"Die feinste Liebeskunst"?

Wolf Biermanns Übersetzung von 40 Shakespeare-Sonetten

Von Jürgen GutschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Gutsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es sei vorausgeschickt: Es geht hier nicht um den geistreichen Essayisten Wolf Biermann, auch nicht um seine Shakespeare-Ideen und -Phantasien, die Interesse verdienen, - nicht also um seine Klugheit dort, wo er über sie verfügt. Es geht - zuerst und beiläufig - um seine beifallheischende Selbstdarstellung im Vorfeld und im Begleittext seines neuen Buches "Das ist die feinste Liebeskunst. 40 Shakespeare-Sonette"; anschließend muss uns seine übersetzerische Geschicklichkeit beschäftigen.

Wolf Biermann ließ im September 2004 - seine Übersetzung war noch gar nicht erschienen - von Hannes Stein, seinem unerschrockenen Kulturattaché im Feuilleton der "Welt" (in der Vorankündigung des Buches am 11.9.2004), erklären, er, Biermann, sei der "Kollege" eines "gewissen Shakespeare". (Er spricht in diesem Zusammenhang auch gern und verschmitzt vom "Shakesbiermann".) Von diesem "Shakespeare" seien im Jahr 1609 eine Anzahl so genannter "Sonette" erschienen, Liebesgedichte fast allesamt, der eine, größere, Teil von ihnen an einen Mann gerichtet, der andere an eine Frau. Nun sei es an der Zeit, auf dieses Werk auch einmal hinzuweisen. Nein nein, "bisexuell" sei jener Shakespeare wohl nicht gewesen, einem Vorurteil sei da entgegenzutreten, das Sonett Nr. 20 beweise es, - und doch drehe sich alles um die Erotik. Er, Biermann, habe nun 40 dieser Sonette "ins Deutsche gebracht", als ein "Dolmetzsch" - wie weiland Martin Luther (das "z" eben macht den Unterschied und signalisiert: Wolf Biermann beherrscht sein Übersetzerhandwerk wenigstens so gut wie der große Reformator), denn eine ordentliche Verdeutschung sei nun endlich einmal vonnöten. (Biermann weiß durchaus, dass er nicht der Erste ist, der hier übersetzt! Aber auch Luther sei nicht der erste Bibel-Übersetzer gewesen, - und sei nun darum seine Übersetzung etwa überflüssig?) Nur 40 Sonette stelle er freilich vor und nicht alle 154, weil aus zuverlässiger Quelle (W. H. Auden) zu erfahren sei, 40 dieser Sonette - auch wenn man leider nicht wisse, welche - würden einst die Zeiten überdauern. Nun ist die Nennung einer jeden Zahl als gerade richtiges Quantum für eine Teilübersetzung an sich ja unsinnig, doch darf man davon ausgehen, dass Wolf Biermanns Spürnase jene 40 Nummern schon erwischt hat, die Auden im Sinn trug, aber nicht verriet, so dass seine 40 also gewiss überleben werden! Auch Biermann leistet so seinen Beitrag beim vereinigten Zeitenüberdauern der lebenden und toten Dichter.

Wie gesagt, man kannte diese Gedichte schon zuvor. Doch hat Biermann den "gewissen Shakespeare" ja vor allem deshalb übersetzt, weil er ihn sich ebenbürtig weiß, nachdem er ihn zu diesem Behuf den "wohl größten Dichter" Europas nannte bzw. nennen ließ, - und das eben wusste die Welt noch nicht! Dem folgen zur Tarnung nun schwülstige Gebärden in seinem Buch wie etwa diese: "Welcher Sterbliche ist so vermessen und will die Hanteln eines göttlichen Riesen gegen die Sterne schlagen?" Aber es ist Wolf Biermann nicht ernst mit "Bescheidenheitsgesten" solcher Art, man merkt das schon an der missratenen Metaphorik - so wenig er ernsthaft zur literarhistorischen Debatte beitragen will. Durch einen Beitrag zu der unter Kollegstufen-Schülern derzeit heftig entbrannten Frage "War Shakespeare schwul?" hoffen aber auch er und Hannes Stein wohl nicht, sich mit Ruhm zu bedecken, so kokett sie davon reden.

