Tierpsychologisches Panoptikum

Said und sein Bestiarium der Tiere

Von Oliver GeorgiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Georgi

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein goldenes Kalb mit einer eMail-Adresse? Lemminge mit ausgeprägter Agoraphobie? Ein Hase mit nächtlicher Angst vor Übergewicht? Handelt es sich beim neuen Buch von Said um ein zoologisches Nachschlagewerk eines geistig derangierten Biologen? Mitnichten!

Said beschreibt in seinem neuen Buch "Dieses Tier, das es nicht gibt" tierische Protagonisten von A wie Albatros bis Z wie Zikade. Es sind allesamt kurze Texte, die extrem auf Pointen abzielen. Said schafft so ein surrealistisches und witziges Panoptikum voll absurder Aphorismen. So erfährt der Leser etwas über die Lebensgewohnheiten des Kabeljau, der "tief in seinem Herzen Monarchist" ist, über den Grund des Falters, keine Angst vor der Kerzenflamme zu haben (denn er glaubt, er würde aus der eigenen Asche auferstehen) und über das Verhalten eines Geckos bei Panik, sich zwischen den Beinen einer Jungfrau zu verkriechen und nicht eher herauszukommen, bevor sie nicht in "dreizehn Sprachen nach einem Orgasmus gerufen hat".

Said hat ein auf den ersten Blick absurdes und komisches, auf den zweiten Blick hintergründiges Buch geschrieben: In den allegorischen Tierportraits bringt er soziale, künstlerische oder gar politische Haltungen aus der Menschenwelt unter. Er beschreibt Tiere und charakterisiert damit Menschen. Ähnlich wie Franz Bleis "Bestiarium der Literatur" ist auch Saids "Bestiarium" nicht zeitgebunden. Seine Allegorien bezeichnen keine konkreten politischen, sozialen oder künstlerischen Zustände, sondern deuten eher Tendenzen, Richtungen einer Deutung an. So liegt ein Buch vor, das mehrere Les- und Interpretationsarten ermöglicht: eine rein sprachliche, die sich an der ausgefeilten Poetik und den ungewöhnlichen Ideen erfreut, und eine zweite, die den fabelhaften Text allegorisch liest. Und gerade diese Korrellierung ist es, die Saids "Dieses Tier, das es nicht gibt" auf Dauer lesenswert macht.

Titelbild

Edward W. Said: Dieses Tier, das es nicht gibt.
Verlag C.H.Beck, München 1999.
82 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3406452906

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