Gangsters' Paradise
Der Aufstieg und Fall des afro-amerikanischen Zuhälters Iceberg Slim
Von Jan Weber
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"In der weißen Welt bist du noch immer ein Schwarzer. Aber dein Traum, etwas darzustellen und bewundert zu werden, lässt sich auch innerhalb der Ghettomauern realisieren. Ganz einfach. Brauchst dir nur als Lude eine goldene Nase zu verdienen. Streng dich an! Mit Kies und der richtigen Fassade kriechen sie dir in beiden Welten in den Arsch, bis er grün und blau ist."
Als Pimp muss man eiskalt sein. Ein Gemütsathlet. Man muss Gott sein für die Huren im eigenen Stall. Der Pimp ist ihr Manager, Beschützer, Liebhaber, Peiniger und Versorger; sie nennen ihn Daddy. Zeigt er die kleinste Schwäche werden ihm die Mädchen auf der Nase rumtanzen. Die Konkurrenz wird sie abwerben und die Einnahmequelle ist mitsamt einem Teil der 'street-credibility' dahin. Man muss immer auf Zack sein. Kein Pimp wird jemals alle Tricks und Maschen der Straße kennen lernen. Die Straße wird ihren Tribut fordern. Gefängnis und Drogen sind gleichermaßen Wegzoll und Mittel zum Zweck. Erfahrungen und Stimulanzien sorgen dafür, dass man seine Emotionen und die Mädchen im Griff hat, die Fassade nach außen hin so eisig wie möglich wird.
Iceberg Slim, dessen Autobiographie hier behandelt wird, ist intelligent, verfügt über Bildung und ist im Grunde seines Herzens ja ein netter, sensibler Kerl. Nur ist es eben sein Geschäft, Mädchen bzw. Frauen "aufzureißen" und sie zu überreden, für den Pimp zu arbeiten. Anschließend wird er durch Prügel oder Androhung von Gewalt ihren Willen brechen und sie gefügig machen, um mit ihnen und durch sie Geld zu verdienen. Der Iceberg verprügelt seine Huren nur, wenn sie sich nicht an die Regeln halten. So ist das nun mal im Milieu.
Wer hier denkt, dass dieses Buch von Gewalt, Sex- und Machismen nur so strotzt, der liegt richtig. In einer Zeit, in der man von political correctness nicht einmal zu träumen wagte, führt der Protagonist den Leser als allwissender Erzähler über die Sprossen seiner Karriereleiter. Niemals schlauer, sondern an den einzelnen Erfahrungsschritten teilnehmend, immer tiefer ins Unheil hineinschliddernd, begleiten wir ihn durch seine Kindheit im provinziellen afroamerikanischen Milieu der dreißiger und vierziger Jahre, über seine Karriere als Topzuhälter in Chicago bis hin zur Abwendung vom kriminellen Dasein im Familienleben.
Robert Beck, alias Icberg Slim, zeichnet eine düstere Milieustudie, die überschattet ist von der Diskriminierung der Afroamerikaner seitens der weißen Mehrheit, aber auch von Rassismen und vor allem Sexismen innerhalb der afroamerikanischen Gesellschaft selbst, in der auch Unterschiede gemacht werden, wie schwarz denn nun dieser oder jener "pimp" wirklich ist und wie seine Wertigkeit zu bestimmen sei. Deutlich tritt bei den ganzen Rivalitäten hervor, dass Frauen nur einen Wert haben, nämlich ihren Marktwert, der durch die "Qualität" der sekundären Geschlechtsmerkmale und der Schönheit bestimmt wird. Männer, die ihre Frauen aufrichtig lieben, ziehen grundsätzlich den Kürzeren.
Die Charakterdarstellung ist oberflächlich, was gar nicht kritisch gemeint ist, da der Roman ja, wie er dem Leser glaubhaft vermitteln kann, im Rotlichtmilieu spielt, in dem sich jeder hinter einer Fassade versteckt. Image ist alles, Freunde und enge Vertraute gibt es nicht, oder nur scheinbar.
Pimp ist immer noch die Bibel des jungen, aufstrebenden Gangster-Rappers und Iceberg Slims Vokabular auch das der zahlreichen Fans. In den 80er Jahren waren es Leute wie Ice-T und Ice Cube (beide tragen die Kälte in ihrem Namen) die zumindest verbal ihrem Vorbild Rechnung trugen und ihm mit Zitaten und Imitation huldigten. Heute sorgen HipHop-Stars wie 50Cent dafür, dass der PIMP (auch der Titel eines Top-Hits des Rappers) nicht in Vergessenheit gerät. Veraltet sind die Slangwörter des englischsprachigen Originals kaum, wie uns die deutsche Übersetzung - vielleicht besser Adaption - glauben machen möchte, die vielleicht in den Rotlicht-Milieus deutscher Großstädte der 60er Jahre en vouge waren, heute jedoch für Kopfschütteln beim Lesen sorgen.
Schlussendlich eine lesenswerte, ambitionierte Übersetzung einer abenteuerlichen Autobiographie und Milieustudie, deren englischsprachige Originalausgabe aufgrund ihres authentischen Werts des metaphernreichen, dreckigen Ghetto-Slangs leider nicht zu toppen ist und nicht ohne Grund fast 50 Jahre auf sich warten ließ.