Aber damit nicht genug! In einer Zeitung, so sehr sie Wolf Biermann auch gewogen ist, kann man nicht singen! Darum gab es auch noch am 17.9.2004 ein Interview im Fernsehsender Phoenix, nur wenige Tage nach dem Vorbericht der "Welt". Dort nun wieder glaubte Biermann zunächst, da man Shakespeare nach seinem erotischen Standpunkt nicht mehr befragen könne, sollte er doch wenigstens seinen eignen erläutern. Denn dies ist schließlich "die feinste Liebeskunst" Wolf Biermanns - keineswegs Shakespeares, der ist nun einfach schon zu lange tot, und man weiß eben nicht genau, ob er nun "bi" war oder nicht, ja ob er überhaupt war oder ob er womöglich nicht war. Nein, man muss nicht darum herumreden: Biermanns Auswahl-Übersetzung schafft ja wirklich das Werk ganz neu! Sein gewaltiger "Notate"-Kommentar im Buch signalisiert nichts anderes als: Ich, Wolf Biermann, bin nun von Gottes Gnaden Erklärer und Übersetzer dieses Werks, ganz so wie uns Martin Luther einzst die Heilige Zschrift ins Deutzsche hereinzschrieb - und dies gelingt mir gar noch auf solche Weise, dass ich fortwährend nur mich selbst erläutere, - was also unterscheidet mich noch vom Urheber des Werks? Wie die Übersetzer des 19. Jahrhunderts gelegentlich viel Raum in ihren Büchern verbrauchten für die Darstellung ihrer nun immerhin literaturgeschichtlich diskutablen Identitäts-Thesen zum Widmungsadressaten "W.H.", zum "jungen Freund", zum "Dichterrivalen", zur "schwarzen Dame", zur Reihenfolge der Texte auch, - so reklamiert Biermann nun eine Pseudo-Identität mit dem Autor (der darum nur noch im Titel - "Shakespeare-Sonette" -, nicht mehr aber in der Autor-Zeile seines Buches erscheint) und stellt sich selbst (als "Shakesbiermann") mit blanker Brust ins Zentrum. Nicht auszudenken, was in Wolf Biermanns Ego passiert wäre, wenn der historische Zufall den geheimnisvollen "begetter" der Sonette von 1609, Herrn "W.H.", den immer noch keiner kennt, auch noch einen Herrn "W.B." hätte sein lassen!

Gut also ist es, dass Shakespeare selbst bis auf weiteres verstummt ist - bzw. in schöner modischer Geschmeidigkeit von Biermann zum geschichtlichen Gespenst herabgeredet werden kann. Aber auch der TV-Interviewer bei Phoenix verstummte ein wenig verstört, als er vom Übersetzer erfuhr, dieser wolle am Ende ja doch mit all dem Dichten nur immer ein Weib in sich verliebt machen und es sodann - nun ja, man wisse das doch! So tritt eben auch die Versuchung selbst an einen Wolf Biermann heran, der soeben noch in der Dichter-Apotheose entrückt schien. Dann aber besann er sich doch auch wieder und meinte, das wichtigste aller Sonette sei das mit der Nummer 66, aber das handle ja gar nicht hauptsächlich von der Liebe, und alle - d. h. solche, die etwas davon verstünden und jene auch, die nichts davon verstünden, das brachte er wörtlich so vor - gäben nun zu (die Mehrheit von ihnen offensichtlich post mortem), dass es das wichtigste der Sonette sei. Wie schön! Dann zog Biermann seine Gitarre hinter dem Tisch hervor und sang seine Vertonung des Sonetts 66 in seiner Übersetzung - sie liegt übrigens schon seit 1989 vor.

Wem nun immer noch nicht blümerant war, der besorgte sich am 29. September 2004 das Buch selbst bzw. besuchte dessen pompöse Präsentation im "Berliner Ensemble", wo Wolf Biermann erneut Shakespeare vorsang, und zu welchem Ereignis Hannes Stein in der "Welt" am Ende seines Vorberichts schalkhaft bemerkt hatte, dies sei ja wohl "eine kleine literarische Sensation. Eine kleine?" (Der Verlag bemerkte das mit der "kleinen Sensation" schon anlässlich Biermanns Bob-Dylan-Übersetzung im vergangenen Jahr.)

Wer derart aus dem Fenster schreit, darf sich nicht wundern, wenn er schlafende Hunde weckt. Deshalb nun zu dieser Übersetzung selbst. Beginnen und enden wir beim reinen Handwerk!

Wolf Biermann erklärt uns in seinem Buch - nicht zum ersten Mal -, er habe leider bemerken müssen, dass das Englische silbenärmer sei als das Deutsche. Und zwar betrage das Verhältnis der einen Sprache zur andern 5 zu 6, wenn nicht gar 5 zu 7, woraus sich nach Adam Riese, jenem bekannten Poetologen des 16. Jahrhunderts, ergebe, dass eine deutsche Nachdichtung der Shakespeare-Sonette, die ebenso viel "Aussage" enthalten wolle wie das Original, wenigstens sechs (wenn nicht sieben) Versfüße pro Zeile benötige statt nur deren fünf. Dies wird behauptet, obwohl nicht nur im Shakespeare-Text, sondern auch in sämtlichen anderen Sonetten der Weltliteratur, nehmen wir die Original-Alexandriner-Sonette einmal aus, nur fünf Versfüße stehen. Es ist für Biermann dabei auch unerheblich, dass nicht ein einziger seiner inzwischen etwa 250 deutschen Vorgänger und Mitbewerber im Shakespeare-Sonetten-Übersetzer-Gewerbe, von Christian Heinrich Schuetze 1784 bis zu Günter Plessow 2003 und darüber hinaus, jemals diesen grundsätzlichen Schluss gezogen hat.

Einmal gesetzt den Fall, Wolf Biermann habe nur eben als philologisch-linguistisch Unschuldiger (wie jenes Kind in Andersens Märchen von "Des Kaisers neuen Kleidern") erstmals eine offenkundige Wahrheit festgestellt - all den anderen verblendeten Narren ins Angesicht hinein -, so muss er sich doch eigentlich darüber im Klaren sein, dass sein Anspruch, er wolle in seinen jambischen Hexametern nun ebenso viel Aussage wie Shakespeare in Pentametern vermitteln, augenblicklich dazu führen muss, dass ein jeder halbwegs denkfähige Leser die Aussagenfülle der Biermann-Sonette genauer zu überprüfen beginnt - und womöglich nicht nur mit dem Zentimetermaß. Hofft Wolf Biermann denn, hier zu bestehen?

Dichterische "Aussage" zu einer in Versfüßen quantifizierbaren Größe zu erklären, zeugt von einer recht eigenartigen literarischen Plattfüßigkeit. Zunächst wird mit der Maßregel 'Nimm 6 statt 5' die rhythmische Wirkung des jambischen Pentameters zerstört und gegen die ganz anders geartete Symmetrie-Struktur des französischen Dramen-Alexandriners mit seinem Zäsur-Zwang in der Mitte eingetauscht - und das von einem angeblich musikalischen Menschen, der seine Gitarre, wie er selbst sagt, immer dabeihat; dies ist schon poetisch-musikalisch einfältig. Dann aber wird zudem noch der Anspruch erhoben, in diesen sechs Hebungen befinde sich nun ebenso viel Aussage wie bei Shakespeare. Kann man sich selber und das eigene poetische Unternehmen gründlicher sabotieren als durch solche Meldungen? Wolf Biermann ist also, ab heute objektiv messbar, nicht nur mit Shakespeare gleich, sondern auch dessen sonstigen Übersetzern in der Shakespearischen Sinnerfassung immer im Verhältnis 6:5 voraus! (Es wäre einmal lustig zu sehen, welchen Jubel der Fachwelt Biermann mit einer Übersetzung der Shakespeare-Dramen in Alexandrinern entfachen würde, denn auch dort stehen Pentameter, wenn auch keine gereimten, man nennt sie Blankverse, - und Lessing, Goethe, Schiller, Kleist, - ach, lassen wir das!)

Machen wir also eine Probe aufs Exempel und wählen wir zur Durchsicht dasjenige Sonett aus, von dem Wolf Biermann selber sagt, es sei das prominenteste, - das er darum auch auf das Vorsatzpapier seines Buches gedruckt, schon früh vertont und, wie erwähnt, soeben wieder im Fernsehen vorgesungen hat. Er wird also auf diesen Text besondere Sorgfalt verwendet haben; die Wahl des ja nur stellvertretenden Beispiels darf man darum nicht unfair nennen.

Sonnet LXVI (William Shakespeare)

Tired with all these, for restful death I cry:
As to behold desert a beggar born
And needy nothing trimmed in jollity
And purest faith unhappily forsworn,
And gilded honour shamefully misplaced,
And maiden virtue rudely strumpeted,
And right perfection wrongfully disgraced,
And strength by limping sway disabled,
And art made tongue-tied by authority,
And folly, doctor-like, controlling skill,
And simple truth miscalled simplicity
And captive good attending captain ill.
Tired with all these, from these would I be gone,
Save that, to die, I leave my love alone.

