Vnd man soll solche straff mit dem fewer thun

Manfred Wilde zu Zauberei- und Hexenprozessen in Kursachsen

Von Günter Schäfer-HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Günter Schäfer-Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wilde strebt in seiner Habilitationsschrift eine "Synthese von analytischer verfassungs-, rechts- und sozialhistorischer Forschung" an, "die den Untersuchungsgegenstand als geschichtlichen Entwicklungsprozess und nicht als Phänomen begreift". Dieser geschichtliche Entwicklungsprozess umfasst den Zeitraum vom Spätmittelalter bis zur Aufklärung. Inhaltliche Schwerpunkte liegen in der "Betrachtung der für die Beurteilung des Straftatbestandes dienenden gesetzlichen Grundlagen und der Darstellung des Aufbaus, der Arbeitsweise und der Wechselwirkung landesherrlicher Judikaturinstitutionen". Weiterhin möchte Wilde "die Struktur der lokalen Gerichte, regionale, qualitative und quantitative Verfolgungsschwerpunkte und der dafür verantwortlichen Amtsträger" untersuchen und "Ursachen der Schuldzuweisungen, Hexendeutungsmuster und der sozialen Zuordnung der von einer Beschuldigung Betroffenen zu diesem Sachverhalt" darstellen. Strukturell solle "sowohl ein quantitatives als auch ein qualitativ-hermeneutisches Auswertungsverfahren als Synthese" angestrebt werden. Dazu hat Wilde Bestände aus 15 staatlichen Archiven, zwei Universitätsarchiven, sechs Handschriftenbeständen in Bibliotheken, 17 Stadtarchiven, 14 Kirchenarchiven und zwei Museen ausgewertet.

Eindeutige Stärken weist Wildes Arbeit immer dort auf, wo sozialhistorische Betrachtungen zu den bekannten 905 der Zauberei und Hexerei beschuldigten Einzelpersonen angestellt werden. Ansonsten bleiben seine Ergebnisse blass: Der Fülle des Materials hätten tiefer gehende Fragestellungen mit entsprechenden Ergebnissen folgen müssen - hier hält sich der Autor oftmals bedeckt.

Ein großer Störfaktor beim Lesen sind die unzähligen orthographischen und grammatikalischen Fehler und Dopplungen sowie widersprüchliche Thesen und die Vermischung der alten und neuen Rechtschreibung - ein Ärgernis für den Leser eines nicht gerade der unteren Preiskategorie zugehörigen Buches.

Noch gravierender sind jedoch die inhaltlichen Mängel. Dass das Mittelalter nur gestreift wird und lediglich als Vorgeschichte zum eigentlich zu untersuchenden Zeitraum behandelt wird, soll nicht beanstandet werden. Dass jedoch historische Sachverhalte bedenklich verkürzt oder gar nicht dargestellt werden, ist zu bemängeln. Insbesondere die herausragende Stellung Friedrichs II. bei der Einführung der Ketzergesetze mit Feuerstrafe wird nicht entsprechend berücksichtigt: Dass Friedrich II. in seinen Konstitutionen weit über bisheriges kanonisches Recht hinausging, das lediglich davon sprach, Ketzer mit der "animadversio debita" zu bestrafen, wird unterschlagen - ebenso der Straftatbestand des von Friedrich II. spätestens 1232 für das gesamte Reichsgebiet eingeführten "crimen laesae maiestatis divinae", der weit mehr beinhaltete als eine schlichte "Verleugnung des von Gott eingesetzten Kaisers": Die auf weltliches Recht übertragene "Verletzung der göttlichen Majestät" sah nun erstmals die Feuerstrafe als angemessene Bestrafung vor.

Auch spätantike Erklärungsmuster werden herangezogen: "Mit der Sanktionierung und Übernahme des Christentums als Leitreligion im Römischen Reich durch Kaiser Konstantin im Jahr 324 sah man jeden Angriff auf die christliche Religion als Schaden für die Gemeinschaft an. Mit der sich umfassend ausprägenden politisch-religiösen Welt schloss man sie als Dissidenten aus dem Gemeinwesen aus". Nicht nur, dass das Akkusativobjekt im letzten Satz ohne Bezug bleibt (wer sind "sie"?), außerdem irritiert die Aussage, dass im Jahr 324 das Christentum als "Leitreligion im Römischen Reich" übernommen worden sei: Das persönliche Bekenntnis Konstantins a. d. J. 324 zur christlichen Religion und die Übernahme des Christentums als Staatsreligion im Jahr 391 werden offensichtlich verwechselt. Der Begriff "Dissidenten" im Sinne von "außerhalb einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft stehend" ist darüber hinaus zu modern gedacht und wirkt verharmlosend: "extra ecclesiam nullus salus", so u. a. Cyprian, bedeutete vielmehr den völligen Ausschluss aus der Gemeinschaft, die Exkommunikation mit weit reichenden Konsequenzen.

