Das schönste Land

Mit Jürgen Grambow und Gunnar Müller-Waldeck auf Dichters Spuren in Mecklenburg-Vorpommern

Von Viktor SchlawenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Viktor Schlawenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es ist wirklich die größte von allen Städten, die Europa birgt. Die Stadt ist angefüllt mit Waren aller Völker des Nordens, nichts Begehrenswertes oder Seltenes fehlt. Die Insel wird von drei Meeren bespült, eins davon soll von tiefgrünem Aussehen sein, das zweite weißlich; das dritte wogt ununterbrochen wildbewegt von Stürmen."

Nach wie vor sind sich die Experten uneins, wo Vineta, die sagenhafte Goldstadt, liegt. Manche suchen ihre Überreste im ehemaligen Mündungsgebiet der Oder im Barther Bodden, andere im Meeresgrund vor Usedom. Denn das "Venedig der Ostsee" soll im 12. Jahrhundert von den Dänen erobert und zerstört worden sein - bevor es ein Opfer der Literatur und der Sagenwelt wurde.

Mecklenburg-Vorpommern, das scheinbar karge Bundesland an der Ostsee, bietet mit der Rostocker Heide das größte zusammenhängende Waldgebiet Norddeutschlands, mit Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald wichtige Hansestädte und architektonische Zeugen der Backsteingotik, mit Heiligendamm eine der exklusivsten Hotelanlagen, die nach der Wende in historischer Bausubstanz geschaffen wurden, mit Graal-Müritz ein bekanntes Seeheilbad, in dem schon Robert Musil, Hans Fallada, Franz Kafka, Alfred Kerr oder Einar Schleef (in der dortigen Reha-Klinik) Erholung suchten, und mit dem Fischland und dem Darß nördlich des Saaler Boddens das überhaupt "schönste Land in der Welt", wie Uwe Johnson in "Jahrestage" verkündete. Hier sind die Winter mild und die Sommer erträglich, hier spricht man noch Platt und lobt die Platte, wenn sie, wie am alten Rostocker Hafen, mustergültig in das Stadtbild eingepasst ist.

Ein literarischer Wegweiser durch "McPomm", wie das im äußersten Nordosten Deutschlands gelegene Bundesland auch liebevoll genannt wird, führt uns jetzt auf die Spuren von Johann Heinrich Voß, Ernst Moritz Arndt, Fritz Reuter, Theodor Fontane, Heinrich Schliemann, Ernst Barlach, Ehm Welk, Hans Fallada, Käthe Miethe, Wolfgang Koeppen, Hans Werner Richter, Brigitte Reimann - und natürlich Uwe Johnson, dessen (Wahl-) Heimat freilich südlicher lag, bei Güstrow, westlich der Mecklenburgischen Schweiz: "Aber wohin ich in Wahrheit gehöre, das ist die dicht umwaldete Seenplatte Mecklenburgs von Plau bis Templin, entlang der Elde und der Havel [...]."

Uwe Johnson (1934-1984), so führen Gunnar Müller-Waldeck und Jürgen Grambow in ihrem Autorenporträt aus, habe die Region mit einem "geistigen Moment" versehen, das weit über "das Stoffliche" hinausweise. Seine Aufzeichnungen hätten den fiktiven Flecken seiner imaginären Topographie eine spezifische Authentizität 'übertragen', in der sich "mecklenburgische Mentalität und Schnurrenhaftes" und "erfundene und real existierende Orte" zu "Formen der Moderne" verknüpften.

Die ausgewählten Autorenporträts, die Gunnar Müller-Waldeck und Jürgen Grambow an den Anfang ihres "Literarischen Wegweisers" gestellt haben, demonstrieren, wie die Phantasie der Autoren etwas der Wirklichkeit hinzufügt, und wie die Wirklichkeit wiederum auf die Phantasie der Autoren zurückwirkt. Auch der Historiker, Freiheitssänger und Reiseschriftsteller Ernst Moritz Arndt (1769-1860) hat sich seine Heimat 'entworfen' - und seine publizistische Streitbarkeit mit Amtsenthebung und Exil bezahlen müssen. Von regionaler Bedeutung ist der gebürtige Rostocker John Frederick Brinckman (1814-1870), der mit seiner plattdeutschen Prosa und in "Seemannslatein" in bewusste Konkurrenz zu Fritz Reuter (1810-1874) getreten war. Harte und finstere "Sozialerfahrungen" hat Hans Fallada (1893-1947) im Norden gesammelt, hier aber auch Erholung gesucht und gefunden, während die 'Heimatschriftstellerin' Käthe Miethe (1893-1961), eigentlich aus Rathenow im Märkischen gebürtig, hier Unterschlupf vor den Nazis suchte.

Walter Kempowski (geb. 1929), dem vielleicht bekanntesten gebürtigen Rostocker, ist kein eigenes Kapitel gewidmet, doch wird er mit seiner "Deutschen Chronik" (1971-1984) im "Alphabetischen Ortsregister" aufgeführt, und im Kapitel "Rundgänge & Routen" auch als Ehrenbürger und Ehrendoktor seiner Heimatstadt verzeichnet. Das Buch der beiden Literaturwissenschaftler besteht im Wesentlichen aus den drei Hauptteilen "Ausgewählte Autorenporträts" (circa 90 Seiten), "Alphabetisches Ortslexikon" (circa 250 Seiten) sowie "Rundgänge und Routen" (circa 40 Seiten). Eine Bibliographie ("Autobiographisches, Lebenserinnerungen, Memoiren") von Autoren, die mit Mecklenburg-Vorpommern "Berührung" hatten, ein Literatur- und ein Personenregister runden den empfehlenswerten Band ab, der in der hinteren Klappe auch eine Karte mit sich führt.

Titelbild

Jürgen Grambow / Gunnar Müller-Waldeck: Auf Dichters Spuren. Ein literarischer Reiseführer durch Mecklenburg-Vorpommern.
Hinstorff Verlag, Rostock 2003.
412 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3356010182

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