Ende ohne Ende

Ein Sammelband zur Geschichte des "Corpus Hermeticum" in der Renaissance

Von Maximilian BergengruenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maximilian Bergengruen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Überbewertung des Hermetismus der Renaissance in den Forschungen von Frances A. Yates, insbesondere in ihrem 1966 erschienenen Buch "Giordano Bruno and the Hermetic Tradition", hat in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine intensive Diskussion ausgelöst. Interessanterweise stand die von ihr behauptete Kontinuität des Hermetismus in der so genannten Wissenschaftlichen Revolution gar nicht im Zentrum der Debatte, sondern vielmehr die dieser Behauptung zugrunde liegende, wesentlich harmloser scheinende These, dass es überhaupt eine hermetische Renaissance-Philosophie gegeben habe. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Forschungen Brian P. Copenhavers hervorzuheben, in denen luzide gezeigt wird, dass der Name Hermes Trismegistos bereits in der italienischen Renaissance-Philosophie die Rolle eines doxographischen Etiketts angenommen hat. Wo Hermes draufsteht, so lassen sich seine Thesen zugespitzt reformulieren, ist mitnichten immer Hermes, sondern sehr oft Neuplatonismus drin. Copenhavers Thesen sind allerdings in der deutschsprachigen Renaissance-Forschung - anders als in der englischsprachigen - kaum zur Kenntnis genommen worden, zu zugkräftig und verführerisch einfach wirkten die Thesen Yates'.

Der von Martin Mulsow herausgegebene Band über das ,Ende des Hermetismus' nimmt diese Debatte nicht noch einmal auf, ja zeigt sich sogar betont harmonisch mit den Vorgaben Yates'. Er lässt sich jedoch gut als ein Gegenkommentar zu den Schriften der großen Renaissance-Forscherin lesen, wird doch an ihm deutlich, dass die Kritik an ihr historische Vorläufer hat. Ja man könnte sagen, dass eine ähnliche Debatte wie die über die Yates-These rund 400 Jahre früher schon einmal, allerdings unter ganz anderen Vorzeichen, geführt wurde. In einer klugen Zusammenstellung von renommierten, bereits gedruckten und originalen Beiträgen ist ein Band entstanden, der die Diskussion über den Einfluss des Hermetismus im 16. und frühen 17. Jahrhundert nachzeichnet und an ihrem neuralgischen Punkt bündelt: der Datierungs- und Echtheitsfrage des "Corpus Hermeticum" und der "Tabula Smaragdina" (die ebenfalls dem Autor Hermes zugeordnet wurde). Insbesondere in den Aufsätzen von Frederick Purnell, Jr. und Anthony Grafton wird eine genaue Rekonstruktion der Debatten zwischen Francesco Patrizzi und Teodoro Angelucci, der vorhergehenden Invektiven gegenüber dem "Corpus Hermeticum" und dem Hermetismus durch Gilbert Genebrard und Johan van der Gorp und natürlich des Paukenschlags in der Debatte, Isaac Casaubons ,Erweis' der Unechtheit der hermetischen Schriften im Jahre 1614, geboten.

Diese Debatte in den Fokus der Renaissance-Forschung zu rücken, war, so lässt sich nach der Lektüre festhalten, wichtig. Es ist mehr als interessant zu wissen, dass nicht nur der heutigen Forschung, sondern auch den Zeitgenossen die frappierende Ähnlichkeit zwischen christlichem Platonismus bzw. Neuplatonismus und den hermetischen Schriften aufgefallen war. Ja letztendlich ging die Spätrenaissance noch einen Schritt weiter als die Yates-Kritiker: Nicht nur der Bezug auf das "Corpus Hermeticum", sondern dieses selbst wurde als doxographische Geste enttarnt.

Unklar bleibt allein, warum der Band "Ende des Hermetismus" betitelt wurde. Die Frage, die sich an die Rekonstruktion der Debatte um die Echtheitsfrage anschließt, ist doch vielmehr die, warum es im 17. und 18. Jahrhundert kein Ende des Hermetismus gab, obwohl es zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit großen Worten eingeläutet wurde. Diesen Punkt hat der Herausgeber natürlich nicht übersehen und ihm insofern Rechnung zu tragen versucht, als er in der Kapitel-Übersicht (aber eben nicht im Titel) das "Ende" mit einem Fragezeichen versehen und im - sehr klug argumentierenden - "Epilog" eine Unterscheidung zwischen schnellem und langsamem Ende des Hermetismus eingeführt hat. Allerdings bleibt er auch darin den Nachweis schuldig, worin das "schnelle Ende" des Hermetismus bestanden haben soll. Dabei kann man mit Mulsows, von Copenhaver herrührenden, mit dem Beitrag von Nancy G. Siraisi historisch untermauerten Argument, dass Hermes, im Paracelsismus wie anderswo, vor allem eine Legitimationsstrategie darstellte, sehr gut zeigen, dass es ein Ende ohne Ende war: Der Hermetismus war gar kein Hermetismus, das wusste niemand besser als die Hermetiker selbst. Daher spielten für sie die Debatten über Datierung und auktoriale Zuschreibungen des "Corpus Hermeticum" auch nur eine untergeordnete Rolle.

Titelbild

Martin Mulsow: Das Ende des Hermetismus.
Mohr Siebeck, Tübingen 2002.
405 Seiten, 59,00 EUR.
ISBN-10: 3161477782

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