Das Echo des Fremden im Inneren der Rede
Über Ferdinand Schmatz' "tokyo, echo oder wir bauen den schacht zu babel, weiter"
Von Ute Eisinger
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWenn man die Sprache sucht und nach Japan geht, ist sie Japanerin. Kommt man dabei aus Wien wie Ferdinand Schmatz, so hat das den Vorteil, dass alles Verzopfte, allzu Gewohnte wegfällt und sie gleichsam neu dasteht - als pures Bild und Klang, den man genießen als auch nutzen mag, ohne dem Denken ausgetretene Bahnen aufzuzwingen. In diesem Sinne zeigt der Einband die Rückenansichten geheimnisvoller Japanerinnen: als lüden sie dazu ein, man möge ihr feines, glattes Haar zu einem neuen Zopf flechten.
In "tokyo, echo" hat sich der Dichten den Echos des Fremden gestellt, und selbst den üblichen Schnappschüssen, die der Tourist aus dem Kabuki-Theater und von Spaziergängen über die Brücken Petersburgs mitnimmt, gewinnt er Einsichten ins Innere des Sprechens ab, die erfreulich leichtfüßig und herzhaft gescheit sind. Das Ergebnis dichtet alles Murren und Raunen, die allen voran in Österreich gepflogene sogenannte experimentelle Sprachkunst wäre unnahbar theoretisch, in Grund und Boden.
Angefangen mit "das grosse babel,n" hat der Dichter die experimentelle Literatur Österreich aus einer autistischen Sackgasse geführt, indem er sich auf einen allgemein bekannten Fremdtext einließ - die Heilige Schrift. Im folgenden Roman "portierisch" arbeitete er mit autobiografischem Material. In "tokyo, echo" hat er den Sprung in die Fremde gewagt - um dichtend zu belichten, welche Möglichkeiten freies Sprechen bereit hält.
Wie sich das Vorläuferbuch "das grosse babel,n" am roten Faden von Thora und Apokalypse durch die Sprache gearbeitet hat, lässt sich Schmatz nun vom Unbekannten - nach Tokio bereist er die Stadt St. Petersburg, daraufhin begibt er sich in Gedichte von Hölderlin, Wilhelm Busch, Kafka u. a. - anziehen. Ein solches Verfahren erfordert Mut - Vertrauen darauf, dass sich das Erkannte auf irgendeine Art neu lege (füge), und in der Simultaneität hörend/sprechenden Denkens, das Dichten ist, unbekannte Räume erschließt; ein Mut, der in "tokyo, echo"vor allem Lust macht, sich frisch und unverbilde(r)t aufs Sprechen einzulassen, wenn es sich an den Sinnen des Gehörs durch die Ganglien des Sinns bahnt.
Im Untertitel "wir bauen den schacht zu babel, weiter" bezieht sich Schmatz auf Kafkas rätselhaftes Diktum von der Ergründung der Wahrheit unter der Rede; selbst die Betrachtung japanischer Hochbauten wird beim Dichter Forschung und Grabung im Erdinneren des Sprechens: Die Auftürmungen sprachlicher Gebilde, mit denen wir uns die Bahnen des Denkens nach oben, wo frei gedacht werden kann, verbauen, straft Schmatz stets Lügen.
Die gut zwei Dutzend Gedichte, aus denen das Ganze besteht, gruppieren sich in drei Teile: Tokio, Petersburg, Gedichte. In der ersten Stadt hatte sich der Dichter als Deutschlektor vor geraumer Zeit vor dem publizistischen Durchstarten gesammelt und auch den zweiten Ort kennt er von einem früheren, seinen Lebenslauf entscheidenden Aufenthalt (wie die Leser seines letzten Buches, "portierisch", wissen). In den verwendeten einzelnen Gedichten sucht der Dichter Treffpunkte mit anderen auf: All dies gibt den Stoff, mit dem gearbeitet wird. Dabei bringt Schmatz einen starken Strang gebundener Worte ans Licht, im für ihn kennzeichnenden Doppelverfahren unmittelbar aufgeworfenen Dichtens ("jetzt"), gefolgt von dessen Analyse ("danach").
Es ist nichts Neues, dass er dabei erfährt, wie alles Geäußerte launischen wie logischen Quellen entspringt, bis all seine Verästelungen in einen Lauf fließen - eines auf der Suche nach Erkenntnis befindlichen Gedankenstrom-Bettes. Gesteigert ist vielmehr die Freude, die Schmatz daran hat, den Sinnen die lange Leine des Sinns zu geben, sich hin und wieder verführen zu lassen, zu flanieren. Dass "tokyo, echo" Schmatz' Weg als zunehmend verspielteren erweist, tut der Gesamtheit experimenteller Texte gut; bei Ferdinand Schmatz geht Dichten mit vehementem Fortschritt einher, ohne dass sich die Scherze auf oulitpotischen Pfoten im Zirkel drehten.
Schließlich verkünden Schmatz' Ansichten von exotischen Orten und Gedichten keine Einsichten in Tokyo, Petersburg, Dichter, sondern erforschen das Echo, das bei jeder sprachlichen Aufmerksamkeit heraus klingt und "dichten" überall dort, wo im Erkennen der Verfahrensweise von Sprache die Lust zu neuen Kombinationen einen weiter treibt.