Der König ist tot! Es lebe die Drag Queen?

Claudia Breger untersucht das Nachleben von Monarchen als literarisierte Königsfiguren

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man mag begrüßen, dass in Deutschland die Monarchie mit Ableben des Kaiserreichs das Zeitliche segnete, oder mit Blick auf die glanzvollen Hochzeiten blaublütiger Paare in Spanien, Dänemark und in anderen glücklichen Landen bedauern. In diesem Fall kann man einen gewissen Trost in der Lektüre der Regenbogenpresse finden. Doch auch in anderen fiktionalen Erzeugnissen - in Teilen der Literatur und Kultur - hat die Monarchie ihren Sturz im Jahre 1918 schadlos überdauert und kann sich einer "gespenstischen Macht" erfreuen. Ihr und den Königsfiguren in der Literatur und anderen fiktionalen Medien geht die Literaturtheoretikern Claudia Breger in ihrer Studie "Szenarien kopfloser Herrschaft" nach. Königsfiguren, so die Autorin, haben im 20. Jahrhunderts "immer wieder Konjunktur gehabt", in dessen Verlauf sie nicht nur "Problematiken politischer Herrschaft" verkörperten, sondern auch "Konzeptualisierungen der Kunst und ihrer (mangelnden) 'Souveränität'". Dieses "Gespensterwesen' der guillotierten Könige" ist das Thema ihrer Untersuchung, in der sie Analysen politischer, ästhetischer und subjektgeschichtlicher Probleme miteinander verknüpft und danach fragt, "wie Subjektivität, Kunst und Gesellschaft bzw. Nation im gegenseitigen Austausch königlicher Metaphern konfiguriert werden".

Unter theoretischer Bezugnahme auf die Arbeiten von Jacques Derrida, Michel Foucault, Judith Butler und Slavoj Zizek zieht Breger als Untersuchungsobjekte "Textfigurationen" etwa des George-Kreises, Else Lasker-Schülers, Ingeborg Bachmanns, Hubert Fichtes, aber auch die Sissi-Filme, Ulrike Ottingers Film "Madame X" oder die Büste der "Berliner Nofretete" heran, wobei sie ihr Hauptaugenmerk allerdings auf die deutschsprachigen Szenarien der Zeit nach 1945 richtet. Denn erst nach dem Zweiten Weltkrieg rückte die "notwendige Gewaltkonnotation" der "königlichen Metaphern und Metonymien" für politische Autorität und individuelle Auszeichnung derart in den Vordergrund, dass sie "kompromittierend" wurden. Gleichwohl betont die Autorin auch die "deutliche[n] Kontinuitäten", die nach 1945 Bestand hatten und etwa in den idealisierten Königsfiguren zum Ausdruck kamen, die sowohl in den Sissi-Filmen der 50er Jahre als auch bereits in Imaginationen um 1900 (etwa in Frank Wedekinds "König Nicolo" oder in Rudolph Lothars "König Harlekin") "im Zeichen einer Moderne" standen, die ihre Konturen durch die "Zergliederung königlicher Gewalt in der Imagination von Staat, Subjekt und Kunst" erlangten.

Die Figuren des Königtums, denen "ihre Zugehörigkeit zur Vormoderne auf den Leib geschrieben" sei, prägten das "soziosymbolische Universum der Moderne" ebenso konstitutiv wie anhaltend über die 50er, 60er und 70er Jahre hinaus bis hinein in die Postmoderne. Hier nun beginnen drag kings und queens eine "zentrale Rolle" zu spielen. Denn, so argumentiert Breger, wenn die Performance des von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe so bezeichneten "egalitären Imaginären" auch den "(strategischen) Gebrauch königlicher Namen und Gesten" umfassen könne, stelle sich die Frage nach den "genauen Konturen" einer derartigen Resignifikation. Gilt, so fragt die Autorin, also die Parole: "Der König ist tot - es lebe die queen"? "Vielleicht hier und da", lautet ihre eher zurückhaltende Antwort, "aber nur in ganz spezifischen Kontexten und rhetorisch-performativen Formen, die (u. a.) über die Fragen von gender und sexuality hinaus auch die von race und class adressieren".

Provokanter klingt ihre These, dass Jacques Derridas und Judith Butlers Behauptungen einer "radikaler Kontingenz von Autorität" "unheimliche Verbindungen" zur "dezisionistischen Legitimation der Gewalt" bei Carl Schmitt unterhalten. Doch auch hier zieht Breger die ruhige Reflexion dem kurzatmigen Effekt vor. Entscheidend sind ihr nämlich die Unterschiede zwischen den drei "theoretisch-politischen Entwürfe". Während Schmitt die "Diagnose der Kontingenz" mit einem "Phantasma der Souveränität" zu beantworten sucht, verdichtet Derrida den "'mystischen' Grund" der Autorität in der "Ordnung der Sprache" und bei Butler schließlich wird das "Phantasma individueller Souveränität" als "Strategie der Machtperformanz" lebbar.

Titelbild

Claudia Breger: Szenarien kopfloser Herrschaft. Performanzen gespenstischer Macht.
Rombach Verlag, Freiburg 2004.
540 Seiten, 64,00 EUR.
ISBN-10: 3793093603

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