In vier Dekaden kann viel passieren, nicht aber in Texas

John Bainbridges höchst amüsante Reise zum "Fremden Stern Texas"

Von Veronika SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Veronika Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen neunmonatigen Besuch stattete der New Yorker Reporter John Bainbridge dem befremdlichen US-Bundesstaat Texas ab, um die sagenumwobenen und dort heimischen Lebewesen, auch Texaner genannt, und ihre Bräuche und Sitten zu studieren. Sein Buch "The Super-Americans" basiert auf einer Artikelserie, die im renommierten "New Yorker" und zwar bereits im Frühjahr 1961 abgedruckt wurde. Die uns heute vorliegende deutsche Ausgabe beinhaltet eine hervorragend getroffene Auswahl zahlreicher Beobachtungen und Anekdoten des ursprünglich 395 Seiten starken Werkes. Auch wenn gut vierzig Jahre seit der Erstveröffentlichung vergangen sind, ist dieses Buch heute nicht weniger aktuell und amüsant, als es damals war.

Nur kurz schildert Bainbridge die verkannten landschaftlichen Schönheiten, um sich dann dem eigentlichen Knackpunkt - den Texanern, mit all ihren guten und schlechten Seiten - zu nähern. Der Einblick in diese fremde Welt wird durch unzählige Geschichten und Anekdoten von und über Texaner und Nicht-Texaner, die mit Erstgenannten in Berührung kamen, gewährt. So birgt jedes Klischee und Gerücht auf Grund der beweisführenden Geschichten doch einen Wahrheitskern. Bainbridge klagt aber nicht mit erhobenem Zeigefinger an, sondern versucht, einigermaßen objektiv Material zu sammeln, um dann die Ergebnisse mit einem leichten Schmunzeln, ohne dabei boshaft zu werden, zu präsentieren.

Zu Beginn betreibt Bainbridge Ursachenforschung; er versucht herauszufinden, woher Texas seinen schlechten Ruf hat. Hierbei entwickelt er eine "Neidtheorie", die auf den Umstand zurückzuführen ist, dass das Kritisieren und Lästern erheblich zugenommen habe, als aus dem staubigen Land der Kornblume ein ernst zu nehmender, wirtschaftlich florierender Standort wurde. Einer weiteren Theorie Bainbridges zufolge werfen die Amerikaner den Texanern die Kritikpunkte vor, die seitens der Europäer den Amerikanern vorgehalten werden: Angeberei, kulturelle Unterentwicklung, übertriebener Patriotismus und Materialismus - so kommt er zu dem Schluss, dass Texas nur das überlebensgroße Spiegelbild Amerikas sei - "[d]ie Vereinigten Staaten als Mikrokosmos", das "Land der Über-Amerikaner". Der Amerikaner, der sich in Texas wieder erkennt, könne gar nicht anders, als zu lästern - eine Art Selbstschutzmechanismus. An dieser Stelle angelangt, stellt man sich als Deutscher unweigerlich die beängstigende Frage, die hierauf der logische Kehrschluss ist: Sind wir nicht alle ein bisschen den Bayern ähnlich? Doch diese möglicherweise schockierende Erkenntnis wird durch die weitere angenehme Lektüre schnell verdrängt.

Neben patriotischen Buchautoren und alten Bekannten wie George Bush begegnen einem auch Tornados, Klapperschlangen, Luxus-Reihenhäuser, bevormundete Frauen und Multi-Millionäre. Letzteren widmet sich Bainbridge am intensivsten.

Es ist nichts Neues, dass Texanern das Laufen bereits im Kindesalter abgewöhnt wird, dass sich ohne Auto niemand von der Stelle bewegt und Millionäre sehr gern fliegen. Doch ist es schon erstaunlich, dass sich die armen Reichen auf Grund großer kleiner Probleme wie Startverzögerungen für ihren Jet prompt eine eigene Landebahn bauen lassen. Diese naturgegebene Großspurigkeit liegt dem "kleinen" wie "großen" Texaner im Blut. So ist es nichts Unübliches, dass das Haus eines texanischen Millionär mehr einem Kunstmuseum als einem Wohnhaus gleicht. Zwar geschmackvoll, aber stillos, so Bainbridge. Neben Picasso, angesagten Newcomern und Co. wird man selten ein Buch sichten, da "der Besitz eines Buches [verpflichtet], zu wissen, was darin steht." Hingegen Kunst: "Wenn es darum geht, als kultiviert eingestuft zu werden, funktionieren Gemälde einfach schneller als Bücher", zitiert Bainbridge auf seine sympathisch-augenzwinkernde Weise.

Neben literarischen Mangelerscheinungen im Land des Überdimensionalen wird auch auf den oft markanten texanischen Kleidungsstil eingegangen. So kann man laut Bainbridge Texaner schon von weitem leicht erkennen: Ein breitkrempiger, heller Hut thront auf ihren Häuptern, ihre Taille wird von einem übergroßen Gürtel geschmückt, und die Füße stecken in spitz zulaufenden Stiefeln. Die Frauen tragen üblicherweise so große Hüte, dass man die Krempe mit einer Ufolandestation leicht verwechseln könnte, und ihre Hälse werden von schweren Diamanten gebeugt. Auf Viehschauen betrachtet man sich dann eher die unsagbar teuren Cowboy- und Cowgirlkostüme als die eigentlichen Rindviecher. Als schicke Accessoires zwischen Mist und Rindvieh gelten rosa Pudel sowie Jaguarfell-Krokodillederstiefel.

Diese und viele andere schaurig-schöne, manchmal aber auch haarsträubende Geschichten wie das bis heute aktuelle Waffenproblem werden dem Leser in 16 thematisch geordneten Reportagen genauso sarkastisch-witzig wie kritisch erzählt. Und auch wenn die äußere Gestaltung des Buches sicherlich Geschmackssache ist, sollte dies kein Hindernis sein, sich vor einem lodernden Kamin auf einem Bärenfell einen netten Abend auf dem fremden Stern Texas zu gönnen.

Titelbild

John Bainbridge: Die Super Amerikaner. Fremder Stern Texas.
Übersetzt aus dem Englischen von Bernd Brunner.
Transit Buchverlag, Berlin 2004.
180 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-10: 3887471938

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch