Unverhofftes Wiedersehen vor Petrarcas 700. Geburtstag

Wie die Nachrichtenagentur AP im April dieses Jahres, und zwar nicht am 1., sondern am 23., meldete, überprüfte eine italienische Forschergruppe den angeblichen Leichnam des am 20. Juli 1304 geborenen Francesco Petrarca rechtzeitig vor seinem 700. Geburtstag auf seine Echtheit. Dass der exhumierte Körper tatsächlich der Petrarcas ist, konnte an den Spuren einer Beinverletzung nachgewiesen werden, die sich der berühmte Dichter und Gelehrte bei einem Reitunfall auf dem Weg von Florenz nach Rom im Jahr 1350 zugezogen haben soll. Der Schädel des Leichnams jedoch, so teilte der Leiter der Gruppe, Vito Terribile Martin, der Öffentlichkeit mit, sei, wie DNA-Analysen zweifelsfrei ergeben hätten, nicht der des Dichters, sondern habe sich einmal auf dem Körper einer Frau befunden.

Der unbekannte Damenkopf wurde zur Untersuchung nach Arizona geschickt, doch ließ sich, wie die "Süddeutsche Zeitung" bemerkte, vorher schon ausschließen, dass er jener geheimnisvollen Geliebten namens Laura gehört, der Petrarcas Gedichte zu unsterblichem Ruhm verholfen hatten. Wie ein demnächst erscheinendes Buch des Komparatisten und Linguisten Harald Weinrich über die Kürze des Lebens erneut vermutet, war diese Laura wohl ohnehin eine Erfindung des Dichters und ihr Name vom Lorbeerbaum, italienisch lauro, abgeleitet, dessen Zweige nach antiker Tradition der Krönung eines Dichterhauptes dienten.

Vermutet wird Folgendes: In reichen Familien des 17. und 18. Jahrhunderts habe man mit Leidenschaft die Schädel berühmter Personen gesammelt und sie aus ihren Gräbern geraubt. Um den Dichter nicht gänzlich kopflos zurückzulassen, habe man seinen Schädel durch einen anderen ersetzt. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass er sich seit Jahrhunderten wohlbehütet in Privatbesitz befinde. Vito Terribile Martin jedenfalls rief die Nachfahren der Grabräuber, für den Fall, dass solche existierten, dazu auf, Petrarcas Schädel der Öffentlichkeit zurückzugeben. Die Hoffnung, dass er bis zum 700. Geburtstag wieder auftaucht und seinen alten Platz erhält, ist inzwischen allerdings gestorben.

Thomas Anz