Die Relativierung des Menschlichen
Philip K. Dick stellt existenzielle Fragen nach dem Wesen der Wirklichkeit
Von Micha Wischniewski
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs gibt gewiss nicht viele Gründe, Heyne zu Dank verpflichtet zu sein. Einer der wenigen ist der Umstand, dass sich die Münchener dem Œuvre Philip K. Dicks angenommen haben und anlässlich des deutschen Kinostarts von "Paycheck - Die Abrechnung" eine Anthologie mit Kurzgeschichten veröffentlichen, die größtenteils aus der Frühphase des Autors stammen. Auch wenn die meisten der zwölf hier versammelten Erzählungen bei all ihrer Qualität nicht an die Genialität von etwa "VALIS" oder "Träumen Androiden von elektrischen Schafen?" heranreichen, zeigen sie doch ganz unverkennbar, wes Geistes Kind sie sind: Dick stellt Fragen nach dem Wesen der Realität, nach ihrer Statik genauso wie nach ihrer Relativität ("Paycheck - Die Abrechnung", "Ein kleines Trostpflaster für uns Temponauten"), und bemüht sich, das Problem der Definition von Menschlichkeit zu lösen, indem er Maschinen vermeintlich menschliche Züge verleiht - und diese dadurch relativiert. Geradezu vernachlässigt wird dagegen der metaphysische Aspekt, der im Laufe seines Schaffens eine immer dominantere Rolle spielen sollte; lediglich "Die Präpersonen", die einzige Enttäuschung der ansonsten wirklich ordentlichen Sammlung, berührt diesen Komplex marginal: Was Dick hier abliefert, ist eine völlig polemische Antiabtreibungsgeschichte, in der Väter zu Verteidigern allen Lebens idealisiert und Mütter als kinderschlachtende Amazonen mit einem tiefen Hass gegen die eigene Art beschrieben werden, die einfach "mal eben" abtreiben, weil es halt gerade angesagt ist.
Sieht man von diesem Fauxpas jedoch ab, bietet "Paycheck - Die Abrechnung" einen gelungenen Einblick in die ersten Entwürfe Dick'scher Welten, der es nicht versäumt, zu außergewöhnlichen Höhenflügen anzusetzen, wie "Autofab" oder "Zur Zeit der Perky Pat" mit spielerischer Leichtigkeit beweisen.
Schade nur, dass es eines Hollywood-Films und eines Ben Afflecks bedarf, einen der größten Science-Fiction-Autoren wieder zu publizieren - bedenkt man die Substanz seiner Werke, hat Dick diese Stütze alles andere als nötig.
Werden die Auseinandersetzung mit der Beschaffenheit der Realität und die Frage nach einer überirdischen Existenz in der Anthologie angerissen bzw. lediglich marginal gestreift, so widmet sich Dick diesen Komplexen in seinem Roman "Die drei Stigmata des Palmer Eldritch" eingehendst.
Auf inhaltlicher Ebene handelt Dick die Geschichte Leo Buleros, eines raffgierigen Drogenbosses, seines ranghohen Angestellten Barney Mayerson und Palmer Eldritchs, Buleros Rivale, ab. Bulero, der einen Großteil seines Gewinnes dem Verkauf der Droge Can-D an hoffnungslose Mars-Kolonisten zu verdanken hat, sieht sein Monopol wanken, als Palmer Eldritch 10 Jahre nach seinem Verschwinden aus dem Sol-System wieder auftaucht und mit dem Konkurrenzprodukt Chew-Z Bulero seiner Kundschaft berauben möchte. Kämpft dieser zu Beginn noch um das finanzielle Überleben, dauert es nicht lange, bis er und sein Angestellter Mayerson, der sich auf den Mars versetzen lässt, um für sein bisheriges Leben Buße zu tun, zu der Erkenntnis gezwungen sind, dass es um deutlich mehr als um monetäre Eigeninteressen geht, denn Chew-Z verändert nicht nur die subjektiv wahrgenommene Realität des Konsumenten, sondern auch die objektive allen Seins.
Auf Grund der zahlreichen Verwicklungen und diverser aufgestellter Theorien zu Palmer Eldritch ist es schier ein Ding der Unmöglichkeit, den Inhalt in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die Frage nach dem wahren Wesen des Rückkehrers im Laufe des Romans immer entscheidendere Züge annimmt: Ist es überhaupt Palmer Eldritch, der zurückgekehrt ist? Ist er von einer göttlichen Macht beseelt, oder aus welchem Grund vermag er es, in die Halluzinationen der Chew-Z-Konsumenten einzudringen? Oder ist Eldritch selbst sogar Gott?
Auch wenn Dick die Handlung vor einem futuristischen Hintergrund ansiedelt, vermeidet er es tunlichst, sich in einer der gefährlichsten Fußangeln der Science-Fiction zu verfangen: An keiner Stelle erliegt er der Gefahr, die Technologie zum Fetisch zu erheben und ins Staunen über mögliche, von Menschenhand erschaffene Wunder zu verfallen - dazu sind ihm die gestellten Fragen und dazu gesponnen Theorien viel zu wichtig. Ganz Dick, ganz suchender Mystiker spielt er unterschiedliche Lösungsansätze durch, ohne eine definitive Antwort zu gewähren - im Falle von "Die drei Stigmata des Palmer Eldritch" verwehrt sie schon der Umstand, dass man nach dem ersten Drittel des vor religiöser Symbolik nur so strotzenden Romans nicht mehr mit absoluter Sicherheit sagen kann, ob die Charaktere nun halluzinieren oder ob sie sich in der "Realität" befinden. Allzu oft wiegen sie sich in Sicherheit, nur um einen, wenn nicht mehrere Palmer Eldritchs zu treffen oder um sich gar selbst in ihn zu verwandeln.
"Die drei Stigmata des Palmer Eldritch" liest sich als das beeindruckende Manifest eines nach religiösem Sinn suchenden Menschen, das den Leser ob seiner Untiefen und Doppelbödigkeit so staunend wie verunsichert zurücklässt. Dieser Roman spricht Zeugnis von der Genialität, aber auch von der tief verwurzelten Verunsicherung eines Autors, der es weder sich noch seinen Lesern jemals leicht gemacht hat.
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