Auch sonst benutzt Wilde nicht immer zutreffende Begriffe: Moderne Bezeichnungen wie "Nation" und "Staat" werden unreflektiert eingesetzt, ebenso Formulierungen wie "deutsche Ostexpansion im 10. Jh." und "deutsche Kolonisten".

Unverständlich sind auch Wildes quantitative Ergebnisse: "Von den 905 bekannten beschuldigten Einzelpersonen mit dem Vorwurf des Strafbestandes der Zauberei und Hexerei in Kursachsen waren 663 Frauen (73,3%) und 208 Männer (22,9%), bei 31 (3,4%) konnte eine Zuordnung zum Geschlecht nicht erfolgen". Diese Zahlen ergeben addiert 902. Wo die restlichen drei Personen verblieben sind, erfährt der Leser nicht.

Anders sehe die "Geschlechterverteilung bei den 284 bekannten Todesurteilen aus, wo Frauen in 246 Fällen (86,6%) und Männer in 38 Fällen (13,4%) davon betroffen waren. Die Gefahr, [...] mit einem Todesurteil belegt zu werden, lag somit bei den Frauen im Vergleich zu Männern allein aufgrund der Geschlechterspezifik um mehr als 10% höher". Diese Angabe erscheint jedoch äußerst ungenau: Wenn bei 663 angeklagten Frauen in 246 und bei 208 angeklagten Männern in 38 Fällen Todesurteile ergingen, so macht das eine prozentuale Verteilung von 37,1% bei den Frauen sowie 18,3% bei den Männern und somit immerhin einen Unterschied von 18,8%!

Der Autor konstatiert ein recht differenziertes Bild der sozialen Verteilung: "Von den belegbaren Einzelverfahren beiderlei Geschlechts betrafen 663 Frauen. 256 verheirateten Frauen stehen nur 97 Witwen [...] gegenüber, bei den übrigen Personen war der Familienstand nicht feststellbar". Jetzt folgt jedoch eine Feststellung, die sich dem Leser überhaupt nicht erschließt und darüber hinaus widersprüchlich ist: "Den 45 verheirateten Frauen im gebärfähigen Alter von 18 bis 49 Jahren stehen 73 Frauen über 50 Jahre gegenüber, 40 waren ledig. Somit kann aufgrund dieser Zahlen auch das Bild von der vornehmlich von der Verfolgung betroffenen 'armen alten Witwe' widerlegt werden." Zum einen fragt man sich, woher die 40 ledigen Frauen stammen, da ausschließlich "verheiratete" und "verwitwete" Frauen nachweisbar seien (und immerhin bei 310 Personen keine Zuordnung des Familienstandes, somit 47%!), zum anderen verwundert die Widerlegung des Bildes der "armen alten Witwe", stellt Wilde doch an anderer Stelle fest, dass "eine Witwe auf niederem sozialen Niveau häufiger von einem Todesurteil betroffen" gewesen sei als "Verheiratete mit gutem Sozialstatus". Und die Witwe auf "niederem sozialen Niveau" dürfte in Zeiten jenseits moderner Hinterbliebenenversorgung eher die Regel gewesen sein.

Als bereits spätantike Grundlage verweist Wilde auf "die Bibel, deren [...] Einfluss [...] in mentaler Hinsicht besonders hinsichtlich des Zaubereiglaubens und ähnlich gelagerter Fälle deutlich" werde. Es folgen "zahlreiche Beispiele" aus einer deutschen Bibelfassung (!). Wilde gibt zwar die Quelle nicht an, aber es scheint sich um eine aus dem Englischen rückübersetzte Lutherfassung aus dem Internet zu handeln: Der von ihm verwendete Text findet sich (inklusive der gleichen Rechtschreibfehler) unter http://www.godrules.net und hat mit Luthers Bibelübersetzung rein gar nichts zu tun.