Das 66. Sonett (Wolf Biermann)

Müd müd von all dem schrei ich nach dem Schlaf im Tod
Weil ich ja seh: Verdienst geht betteln hier im Staat
Seh Nichtigkeit getrimmt auf Frohsinn in der Not
Und reinster Glaube landet elend im Verrat.
Und Ehre ist ein goldnes Wort, das nichts mehr gilt
Und einer Jungfrau Tugend wird verkauft wie'n Schwein
Und weil Vollkommenheit man einen Krüppel schilt
Und weil die Kraft dahinkriecht auf dem Humpelbein
Gelehrte Narrn bestimmen, was als Weisheit gilt
Und Kunst seh ich geknebelt von der Obrigkeit
Und simple Wahrheit, die man simpel Einfalt schilt
Und Güte, die in Ketten unterm Stiefel schreit
Von all dem müde, wär ich lieber tot, ließ ich
In dieser Welt dabei mein Liebchen nicht im Stich.

Welche Aussagenfülle also liefert der zusätzlich hereingestellte Versfuß?

Zeile 1: Der zusätzliche Takt stammt hier aus der Wiederholung des "müd". Dieses "müd müd" erklärt aber nicht nur nichts an Shakespeares Textabsicht, sondern steht ihr sogar entgegen; denn nicht ein körperlich halb Eingeschlafener, der sich gleichsam mit einem Gähnen als "müd müd" beschreibt, tritt hier auf, auch kein sanft und elegisch Klagender, sondern ein zu Tode wütend Gemachter! Die Beseitigung des zweiten "müd" gäbe Shakespeares Sinn erst jene Chance, die ihm in "müd müd" ganz gewiss verweigert ist. (Das langvokalige zweisilbige deutsche "müde" hat es ja ohnehin schon schwer gegen den aggressiven Peitschenschlag des scharf anlautenden einsilbigen "tir'd", das mehr von "empört" als von "ermüdet" an sich hat.) Wir erkennen schon das Prinzip des sechshebigen Grundmodells: Verfälschendes Gerede wird eingefügt, nicht etwa ein Mehr an Sinn erfasst. Doch sehen wir weiter!

Zeile 2: Das umgangssprachliche "ja" zusammen mit der Fehldeutung des "as", das hier nicht "da, weil" bedeutet, sondern "beispielsweise" oder "wie etwa", bringt an dieser Stelle die ebenso überflüssige und erneut in einen Verständnisfehler mündende Zeilenverlängerung. Statt "weil ich ja seh" ein schlichtes "da sieh!" (das lateinische "ecce!", das italienische "ecco!") - und die Zeile wäre gerettet. Ja, wäre! (Auch das "ich" ist problematisch, wir kommen bei Zeile 10 noch darauf zurück.)

Zeile 3: Auch hier beseitigt der zusätzliche Versfuß nicht den Verständnisfehler, sondern erzeugt ihn erst. Da sich der Übersetzer duldsam den Freiraum gibt, über "Frohsinn in der Not" zu plaudern, was immer er sich hier vorgestellt haben mag, statt mit der strengen Beschränkung des Zehnsilblers einen Sinn zu errichten, bleibt am Ende nur Geschwätz stehen. Denn was hätte "Frohsinn in der Not" in dieser Philippika verloren? Wäre das denn nicht sogar eine schöne sanfte Tugend? Jemand, der sich angesichts dessen bis zu Selbstmordgedanken grämt, muss verrückt geworden sein! Wirklich gemeint ist: "Das armselige Nichts (ein Bayer würde sagen: der "noodige Deifi") traut sich als aufgebrezelter Angeber daherzukommen."

Zeile 4: Die Zeile wird dadurch sechshebig, dass ein völlig unnötiges "elend" eingeschoben wird, das sich durch nichts rechtfertigt, ein klassisches Füllwort. Wäre doch wenigstens im Ganzen ein richtiger Satz gelungen! Es ist aber Unsinn zu sagen, Glaube "lande" im Verrat. Man könnte sagen, Glaube treffe auf Verrat, begegne ihm, auch ein gegebenes Versprechen könnte verraten, der Glaube durch Verrat enttäuscht, Vertrauen mit Verrat übel vergolten, eine treue Seele durch einen schlechten Kerl verraten werden. Glaube kann jedoch nicht im Verrat "landen", er hätte sich ja dann selbst pervertiert. Die Zweipoligkeit der Zeile (sie ist als Kontrast gebaut wie alle andern von 2 bis 12) wird in einpoliges Dummdeutsch zerredet.

Zeile 5: Hier wird deutlich, was für die ganze Übersetzung gilt: Die Einfügung des zusätzlichen Taktes zerstört nicht nur die rhythmische Wirkung des Pentameters im Allgemeinen, sondern auch die rhetorische Geste dieses Sonetts im Besonderen. In 66 haben wir eine Abfolge gleichgerichteter Verzweiflungsschreie in elliptischer Struktur; kein Vergleichen mehr, kein Begründen mehr, kein finites Verb mehr, ein Infinitiv in Zeile 2, dann nur noch Partizipia, die einzelnen Aussagen wie Hammerschläge. Was aber tut der Übersetzer? Er bläst einen Satz geschwätzig auf, fügt zwei betuliche Verba ein ("ist", "gilt"), konstruiert einen Relativsatz, d. h. er macht Shakespeares Zeile zum Gequassel. Weshalb wäre "Ehre" denn ein "goldenes Wort", wenn sie doch "nichts mehr gilt"? Sie "gilt" ja durchaus - nur leider "misplaced", so hat Shakespeare da geschrieben, "am falschen Ort" also. Das ist Wolf Biermann entgangen.

Zeile 6: Das unmotivierte "einer" zu Beginn fügt nicht Sinn hinzu, sondern ist zu streichen. Dann wäre die Zeile wenigstens metrisch in Ordnung, inhaltlich leider noch lange nicht. Erneut zerstört der Übersetzer den Sinn des Originals. Gemeint ist "Jungfräuliche Tugend wird roh prostituiert." Der Übersetzer rührt hier aber nur die drei Begriffe "Jungfrauentugend", "Schwein" und "verkaufen" in einen x-beliebigen Zusammenhang, in dem es auf die entstandene Mitteilung in ihrer neuen Bilderwelt gar nicht mehr ankommt, sondern nur noch auf die knallige Wirkung der Wörter. Was wäre am Verkauf eines Schweins zu kritisieren? Weshalb überhaupt dieser Vergleich mittels des dialektalen "wie'n"? Wird ein Schwein denn zum metaphorischen "Dreckschwein", wenn man es verkauft? Gut, man darf das Original als "zur Prostitution gezwungen", "auf den Strich geschickt", lesen - d. h. die "maiden virtue" wird in der Tat verkauft. Aber dadurch, dass sie eben verkauft wird, wird sie geschändet, nicht die Art des Verkaufs ("wie'n Schwein") ist das Schlimme daran. Das "Schwein" taucht ja hier nur auf, weil der Übersetzer andeuten will, da sei etwas "Schweinisches" im Gang. Hätte er also gesagt, die Jungfrau werde "schweinisch verkauft", hätte das seine logische Richtigkeit - so haut er uns nur diesen nicht zu Ende gedachten Vergleich um die Ohren, d. h. er verwechselt die Funktion des Vergleichs mit der des Adverbs.

Zeile 7: Das eingefügte "weil" (hier inhaltlich ebenso falsch wie in Zeile 2) bewirkt die Verlängerung auf sechs Takte. Nicht nur ist dieses "weil" aber falsch, es wäre, auch wenn es Bestand hätte, mit dem "Und" davor syntaktisch falsch angeschlossen. "Und weil" hängt nämlich in der Luft, erzeugt einen künstlichen Stammel-Effekt des Sprechers: "Ich bin so erregt über das alles, dass ich gar nicht mehr richtig reden kann." Gut, warum nicht - zu anderer Zeit, am andern Ort durchaus ein denkbares Stilmittel! Aber doch nicht erneut massiv gegen die Rhetorik der Vorlage! Shakespeares zehnfaches "And" ist das Markenzeichen einer unerbittlich wütenden Parataxe über zehn Zeilen, nicht Anzeichen larmoyanter Stammelei in freischwebenden Nebensätzen. Und bitte erst recht nicht gegen die Textabsicht! Ein "weil" kommt, weil sinnlos, im ganzen Gedicht nicht vor; es wird hier nicht begründend argumentiert, sondern angeklagt.

Zeile 8: Derselbe Einwand gegen das "Und weil", das zu allem Elend wiederholt wird. Zudem hinkt hier nicht nur die Kraft, sondern auch wieder die Metapher: Man humpelt entweder, wenn man ein "Humpelbein" hat, oder man kriecht dahin, denn "humpeln" und "kriechen" sind verschiedene, einander ausschließende Bewegungsarten. Es ist leider so, dass falsche Bilder in der Lyrik (wie zuvor schon beim "Frohsinn in der Not" und bei "verkauft wie'n Schwein") besonders viel Aufmerksamkeit des Lesers für Unsinniges verbrauchen, sie sind darum tödliche handwerkliche Fehler.

Zeile 9: Diese Zeile ist einmal inhaltlich einwandfrei, es ist die erste in dieser Übersetzung des 66. Sonetts, die keinen Sinn-Fehler enthält - für sich genommen, nicht leider als Übersetzung der entsprechenden Shakespeare-Zeile. Der durch die Verlängerung ermöglichte Relativsatz zerstört jedoch erneut die grundsätzliche Rhetorik des Originals.

Zeile 10: Ein exaktes pentametrisches "Und Kunst geknebelt von der Obrigkeit" wird künstlich durch ein völlig überflüssiges - nein, sogar kontraproduktives - "seh ich" wie schon in Zeile 2 aufgeblasen. Wer sonst als der Sprecher sähe denn? Aber kommt denn dieses "Ich" - außer am Anfang und am Ende - bei Shakespeare nur einmal vor? Es geht hier ja eben gerade nicht um die betonte Subjektivität "Ich sehe"! Es geht um bittersten Tatbestand, der ganz unabhängig von zufälligem Sehen besteht! Mit einem hier eingeschobenen "seh ich" wird darum erneut der Textabsicht widersprochen und damit die ganze Kunst der Zeile (und die der andern) zerstört.

Zeile 11: Dieses ist der Satz des ganzen Gedichtes, in dem man davon reden könnte, erst die Verlängerung der Zeile biete Gelegenheit, die figura etymologica "simple/simplicity" des Originals durch die Wiederholung des deutschen "simpel" nachzuahmen. Dafür zahlt der Übersetzer allerdings einen hohen Preis, wenn er für einen Fall von 14 nun 13 andere (wenn nicht auch noch 39 x 14 = 546 andere) der Redseligkeit, Fehlerhaftigkeit und metrischen Zerstörung ausliefert. Zudem gilt erneut der Relativsatz-Einwand. Man hätte ein doppeltes "simpel" doch wohl auch in einem Hauptsatz untergebracht!

Zeile 12: Hier nun herrscht wirklich übersetzerische Zerstörung. Wo bei Shakespeare eine schöne chiastische Figur erscheint, "der Gefangene 'Gut' - dem Aufseher 'Bös' dienend", noch dazu mit der herrlichen "capt"-"capt"-Anapher, tauscht der Übersetzer poetischen Esprit gegen eine amorphe Blähung durch erneuten Nebensatz. Einmal abgesehen davon, dass es um "Gut-Sein" und nicht um "Güte" geht - bei Shakespeare "schreit" auch niemand ("attending"!), schon gar nicht "in Ketten unterm Stiefel", das ist nur privates Geschimpfe des Übersetzers. Shakespeare zeigt vielmehr voll verhaltener Empörung das durch einfache und Macht-willkürliche Umbenennung (captive-captain) erzwungene stumme (nicht schreiende) Erdulden einer "verkehrten Welt", weist gleichsam auf eine böse Etiketten-Lüge hin. Man beachte auch: Das ist die letzte der Feststellungen des Gedichts, die zum Selbstmord raten, also gewissermaßen dessen interne Pointe, nach der das Couplet folgt, das sich auf die Liebe besinnt. Wolf Biermanns grobe Faust zerschlägt da eine ganze Welt voll gescheiter Poesie. Er hat zudem bis hierher sechs Nebensätze eingefügt, wo sich bei Shakespeare kein einziger findet. Dessen ausgefeilte rhetorische Kontrasttechnik in monumentalen Hauptsätzen geht nicht nur hier, hier aber besonders schmerzlich, in Biermanns undiszipliniertem Gezeter unter; und den Leser beschleicht der Verdacht, der Nachdichter bedauere im Stillen tatsächlich, dass er diesen Untergang nicht nun doch gleich mit sieben Hebungen gestaltet hat.

Zeile 13: Die Verlängerung der Zeile führt hier zwar nicht zu Begriffsverwirrungen wie in den genannten andern Fällen, aber zu einem Enjambement, das erneut die Baugesetzlichkeit des Shakespeare-Sonetts, hier des Couplets, zerstört. Das heißt, das einzige (!) Hauptsatz-Nebensatz-Gefüge des Gedichtes, das natürlich mit Kunstsinn in zwei genau gleichgewichtige Hälften geteilt ist, wird nicht, wie es zu sein hätte, erst am Zeilenende getrennt, sondern zwei Wörter davor.

