In der Ruhe liegt die Kraft

Luiz Alfredo Garcia-Rozas dritter Krimi um Kommissar Espinosa

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Berlin Verlag, der erst selbstständig war, dann zu Random House gehörte, sich dann wieder, unter seinem Gründer und Leiter Arnulf Conradi, selbstständig zu positionieren versuchte und nun mit dem britischen Verlagshaus Bloomsbury kooperiert, hat seit wenigen Jahren auch einen eigenen, noch relativ kleinen Taschenbuchverlag, der sehr viele der im Hardcover veröffentlichten Bücher in Zweitverwertung bringt. Allerdings kauft man auch Lizenzen anderer Verlage ein und bringt hin und wieder sogar deutsche Erstausgaben gleich im Taschenbuch.

Dem sehr literarisch orientierten Programm (u. a. Richard Ford, Raymond Carver, Elke Schmitter, Zeruya Shalev) fehlte bisher ein Genre, das in vielen anderen Taschenbuch-Verlagen für wohltuende Umsätze sorgt: der Krimi. Möglicherweise im Zuge des Erfolgs, den beispielsweise der Unionsverlag mit seiner Reihe UT metro hat, dachte man in Berlin an einen Krimi aus einer fernen Gegend und fand Luiz Alfredo Garcia-Roza. Der ehemalige Professor für Theorie der Psychoanalyse lebt in Rio de Janeiro, dem Schauplatz seiner Fälle um den, wie es im Verlagsprogramm mutig und selbstbewusst heißt, "Wallander" Brasiliens: Kommissar Espinosa.

Im Mai 2003 konnten deutsche Leser diesen ruhigen und einzelgängerischen Polizisten erstmalig kennen lernen. Der Roman "Die Tote von Ipanema" fand begeisterte Leser, die weitere Fälle mit Espinosa forderten. Im November 2003 wurde mit "Das Schweigen des Regens" nachgelegt, und seit Juni liegt "Der dritte Fall für Kommissar Espinosa" vor: "Südwestwind".

Ein junger Büroangestellter namens Gabriel überrascht Kommissar Espinosa mit einer ungewöhnlichen Geschichte. Während seiner letztjährigen Geburtstagsfeier in einem Restaurant wurde er mit einem kuriosen Geschenk konfrontiert: er bekam Weissagungen eines Hellsehers. Einer dieser Blicke in die Zukunft des ruhigen und etwas schüchternen jungen Mannes besagte, dass er noch vor seinem nächsten Geburtstag einen Mord begehen werde. Gabriel nimmt sich das so sehr zu Herzen, dass er den Kommissar um Rat und Hilfe bittet. Doch der weiß nicht, was zu tun ist, denn eine offizielle Ermittlung kann er nicht einleiten, da kein Vergehen vorliegt, auch kein dringender Tatverdacht. So operieren er und sein engster Vertrauter inoffiziell und kommen dementsprechend zu eher dürren Ergebnissen. Gabriels Freundin und Arbeitskollegin Olga sowie deren beste Freundin Irene unterhalten sich mit Espinosa, um Gabriels Glaubwürdigkeit zu festigen. Der Hellseher wird aufgespürt, ohne dass man ihm etwas anhängen könnte. Gabriel hingegen, der, seit sein Vater vor 20 Jahren gestorben ist, bei seiner Mutter lebt, steigert sich immer mehr in eine Paranoia hinein, versucht mittels eines akribischen Plans, ebenfalls die Spur des Hellsehers, dem er seine fiebrige Unruhe anlastet, zu finden. Er kauft sich eine Waffe. Seine Mutter, die anfänglich mit ansehen muss, wie ihr der Sohn zu entgleiten droht, vermutet das Böse als Quelle des Ganzen und beginnt ebenfalls mit Beobachtungen, nachdem sie bei ihrem Geistlichen auf taube Ohren gestoßen ist. Und dann plötzlich ist Olga tot. Unfall, Selbstmord, gar Mord? Und damit nicht genug, wird auch der Hellseher tot aufgefunden, erschossen. Doch diese beiden Fälle sind nicht in Espinosas Revier geschehen, und so steckt er in der Klemme, da er möglicherweise über Verbindungen Bescheid weiß, über die er nicht Bescheid wissen darf. Der aufmerksame Leser wird den Fall bereits vor Ende des Buches gelöst haben, doch Garcia-Roza schlägt noch einen Haken, der dem Roman eine Wendung oder zumindest eine zusätzliche Variante des Geschehenen gibt.

"Südwestwind" ist ein origineller Kriminalroman, dessen Hauptfigur Espinosa, sehr überzeugend charakterisiert ist. Seine ruhige Art, die so gar nichts mit den üblichen Ermittlern zu tun hat, seine manchmal weit von der Realität wegführende Fantasie und sein damit verbundenes, fast schon anachronistisch wirkendes Nachdenken, machen ihn zu einer unverwechselbaren Gestalt im üppig bevölkerten Universum der Krimiprotagonisten. Ebenso tragen die stimmig eingebauten Nebenfiguren und die Schauplätze des Buches sowie die zum Handlungsablauf und zum Charakter Espinosas passende ruhige, von Effekten weitgehend verschonte Sprache zum Gelingen bei. Luiz Alfredo Garcia-Roza ist eine echte Entdeckung, und die New York Times lobt ihn, hat er doch "eine der berühmtesten Städte der Welt auf die Landkarte des Kriminalromans gesetzt."

Titelbild

Luiz Alfredo Garcia-Roza: Südwestwind. Der dritte Fall für Kommissar Espinosa.
Übersetzt aus dem brasilianischen Portugiesisch von Karin von Schweder-Schreiner.
Berliner Taschenbuchverlag, Berlin 2004.
249 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3833301015

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