Aller guten Dinge sind drei

Silvia Freudenberger untersucht die Tragfähigkeit triadischer Erkenntnistheorien

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ist ein Buch nicht immer ganz einfach zu lesen, so muss das nicht unbedingt gegen das Buch sprechen. Silvia Freudenbergers erkenntnistheoretische Untersuchung "Erkenntniswelten" ist alles andere als einfach zu lesen, und das spricht keineswegs gegen dieses Buch. Bewusst hat die Autorin auf "Eleganz und Griffigkeit" des Ausdrucks zugunsten "differenzierterer Beschreibungen" verzichtet und mitunter um der Genauigkeit willen "sperrige Formulierungen" in Kauf genommen, wofür sie gute Gründe hat, verlangen Gegenstände und Anliegen ihrer metatheoretischen Untersuchung doch eben diese 'sperrige' Genauigkeit. Bei den Gegenständen des vorliegenden Buches handelt es sich um die von Freudenberger in eine triadische Form gebrachten Erkenntnistheorien von Charles S. Peirce' Semiotik, der Begriffsschema-Theorie der Analytischen Philosophie sowie feministischer Standpunkt- bzw. Erkenntnistheorien situierten Wissens, wie sie von Donna Haraway und Susan Hekman vertreten werden. Beide Theoretikerinnen haben die von Nancy Hartsock präferierte "Idee eines epistemischen Privilegs" der feministischen Erkenntnistheorie verabschiedet.

Ausgehend von der wissenschaftstheoretischen Kontroverse zwischen Konstruktivismus und Realismus, deren eine Seite bezweifelt, "daß Erkenntnis, auch wissenschaftliche Erkenntnis, in der Abbildung einer unabhängig von uns existierenden Realität besteht", während die andere an der Überzeugung festhält, "daß Erkenntnis Wirklichkeit abzubilden habe, da sonst von Erkenntnis und Wissen gar nicht mehr gesprochen werden könne", sucht die Autorin einen Ausweg mittels philosophischer Theorien, die sich um "dreistellige Konzeptionen" bemühen; eben die Peirce'sche Semiotik, Begriffsschematheorien und feministische Theorien situierten Wissens. Denn während der Realismus von einer "dyadischen Beziehung zwischen Aussagen und Welt" ausgehe, mache der Konstruktivismus den umgekehrten Fehler, indem er versuche, "ohne eine unabhängige 'Welt' auszukommen". Ein möglicher Ausweg aus diesen "inakzeptable[n] Alternativen" können Freudenberger zufolge "triadische Konzeptionen von Erkenntnis" bieten, da Erkenntnis sinnvollerweise bloß als mindestens dreistellige Relation gefasst werden könne.

Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung steht die Frage nach eben dieser - zwischen Zeichen und Objekt bzw. Erkenntnissubjekt und -objekt vermittelnden - dritten Größe in den drei genannten erkenntnistheoretischen Konzeptionen. Es geht also darum, was genau die Peirce'sche Semiotik unter einem Interpretanten, die Analytischen Philosophie unter einem Begriffsschema und die feministischen Erkenntnistheorien situierten Wissens unter einem Standpunkt respektive einer Perspektive verstehen. Im Anschluss an die Erörterung dieser Frage, die mehr bietet als eine bloße Begriffsklärung, widmet sich Freudenberger dem Problem, "ob bzw. wie das jeweilige Dritte sowohl Pol II als auch Pol I der Triade beeinflusst", um so zu ihrem eigentlichen Anliegen vorzustoßen: dem Vergleich der drei Konzeptionen und ihrer jeweiligen Tragfähigkeit. Denn, so Freudenbergers Hypothese, wenn man die drei Konzeptionen in der "Perspektive 'Dreistelligkeit'" untersucht, können sie einen Beitrag der "Reformulierung des Repräsentationskonzeptes" leisten.

Die Bilanz ihrer vergleichenden Untersuchung führt Freudenberger nicht nur zu dem Ergebnis, dass die Lösung des Problems der Repräsentation in allen drei Konzeptionen kantianisch ausfällt, sondern dass darüber hinaus zwischen Begriffsschemata und feministischen Theorien situierten Wissens in Bezug auf die "dritte Größe", also in Bezug auf Begriffsschema hier und Perspektive bzw. Standpunkt dort, "große Nähen" bestehen. Nicht so allerdings zwischen diesen beiden "dritten Größen" einerseits und Peirce' Interpretanten andererseits. Denn der Begründer der Semiotik und - dies sei nebenbei bemerkt - des Pragmatismus denkt den Interpretanten als "zeitlich auf ein Zeichen folgend", während Begriffschemata und feministische Standpunkte einen "interpretatorischen Rahmen" bieten, "innerhalb dessen Aussagen bestimmte Bedeutungen annehmen". Können Begriffsschemata und feministische Standpunkte als "bedeutungserzeugende Systeme" begriffen werden, so geraten beim Interpretanten nur Propositionen beziehungsweise Argumente ins Blickfeld, wie Freudenberger ausführlich darlegt. Dementsprechend modifiziert sie ihre ursprüngliche Hypothese, der zufolge alle drei Konzeptionen die Lösung des Problems der Repräsentation mit "ähnlichen Mittel" unternehmen dahingehend, dass der Interpretant "nicht ähnlich" wie Begriffsschemata oder feministische Dritte "funktioniert". Allerdings, so fügt sie an, könne ein Vergleich ihrer Unterschiedlichkeit Hinweise auf ihre spezifischen Begrenztheiten geben: "Während Peirce primär den Prozeß der Repräsentation im Blick hat, entwickeln die beiden anderen eine tendenziell statische, aber systematische Auffassung von Repräsentation, indem Bedeutungsrahmen postuliert werden, innerhalb derer allein Repräsentation möglich ist." In ihrem das Buch zwar abschließenden, aber als vorläufig gekennzeichneten Fazit fragt die Autorin, "ob die Stärken der einzelnen Konzeptionen nicht zusammengeführt werden können", um sie als "Elemente" eines "positiven, explizit als Repräsentationstheorie ausgearbeiteten Konzepts" zu nutzen. Sie denkt dabei an den holistischen Bedeutungsbegriff, die Prozessdimension von Bedeutung, die Ablehnung des metaphysischen Realismus, die Anerkennung der eigenen prinzipiellen epistemischen Beschränkungen und an den Verzicht auf abstrakte Fehlschlüsse.

Titelbild

Silvia Freudenberger: Erkenntniswelten. Semiotik, analytische Philosophie, feministische Erkenntnistheorie.
mentis Verlag, Paderborn 2004.
227 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-10: 3897851989

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch