Der verliebte Alte in neuem Gewand

Der neue Roman "Im Gehege" von Borger & Straub erzählt die Geschichte einer Obsession

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sie wohnen tausend Kilometer auseinander und schreiben zusammen Drehbücher und seit einigen Jahren auch Romane, das Autorinnenduo Martina Borger und Maria Elisabeth Straub. Bereits der erste Roman "Katzenzungen", in dem es um die Freundschaft zwischen drei Frauen geht, wurde zum Lesehit und erfolgreich verfilmt.

Auch der zweite Roman, "Kleine Schwester", erhielt viel Lob und viele Leser. Das Thema: Ein Adoptivkind kommt in eine Familie, die allmählich zerbricht - ein Lieblingsthema von Borger und Straub: die Beschreibung eines langsamen Verfalls, der totale Zusammenbruch einer sorgfältig aufgebauten Fassade. Diese Darstellung gelingt ihnen auf spannende und unterhaltsame Weise, mit überraschenden Wendungen und zielgenauen Szenen und Dialogen.

"Im Gehege", das gerade erschienene dritte Buch der beiden, erzählt die Geschichte des Latein- und Deutschlehrers Jon, 52 Jahre alt, verheiratet mit Charlotte, kinderlos. Er geht jeden Tag laufen, sieht sehr gut aus für sein Alter und hat seit einigen Jahren Affären mit anderen Frauen, nichts Besonderes. Seine Frau führt die elterliche Gärtnerei weiter, der Schwiegervater hat den beiden das große, etwas protzige Haus gekauft und vererbt, in dem Charlotte unsanft zu Tode kommt. Sie fällt im Suff die Treppe hinunter und bricht sich das Genick. Ihr Tod kommt für Jon sehr gelegen, da er sich in eine neue Kollegin verliebt hat, auf den ersten Blick, das erste Mal in seinem Leben. Nach der ersten gemeinsamen Nacht mit ihr ist er entschlossen, Charlotte und sein altes Leben radikal hinter sich zu lassen - da wird er überraschend Witwer und erbt das Vermögen, das Haus und die Gärtnerei.

Es folgen noch einige Morde, die alle im Zusammenhang stehen mit der amour fou, die Jon erlebt und die sein Leben tatsächlich völlig umkrempelt. Julie, so heißt seine Auserwählte, ist 29 Jahre alt, Kunstlehrerin, hat schwarze Locken und einen hinreißenden Körper und spielt das Heimlichtun und Verstecken nach Charlottes Tod mit.

Was an der Geschichte so fasziniert, ist die Erzählweise. Jon, die Hauptfigur, bleibt distanziert, sein Gefühlsleben wird nur sporadisch vorgeführt, seine Handlungsweisen und Überlegungen jedoch ausgiebig beschrieben. Er trauert nicht über den Tod seiner Frau, mit der er immerhin über zwanzig Jahre verheiratet war, auch über die anderen Toten ist er nicht betrübt. Berechnend erscheint er, arrogant und egozentrisch, ganz auf seine Liebe fixiert, allein der Gedanke an Julie genügt, um alle Düsternis zu verscheuchen.

Irgendwann entsteht der Eindruck, dass die Morde doch nicht so stehen bleiben können, so unentdeckt, dass es nicht sein kann, dass Woche um Woche vergeht, ohne dass der Polizei etwas auffällt und ohne dass Jon von seinem schlechten Gewissen geplagt wird. Doch dann schleicht sich langsam der Zerfall ein, Jons Konstruktionen bröckeln, seine Bemühungen um Kontrolle wirken angestrengt, und das neue Leben mit Julie, zu Beginn in rosigem Verliebtheitslicht vorgeführt, endet in der bitteren Erkenntnis, dass diese Liebe nicht das ist, für das er sie gehalten hat, nämlich die große und einzige Liebe seines Lebens.

Bis zu diesem Augenblick der Wahrheit erleben wir einen Anti-Helden, der Spuren beseitigt und nüchtern über Lateinarbeiten sitzt, nachdem er seinen besten Freund erschlagen und die Leiche entsorgt hat. Seine Entwicklung vom berauschten, 'verliebten Alten' zum betrogenen Alten erinnert an den traditionellen Motivdiskurs, kommt hier aber in einer flott erzählten Version daher. Man merkt den Autorinnen die Übung im Drehbuchschreiben an, Szenen reihen sich aneinander, Dialoge sind sehr gut gezeichnet, es gibt viel Handlung. Dabei bleibt die Spannung gewahrt, was den Roman zu einem großen Lesevergnügen macht. Wer allerdings ästhetische Sprachspiele sucht oder zumindest einen literarisch anspruchsvollen Erzählstil, der sei gewarnt. Hier handelt es sich um hervorragende Unterhaltungsliteratur (wenn man die Unterscheidung zwischen dieser und der so genannten ernsten Literatur bemühen will), die - ginge es nach mir - in den Olymp der E-Literatur aufgenommen werden sollte. Allein weil sie handwerklich so gut gemacht ist. Und das kann so manche E-Literatur nicht von sich behaupten.

Titelbild

Martina Borger / Maria Elisabeth Straub: Im Gehege. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2004.
378 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3257064446

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