Lichter dieser Erde

Gina Berriaults Roman über menschliche Schwächen und die Nichtigkeit des Ruhms

Von Christina LangnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Langner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Der Ruhm ist wie ein Fluß, der leichte und aufgedunsene Dinge hochspült und schwere und feste Dinge untergehen läßt". Treffender als mit diesen Worten des Philosophen Francis Bacon lässt sich die Erkenntnis, die der Leser nach dem Genuß des Romans "Lichter dieser Erde" von Gina Berriault gewinnen kann, kaum umschreiben.

In ihrem erstmals 1984 erschienenen Roman erzählt Berriault aus dem Seelenleben von Ilona Lewis. Die wenig erfolgreiche Schriftstellerin wird von ihrem Kollegen und Liebhaber Martin Vanderson verlassen, als er plötzlich zu Ruhm kommt. Durch diesen schmerzlichen Verlust findet Ilona den Weg in die Welt, in die Realität und damit den zu sich selbst.

Es ist weniger die Handlung, es sind vielmehr die zahlreichen, wunderbar formulierten Einsichten, die den Leser in den Bann des Romans ziehen. Schon sehr bald wird er abtauchen in die melancholische Gedankenwelt der Protagonistin - einer Frau, die sich nach ihrer Unterteilung der Menschheit in die Gesegneten und die Verlassenen der zweiten Kategorie zuordnet und deshalb oft Gefahr läuft, sich in Selbstmitleid zu verlieren.

In Ilona steht dem Leser eine Frau gegenüber, die geprägt ist von Selbstzweifeln, dem Schmerz darüber, sowohl innerlich als auch äußerlich nicht schön genug zu sein für die Welt der Gesegneten, die Welt des Lichtes und des Ruhmes, der nun auch Martin angehört.

Die stille Frage Berriaults, ob es denn wirklich beruflicher Erfolg, Ruhm und Anerkennung sind, die Menschen als "Lichter dieser Erde" auszeichnen, durchzieht den gesamten Roman und auch Ilona setzt sich, vor allem in Diskussionen mit ihrem neuen Liebhaber Claud, mit der Frage auseinander, wer zu den Gesegneten zu zählen ist und was es bedeutet, gesegnet zu sein.

Ilona läuft vor der Wirklichkeit davon. Sie versucht sich vor ihr zu schützen, indem sie ihr durchaus bewusste Tatsachen durch Lügen ersetzt und diese so sehr verinnerlicht, dass sie zeitweise an deren Realität glaubt. "Doch einige Lügen reißen dich wie ein Sog in den Bereich einer gefährlichen Wahrheit". Die Angst davor, dass sie, wenn sie sich diese "gefährliche Wahrheit" vor Augen führt, daran zerbrechen könnte, verfolgt Ilona. Denn sie gehört nicht zu den Menschen, die nur verlassen wurden. Vor mehr als zwanzig Jahren war sie es selbst, die, weil sie sich seiner schämte, ihren seelenkranken Bruder Albert verlassen hat. Für all diese Jahre hat sie Albert aus ihrem Herzen verdrängt. Nicht einmal ihre Tochter weiß von seiner Existenz. Erst der Verlust Martins führt Ilona in Gedanken zurück zu ihrem Bruder, und sie beginnt langsam die Realität anzunehmen.

Dass auch ein Verlust eine Bereicherung des Lebens bedeuten kann, wird ihr erst zum Ende des Romans hin bewusst. Doch sie erkennt gerade noch rechtzeitig, dass sie nicht nur ein Mensch ist, der andere braucht, sondern auch ein Mensch, der von anderen gebraucht wird.

Einfühlsam stellt Berriault die Entwicklungen unserer Zeit in Frage, in der jugendliches Aussehen mehr zählt als die Weisheit des Alters, einer Zeit, die geprägt ist von Heuchelei, Neid und Selbstzufriedenheit und vor allem von dem Streben der Menschen nach Ruhm und Anerkennung und der damit verbundenen Sehnsucht, auf Erden nicht vergessen zu werden.

"Lichter dieser Erde" ist ein poetischer und zeitkritischer Roman, in dessen Welt des Geistes und der schönen Worte es sich wunderbar versinken lässt. Der Leser darf sich freuen auf Gedanken, die ihm nicht fremd sind, von denen er viele sicherlich oft schon selbst gedacht hat, die er aber noch nie in so feinsinnig verfassten Formulierungen vor sich sah.

Titelbild

Gina Berriault: Lichter dieser Erde. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1998.
156 Seiten, 16,40 EUR.
ISBN-10: 3100056027

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch