Kulturzirkus

Michel Fabers subtil-ironischer Roman "Die Unvollendete"

Von Ansgar VautRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ansgar Vaut

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viele Menschen, die ein Kunstwerk bewundern, möchten etwas über den dahinter stehenden Künstler erfahren, ihn vielleicht sogar persönlich kennen lernen. Doch wer diesen "Blick hinter die Kulissen" bekommt, wird meist enttäuscht. Man denkt sich den Künstler edel, hilfreich und gut - und stellt fest, dass im Kulturbetrieb ein Hauen und Stechen herrscht, und dass Künstlerseelen vor allem dann empfindsam sind, wenn es um die eigenen Eitelkeiten geht.

Diese Skurrilitäten des Kunstbetriebes, die Egomanie einer Künstlernatur fängt Michel Fabers subtil-ironischer Roman "Die Unvollendete" meisterhaft ein. Bekannt wurde der in Schottland lebende Autor mit dem Bestseller "Das karmesinrote Blütenblatt", eine beinahe 1.000-seitige Geschichte einer Prostituierten, die keine Körperlichkeiten ausspart, in der es lebt, keucht, dampft und stinkt. In "Die Unvollendete" ist das Ambiente vornehmer; statt greller Effekte gibt es unterschwelligen Humor:

Ein britisches A-Capella-Quintett probt zwei Wochen lang in ländlicher Abgeschiedenheit ein überaus kompliziertes Stück moderner Musik, das Partitum Mutante. Von Beginn an liegen Spannungen in der Luft: Normalerweise trifft sich das Quintett zum Musizieren, ansonsten gehen die fünf getrennte Wege. Jetzt teilen sich die Musiker plötzlich den Esstisch und schlafen Wand an Wand. Das gibt dem Autor Gelegenheit, sie in ihren Allüren darzustellen: Der herrische Chef Roger Courage wird als König ohne Volk vorgeführt, der Erotomane des Quintetts stellt erfolglos der Putzfrau nach - und wie in jeder ordentlichen Künstlergeschichte gibt es auch hier eine hysterische Frau: Catherine Courage, Gattin des Ensemble-Chefs, ist eine Sopranistin am Rande des Nervenzusammenbruchs, die Nachts Schreie aus dem nahe gelegenen Wald hört - als Einzige, weswegen sie an ihrem Verstand zu zweifeln beginnt.

Komischer Höhepunkt ist der Auftritt des äffischen Komponisten der Partitum Mutante. "Es musse sein mehr extreme, aber mehr weniger auch", so die sublime Anweisung des Italieners. Der Komponist hat sein Geld weniger mit seinen Kompositionen, als vielmehr mit einer geerbten Waffenfabrik verdient. So einer versteht sich aufs Tonsetzen? Es stellt sich heraus, dass er es nicht tut - als ein Fehler in seiner komplexen Komposition auftaucht, winkt er resigniert ab: Macht mit meinem Stück was ihr wollt und lasst mich Ruhe.

Warum wird so ein Künstler aufgeführt? Der Konzertmanager verrät es uns: Weil der Komponist seine Frau mit einem Schuh verprügelt hat, ist er in der Presse bekannt geworden - gut für den Kartenverkauf. Any propaganda is good propaganda. Dass dies auch - vielleicht sogar gerade - für den Kulturzirkus gilt, führt Fabers schmales Buch amüsant vor.

Titelbild

Michel Faber: Die Unvollendete. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans U. Möhring.
List Verlag, Berlin 2004.
123 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3471775625

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