Fesselndes Thema im unlesbaren Gewand

Frank Scheerer über amerikanisch-jüdische Lebensentwürfe in der Literatur

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vorweg eine Warnung an potenzielle Käufer und Leser: Wer des Englischen unkundig ist, sollte dieses Buch gar nicht erst in die Hand nehmen. Denn nicht nur die erwähnten zahlreichen englischen Originaltitel bleiben unübersetzt, sondern auch die eingeschobenen langen englischen Zitate und Fußnoten - und es sind nicht eben wenig, da sich der Autor bei seinen Ausführungen vornehmlich der amerikanisch-englischen Literatur bedient. Zudem "würzt" er die deutschen Sätze ebenfalls immer wieder mit Amerikanismen, oft in Form einer Aneinanderreihung, wie "Immigration, Americanization, Jewish-Americans und American Jews", "Jewish fiction writer", "New Yiddish", "American Jewish Writing", "survivor", "victim", "alien", "hyphenated Americans" (Bindestrich-Amerikaner) und dergleichen mehr.

Auch ein Satz wie "jenseits der Paradigmen einer durch gender, ethnicity und class issues vorgegebenen political correctness" erhöht nicht gerade die Lesbarkeit des Buches.

Vielleicht hat Scheerer, der gegenwärtig als Referent am Jüdischen Museum Berlin und als Dozent in der Erwachsenenbildung arbeitet und zuvor DAAD-Stipendiat an der Brandeis University in Massachussetts war, die englisch-amerikanische Sprache zu ausgiebig studiert, so dass er sich von ihr noch nicht richtig hat lösen können. Vielleicht hätte er das Buch lieber gleich auf englisch schreiben sollen.

Dabei ist das Thema, das Frank Scheerer behandelt, an und für sich fesselnd und interessant. Leider verleidet die Darstellungsweise einem schnell die Lektüre der kleinen Studie, in der die Vielfalt amerikanisch-jüdischer Lebensentwürfe in der amerikanisch-jüdischen Literatur in Augenschein genommen wird.

Diese Literatur habe, führt der Autor aus, nach dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung gewonnen, nicht nur wegen der Shoah, sondern auch weil die Juden Amerikas heute stärker als zuvor im Zentrum der amerikanischen Gesellschaft stehen und ähnlich wie die schwarze Bevölkerung politisch und literarisch an Gewicht gewonnen haben. Besonders deutlich komme dies in den Romanen der Nachkriegsgeneration amerikanisch-jüdischer Autoren zum Ausdruck.

In Saul Bellows "Mr. Sammler's Planet" (1970) beispielsweise ist Judentum als ethnische Größe ein bestimmendes Moment und die Familie die äußere Grundbedingung des Judentums. Wie sehr sich die Problematik des Fremdseins, der dualen Identität, der Unbehaustheit des Individuums in der Moderne jüdischen Schriftstellern in Amerika und andernorts immer wieder neu stellt, wird bei Saul Bellow und dem Lebensentwurf seines Protagonisten Artur Sammler sichtbar. Sammler ist ein Überlebender (der Autor spricht von "survivor"), gibt sich wertkonservativ und bleibt, obwohl er Kosmopolit ist, geistig-moralisch ein Fremder im amerikanischen Kontext. Gleichwohl strebt er eine Synthese zwischen Judentum und amerikanischer Ideologie an und betreibt damit die Affirmation des Mythos Amerika.

In Bernard Malamuds "The Assistant" (1957) wiederum wird die jüdische Ethik symbolhaft realisiert. Für diesen Schriftsteller sind Juden in erster Linie ethische Symbolgestalten und Sinnbilder der leidenden Menschheit. Bei Chaim Potoks Roman "The Chosen" (1967) steht die traditionell-religiöse Welt des Chassidismus als spirituelles und geistiges Zentrum im Widerstreit mit der (Post-)Moderne. Zugleich vermittelt Potok durch die Präsentation des orthodoxen und chassidischen Milieus zentrale Werte des Judentums.

Alle drei Romane spielen an unterschiedlichen Schauplätzen in New York City und wurden zwischen 1957 bis 1970 publiziert, als die amerikanische Gesellschaft grundlegende innen- und außenpolitische Umbrüche erfuhr, durch die Nachwirkungen der Shoah, die Auswirkungen der Gründung des Staates Israel auf die amerikanischen Juden, durch die schwarze Bürgerrechtsbewegung, Black Panthers, Frauenbewegung, Verschärfung des Kalten Krieges während der Präsidentschaft Kennedys bis hin zur revolutionären Studenten- und Hippiebewegung Ende der sechziger Jahre. Das alles wirkte sich auch auf die Lebensentwürfe der Protagonisten in den von Frank Scheerer untersuchten Werken aus.

Der Verfasser dieser Studie beschäftigt sich aber nicht nur mit markanten Romanen amerikanisch-jüdischer Autoren, sondern auch mit theoretischen Texten von Cynthia Ozick und Philip Roth, um die "Frage nach der Intention des American-Jewish-Writing" klären zu können. Denn beide Schriftsteller haben sich, neben ihrem belletristischen Oeuvre, auch kritisch über ihr Handwerk geäußert.

Ozick artikuliert ihr ambivalentes Empfinden von Fremdheit und Beheimatetsein in Amerika und plädiert dafür, dass die jüdische Literatur in den USA eine eigene Qualität behält und als neue "talmudische Literatur", die sie eindeutig als jüdisch ausweist, Juden eine geistige Heimat bietet. Amerika ist für Cynthia Ozick nicht ein "neues Zion", sondern ein "neues Jawne". (Anmerkung: "Jawne war als Folge der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. durch die Römer Basis des Lehrhauses Yochanan Ben Zakkais und Träger der Hochkultur talmudischen Lernens.")

Da Ozick als Diasporajüdin die Existenzberechtigung amerikanisch-jüdischer Literatur gegenüber der Nationalliteratur des Staates Israel verteidigt und sich gleichzeitig von der amerikanischen "mainstream-Kultur" distanziert, entwirft sie eine spezifisch jüdische, literarisch und religiös halachisch begründete Programmatik gegen Akkulturation und Assimilation jüdischer Universalisten in den USA. Fürchtet sie doch, dass jüdische Schriftsteller, die sich der Kultur der jeweiligen Diaspora verschreiben, in dieser Kultur untergehen könnten. Insofern begreift Cynthia Ozick, die das Judentum vor kultureller Auslöschung bewahren möchte, die jüdische Literatur in den USA als liturgische Literatur mit affirmativer Funktion.

Philip Roth wiederum wehrt sich gegen die Konstruktion von jüdischer Identität als Reaktion auf antisemitische Stereotypen. Es genüge nicht, meint er, jüdische Identität in den USA nur durch die kollektive Erfahrung als Opfer jahrhundertelanger Verfolgung und der Shoah in Europa zu definieren und literarisch zu präsentieren, vielmehr müsse eine eigene, der amerikanischen Lebenswelt entsprechende Sicht entwickelt werden.

Da sich Roth, der von sich sagt: "Ich bin kein jüdischer Schriftsteller. Ich bin ein Schriftsteller, der ein Jude ist", immer wieder kritisch-ironisch zu Wort meldet, gilt er vielen seiner Leser als "self-hating Jew" oder sogar als "jüdischer Antisemit". Nichtsdestotrotz ist und bleibt die Literatur für Roth ein Medium, das sich aus dem Fundus gesellschaftlich relevanter Themen bedient und nebenbei auch die Figur des verfolgten Juden, also die des Opfers selbst, durch seine Figuren in Frage stellt. Daher wendet er sich auch vehement gegen die moralische Erhöhung, gegen die Typisierung und Ästhetisierung von Juden, die damit oft zum Sinnbild des Guten und zum passiven Opfer in einer ihnen feindlich gesonnenen Gesellschaft abgestempelt würden.

Laut Frank Scheerer haben sich die jüdischen Autoren in den USA mittlerweile einen eigenen Kanon geschaffen. Hin- und hergerissen zwischen dem Credo eines messianischen Patriotismus - Amerika als neues Zion, als neues geistiges Zentrum des Judentums gegenüber Europa und Israel, als ein Land ohne Pogrome - und der Loyalität gegenüber eigenen jüdischen Traditionen, dienen die fiktionalen Lebensentwürfe ihrer Protagonisten den jüdischen Autoren in den USA der Projektion und Affirmation jüdischer Identität.

Längst habe sich die Literatur jüdischer Autoren im amerikanischen Kulturbetrieb, stellt Scheerer abschließend fest, als feste Größe etabliert und gezeigt, "was das spezifisch Jüdische in der literarischen Motivik ausmacht und wie die Autoren durch ihre Lebensentwürfe die Beziehung zwischen Judentum und amerikanischer Identität gestalten." Mit anderen Worten: "American Jewish Writing ist für die Autoren der Versuch, Identität festzuschreiben."

Titelbild

Frank Scheerer: Amerikanisch-jüdische Lebensentwürfe. Saul Bellow - Bernard Malamud - Cynthia Ozick - Chaim Potok - Philip Roth.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2004.
88 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-10: 3476453170

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch