deshalb hier seine Kreuzchen auf den Lottoschein. Auch das soll vorkommen: Von Übelkeit geplagt, übergibt man sich säuerlich in die Schüssel. Wenn man sie denn trifft.

Die fotografische Feier des Gewöhnlichen und Banalen fügt dem, was dort hinter verschlossenen Türen vor sich geht, nichts hinzu. Nach jedem grellen Aufleuchten des Blitzlichtes werden Schabenberger und Lindigkeit kichernd wie zwei Schuljungen davongerannt sein, während ihre Opfer verwirrt und beschämt zurückblieben. Im Auto auf dem Parkplatz werden sie dann eine ihrer letzten Weisheiten ins Notizbuch geschmiert haben: "Sie erwarten lauter Bilder von defäkierenden Subjekten. Sozusagen Abdrücke von Menschen beim Abdrücken." Besonders übel stößt der platte Voyeurismus auf, wenn, wie auf einer der letzten Seiten, Menschen in verzweifelten Situationen abgelichtet werden. Hier hält sich ein Obdachloser schwankend und halb am Boden liegend über der Schüssel, auf dem Boden stehen zwei Dosen Bier.

Das Buch ist ein Kompendium des schlechten Geschmacks und Geruchs, ein nicht enden wollender Lausbubenstreich mit versteckter Kamera, wie auch Kurt Felix ihn nicht anders ersonnen hätte. Aber das ist nicht die einzige Hinterlassenschaft. Auch das Toilettenbuch nährt seinen Mann. Während sich der Verlag über die Prämienbegünstigung durch den Nachwuchswettbewerb des Art Directors Club Deutschland (ADC) freuen durfte, vertreiben die Autoren über eine einschlägige Website Buch, Postkarten, T-Shirts und anderes mehr. Es geht eben nichts über den geregelten Gang der Geschäfte. Der Rezensent empfiehlt die herkömmliche Entsorgung des Buchs über Eimer, Grube, Kanal und deren Kreislaufvarianten zurück zur Natur.

Titelbild

Stefan Schabenberger / Lars Lindigkeit (Hg.): Spülen nicht vergessen. Das legendäre Toilettenbuch.
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2003.
136 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3896024809

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