Der Krieg ist die Zerstörung der Seele

Slavenca Drakulic beschreibt das Unbeschreibliche

Von Eva LeipprandRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Leipprand

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wie wir den Haß lernten" - das ist der Titel eines Artikels, den Slavenca Drakulic im Mai, zur Zeit des Kosovo-Krieges, geschrieben hat. Er ist eine scharfe Anklage gegen die serbische Gesellschaft. Die Serben, so schreibt die bekannte kroatische Journalistin und Schriftstellerin, weigerten sich, ihre Verantwortung für den Krieg auf dem Balkan wahrzunehmen. Ihre autistische Blindheit gegenüber dem Grauen in Bosnien und im Kosovo führe zu einer völligen Abwesenheit von Mitgefühl. Am schlimmsten aber sei die seelenzerstörende Wirkung des Krieges: "Er zerfrißt die Menschen, er bringt dabei Dinge in uns zum Vorschein, von denen wir nichts gewusst haben."

Der Krieg ist das Thema des neuen Romans von Slavenca Drakulic. Serbische Milizen räumen ein bosnisches Dorf. Frauen und Kinder werden von den Männern getrennt und in einem Lager untergebracht, die Männer vermutlich erschossen. Nach der Vergewaltigung werden die Mädchen und Frauen im "Frauenraum" zusammengelegt, wo sie für weitere Vergewaltigung und Folter jederzeit verfügbar sind. Nicht jede allerdings überlebt die Behandlung. Ein Dreizehnjährige wird vom Freund ihres Bruders zu Tode gequält. Vor den Fenstern des Frauenraums werden Leichen, wohl aus dem Männerlager, wie Müll in Containern verbrannt. Da ist eine unvorstellbare Lust aufgebrochen am Quälen und Töten, ein Trieb, die mit dem "falschen Blut" so tief wie möglich zu erniedrigen.

Wie beschreibt man das Unbeschreibliche? Das Unbeschreibliche, das, anders als die Greuel der Nazizeit, noch nicht Geschichte geworden, sondern gerade eben erst geschehen ist und immer noch geschieht und jederzeit wieder ganz in der Nähe und auch bei uns geschehen könnte, hier und jetzt. Slavenca Drakulic ist geübt in der Darstellung extremer Zustände und Grenzsituationen ("Das Liebesopfer", "Marmorhaut"). Sie hat eine Sprache entwickelt, die in furchtloser Sachlichkeit die Dinge beim Namen nennt. Die Erzählung beschränkt sich auf ein kleines Blickfeld, das Erleben einer jungen Grundschullehrerin, nutzt aber nicht die Ich-Form, die zu nah wäre. Der Name der jungen Frau wird mit S. abgekürzt, wie um einen Rest von Intimität zu wahren und der Geschichte einen dokumentarischen Charakter zu geben. Andere Frauen heißen E. und J. oder A. Es herrscht das Präsens, die unmittelbare, unentrinnbare Gegenwart. Die frühere Existenz ist so unwirklich und abgeschnitten wie die Welt außerhalb des Lagers. Der Krieg bricht aus heiterem Himmel ein, ohne Vorgeschichte.

Der Roman beginnt in einer Klinik in Stockholm. S. hat soeben einen Sohn geboren, ein Kind der Gewalt. Während sie versucht, den Sohn als "Tumor" und "Parasit" von sich fernzuhalten, gehen ihre Erinnerungen zurück zu dem Augenblick im Sommer 1992, wo der Krieg in Gestalt eines jungen Soldaten über ihre Schwelle tritt und damit eine zweite, eine andere Wirklichkeit über ihr Leben legt. Was nun folgt, liest sich wie eine negative Initiation: man passt sich innerhalb weniger Augenblicke an das Gesetz der Gewalt an; man schweigt angesichts des Entsetzlichen; man stellt sich blind, macht sich unsichtbar, verdrängt, zieht sich zurück vor der Demütigung in die allerinnersten Räume der Seele. Was bleibt, ist der Wille zu überleben. S. lässt sich auf eine Beziehung mit dem Hauptmann ein, um sich etwas Bequemlichkeit zu erkaufen. Der Hauptmann ist ihr nicht unsympathisch, aber er ist ein Mörder. Sie weiß nicht mehr, ob sie noch Opfer oder schon Komplizin ist. Es gibt kein Gut und Böse mehr. Der Krieg zerfrisst die Seelen und füllt die Misshandelten mit ohnmächtigem Haß, sodass sich Opfer und Täter ähnlich werden, ähnlich in einem geschlossenen Kreis der Unmenschlichkeit.

"Als gäbe es mich nicht" - so fühlt sich S. im Augenblick ihrer tiefsten Erniedrigung. Nach der Entlassung aus dem Lager aber verliert ihr Leben zum zweiten Mal seine Glaubwürdigkeit. Wer soll ihr die Welt des Lagers jemals abnehmen? In Zagreb sind die Schaufenster vorweihnachtlich geschmückt. Sie geht ins Café und isst Maronenpüree mit Schlagsahne und kennt sich selbst nicht mehr. Fast alle Frauen schweigen. Die Erfahrungen sind nicht mitteilbar.

Slavenca Drakulic macht sich zum Sprachrohr für die Verstummten. Sie hält nicht nur das Geschehene fest, sondern versucht es auch psychologisch zu durchleuchten. S. hat, nachdem sie in Stockholm aufgenommen wurde, Gespräche mit einer Psychologin geführt. Die Analyse findet ihren Niederschlag im Text, in kurzen, kursiv gedruckten Abschnitten. Dort wird das Erlebte als vergangen betrachtet, aus einer gewissen Distanz, so dass sich allgemeine Strukturen herausschälen.

Slavenka Draculic hat ein hochpolitisches Buch geschrieben und nennt auch die Parteien beim Namen: es sind die Serben, die die Bosnier erniedrigen und vertreiben. Es geht aber nicht darum, die Spirale des Hasses weiterzudrehen. Das Buch zeigt das Gesicht des Krieges und die grauenhafte Logik des Rassismus in ihrer Essenz. Wo immer zwischen "richtigem" und "falschem" Blut unterschieden wird, verlieren Täter wie Opfer die Fähigkeit zum Mitgefühl und damit ihre Menschlichkeit.

S. findet am Ende einen Ausweg aus dem Kreislauf des Hasses. Sie nimmt das Kind an die Brust. Es soll seine Chance haben. Sie wird ihm einen Heldenvater erfinden. Angesichts des Vorangegangenen ein Schluß fast zu schön, um wahr zu sein.

Titelbild

Slavenca Draculic: Als gäbe es mich nicht. Roman.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 1999.
208 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3351028768

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