Auffällig ist bei Wilde die Nennung von "Apokryphen" mit zwei Belegstellen: Apokryphen 22,15 und Apokryphen 21,8, die sich bei genauerem Hinsehen als Apc 22,15 und Apc 21,8 entpuppen - somit als Apokalypse bzw. Offenbarung des Johannes und mitnichten als apokryphe Schriften! Ein weiteres Beispiel Wildes ist Mk 16,17 - wiederum konsequent in der eigenwilligen "Lutherfassung": "In meinem Namen werden sie Teufel austreiben ...". Diese Textstelle dient jedoch eher als Beispiel dafür, dass der Rückübersetzer die Originalquelle (und auch Luthers theologisch-philologische Unterscheidungen) nicht kannte, heißt es doch nicht "Teufel", sondern "daimónia" im griechischen Neuen Testament bzw. "daemonia" in der lateinischen Vulgatafassung - also Pluralformen, die konsequent als Dämonen oder "böse Geister" wiedergegeben werden müssten. Als letzte vermeintliche Bibelstelle führt Wilde den Barnabasbrief an, der jedoch keineswegs der (kanonischen) Bibel entstammt. Die aus diesen "Beweisstellen" abzuleitenden Thesen sind mithin wertlos.

Ähnlich fundiert erscheint auch die Aussage, dass es "auf der protestantischen Seite [...] bald nach Einführung der Reformation Bemühungen [gab], gegen alle Formen überlieferter Volksfrömmigkeit vorzugehen. Sie passten nicht in den klar strukturierten theologischen Rahmen, wo allein der Pfarrer das Wort Gottes zu verkündigen hatte". Abgesehen davon, dass ein "klar strukturierter theologischer Rahmen" bald nach "Einführung" der Reformation wohl eher zu bezweifeln ist, widerspricht die Vorstellung des evangelischen Pfarrers als Wort-Gottes-Verkünder klar der lutherischen Vorstellung einer Priesterschaft aller Gläubigen, verbunden mit dem - im Gegensatz zum Katholizismus - obsoleten priesterlichen Mittelbau als Vermittler zwischen Gott und den Gläubigen.

Die letzten Hinrichtungen werden von Wilde mit 1749 in Würzburg, 1751 in Endingen/Württemberg und 1752 in Landshut/Kurfürstentum Bayern angegeben. In der zugehörigen Anmerkung ist eine Homepage vermerkt, die unvollständig angegeben wurde - das .htm fehlt. Auf dieser suspekt anmutenden Seite (http://perso.club-internet.fr/ehret/hexen.htm) stößt man auf eine nicht unbedingt zitierfähige private Homepage eines interessierten Hobbyhistorikers. Andere Internetadressen sind schlicht falsch angegeben.

Auch dieser Umstand ist symptomatisch für Wildes Arbeit: Die Fußnoten sind oftmals unstimmig, oder der Autor macht sich gar nicht erst die Mühe, Originalquellen einzusehen: So werden lateinische Quellen durchweg deutsch zitiert bzw. paraphrasiert - und über Gebühr werden diese Quellen der Sekundärliteratur entnommen: z. B. zitiert Wilde aus Tacitus' "Germania" ohne bibliographische Angabe mit dem lapidaren Verweis auf Jacob Grimms "Deutsche Mythologie", erschienen 1943 (und auch hier ohne weitere Angaben).

Wildes Arbeit besitzt das Verdienst, die erste umfassende regionalgeschichtliche Untersuchung zu Hexenprozessen in Kursachsen zu sein. Sie basiert auf reichem Quellenmaterial, es gelingt dem Autor jedoch leider nicht, der Arbeit die nötige und quellenkritische Tiefe zu verleihen, da er über das bloße Aneinanderreihen von Quellenmaterial nicht weit hinausgeht. Dort, wo er es unternimmt, treten erhebliche historische und theologische Ungenauigkeiten zu Tage. Wildes Verweis auf sozialgeschichtliche "Desiderate" zu diesem Thema entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als unbegründet: Arbeiten z. B. von Claudia Honegger und Christa Tuczay wurden einfach nicht berücksichtigt, die von Heide Wunder lediglich erwähnt. Der eigene, eingangs formulierte Anspruch einer sozialgeschichtlichen Untersuchung des Quellenmaterials wird von Wilde nicht überzeugend eingelöst. Auch das "quantitative und qualitativ-hermeneutische Auswertungsverfahren als Synthese" ist nicht geglückt. Was bleibt, ist ein interessanter rechtshistorischer Überblick und ein Quellenfundus für an der kursächsischen Regionalgeschichte und der Hexenforschung Interessierte. Wildes Arbeit umfasst 734 Seiten, wobei 456 davon den darstellenden Teil ausmachen Seiten beträgt. Die restlichen Seiten beinhalten eine Übersicht über die bekannten Hexenprozesse in Kursachsen, ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein umfangreiche Register.

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Manfred Wilde: Die Zauberei- und Hexenprozesse in Kursachsen.
Böhlau Verlag, Köln 2003.
734 Seiten, 69,00 EUR.
ISBN-10: 341210602X

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