Zeile 14: Schließlich wird auch der stilistische Fehlgriff "mein Liebchen" nur möglich durch die geduldete Zeilenverlängerung. Fünf Hebungen hätten etwa das neutrale "mein Lieb" verlangt - und damit vielleicht einen groben Fehler vermieden. "Liebchen" (in der Nachbarschaft von "Feinsliebchen") ist nämlich ein Zitat aus längst vergangenen Literaturzeiten, schafft also eine intertextuelle Referenz, z. B. ins deutsche Volkslied des 19. Jahrhunderts, die Wolf Biermann unmöglich gemeint haben kann; kein Mensch nennt seine Geliebte/Freundin/Frau (oder gar seinen Freund) heutzutage "mein Liebchen". Auf sein Deutsch aber, das heutzutage das richtige für Shakespeare sei, ist er doch so stolz! Er besitzt nur leider nicht die Sensibilität und die Sachkenntnis, die ihm nötigenfalls sagen könnten, dass unbedacht gewählte Wörter unerwünschte Konnotationen mit sich führen. Auch für das geschwätzig eingefügte "dabei" - es ist der hier eingeschobene Versfuß, der ohne alle Not wegbleiben kann - gilt, dass es nicht nur überflüssig, sondern auch stilistisch missglückt ist. Man kann nicht sagen "Ich wäre am liebsten tot, wenn ich dich dabei (also "beim Tot-Sein") nicht allein ließe", denn "dabei" ließe sich hier nur auf eine Handlung, nicht auf einen Zustand beziehen.

Was macht uns solche Durchsicht nun klar? Sie erweist Stümperei, es lässt sich nicht milder ausdrücken. Biermanns Übersetzung ist um Welten schlechter als das Original (und schlechter auch als die meisten seiner Übersetzungs-Vorgänger). Sehr oft vollendet gerade der sechste Versfuß, nennen wir ihn den Biermann'schen Humpelfuß, das Misslingen. Seine Behauptung, man müsse sechs statt fünf Hebungen benutzen, ist schon darum grober Unfug.

An seiner ganzen 66-Übersetzung stimmt fast nichts - weder im sprachlich-diskursiven Bereich noch im Verständnis des Originals noch in der grundsätzlichen Erklärung zur eignen Sprechergeste, die völlig vage bleibt. Wer eigentlich redet bei Biermann? Ein nach außen hin lärmender Polit-Kritikaster, der aber zu Hause das stille Biedermeier-Idyll eines "Liebchens" pflegt? Ein missgelaunter Querulant, dem schon alles egal ist und der darum auch alles in einen Topf wirft? Ein Halb-Eingeschlafener, der Frohsinn, Jungfrauentugend, Schweine, Humpelbeine usw. in ihrer heterogenen Begrifflichkeit aus Konzentrationsmangel gar nicht mehr wahrnimmt und mit "Und weil ..." herumstammelt? Gerade einmal die Grundidee des Gedichtes ist begriffen, mehr nicht. Wolf Biermanns Fehler im Deutschen wie im Englischen, seine handwerklichen Missgriffe, seine mangelhafte Selbstreflexion und angeberische Nachlässigkeit sind ebenso deutlich, wie seine Chuzpe bei der vielfältigen Selbstpräsentation in Presse und Fernsehen sowie im Begleittext des Buches unangenehm. Es nützt Biermann nichts, wenn er kokett darauf verweist, "... wie die Urteilskraft auch einen brillanten Kopf verlässt, sobald er seine eigenen Werke einschätzen muss". Das sagt Wolf Biermann über Karl Kraus, aber er führt auch nicht den kleinsten Beleg dafür an, dass Karl Kraus mit seiner Sonetten-Übersetzung gescheitert sei. Er behauptet es nur "breitärschig", um in seinem Jargon zu reden. Das scheint ihm Schutz genug gegen die nahe liegende Vermutung, auch er selbst schätze wohl den Wert seiner Arbeit falsch ein; doch so einfach lässt sich kritischer Einwand nicht beseitigen. Gerade weil all der Vorlauf für seine Publikation so üppig ausfiel, wäre ja dort erklärende Werbung für sein Vorhaben möglich gewesen! Diesen Prominenten-Vorteil, gleichsam einen Start aus der pole position, verschenkt er mit verächtlicher Gebärde - aber eine solche Chance hätten die anderen Bewerber ("alte verkrachte Poeten wie auch [...] aufblühende junge Dichter" - so spottet er noch über sie) gar nicht erhalten.

Das Scheitern ließe sich mühelos auch an den übrigen 39 Übersetzungen dieser Sammlung zeigen - und, da Wolf Biermann auf manch anderes Sonett weniger Sorgfalt als auf 66 verwendet hat, mit noch deutlicherem Ergebnis; doch wäre dafür der Platz an diesem Ort verschwendet.

Auch möglich wäre es - wir besitzen schließlich inzwischen rund 160 deutsche Übersetzungen des Sonetts 66, die Ulrich Erckenbrecht in seinem "Shakespeare Sechsundsechzig"-Buch gesammelt hat -, an den Leistungen von Biermanns Mitbewerbern einmal kontrastiv vor Augen zu führen, wie mancher gute Handwerker (und sogar der eine oder andere Meister) mit diesem Gedicht umgegangen ist. Das kann aber jeder auch selbst tun, Wolf Biermann eingeschlossen.

Noch einmal zum Grundsätzlichen des Phänomens, weil es auch über diese Übersetzung hinaus Bedeutung hat: Biermann preist für seine Übersetzung eine norddeutsche Schnoddersprache mit berlinerischen Einbauten an, die er auch sonst für seine Liedtexte verwendet. Er behauptet von diesem Idiom, es sei Deutsch, und Deutsch sei eine Sprache, die er beherrsche. Das qualifiziere ihn zum Übersetzer, zum "Transportarbeiter", wie er sich auch scheinbar bescheiden nennt. Seine Einlassung, Englisch müsse man nicht können, wenn man aus dem Englischen ins Deutsche übersetzen wolle, doch Deutsch müsse man in diesem Geschäft sehr wohl können, ist zwar ganz richtig, es ist eine Binsenweisheit unter Übersetzern. Auch andere haben nach dieser Einsicht gehandelt und mit Interlinear-Versionen von Fachleuten gearbeitet, etwa George, Fulda oder Kraus. Die Frage ist hier aber eine ganz andere, nämlich die: Welche Sensibilität gegenüber einer Quellsprache trifft sich mit welcher Sensibilität für die deutsche Zielsprache des Übersetzers? Biermann behauptet, dass sein Liedermacher-Jargon der Shakespeare-Sprache von 1609 ganz nahe komme. Er versteht seine Sprache keineswegs in aller Bescheidenheit als ein Mittel unter vielen, gewisse Aspekte der Shakespeare-Sonette zu verdeutlichen - was ja erlaubt wäre -, sondern er legt ständig über mancherlei geschickt arrangierte Umwege nahe, es gebe eine Gleichrangigkeit seiner Ausdruckskunst mit der Shakespeares. Das ist schwer erträglich. Hätte er seinen Versuch, wenn schon nicht verworfen, so doch, veröffentlichend, in seiner poetischen und gedanklichen Gebrechlichkeit wenigstens zu erklären versucht, statt sich mit Vorschuss-Lorbeer in eigner Sache zu bekränzen, hätte ihm wohl jeder gern freundliche Beachtung geschenkt. Ist ihm also darum die dritte Zeile des 66. Sonetts so krass misslungen, weil er ihren Sinn nicht auf sich angewendet sehen mochte? Demonstriert er in seiner Shakespeare-Übersetzung, was er mit "Frohsinn in der Not" meint?

Wenn eine durchaus zu Recht lokalisiert gebliebene Sprache wie Biermanns Liedersprache bedenken- und erklärungslos mit anmaßend-drolliger Tollpatschigkeit für eine Übersetzung dieser Brisanz verwendet wird, ist Widerspruch nötig. Man hat, will man eine "ernsthafte" Übersetzung aus der Weltliteratur anbieten, eine Übersetzersprache zu benutzen, die sich Wort für Wort ausweist als ein Versuch, den höchsten ernst gemeinten Anspruch zu erfüllen, in philologischer wie poetischer wie diskursiver Hinsicht. Andernfalls müsste man zumindest vorsichtshalber auf den Umstand hinweisen, dass es sich beim eignen Beginnen um einen beiläufigen Scherz, eine Kontrafaktur, eine Parodie oder eine Soziolekt-/Dialekt-Adaption, vielleicht auch um eine freie Paraphrase nach den eigenen sprachlichen Möglichkeiten, eine poetische Weiterführung, - kurz: um keine Übersetzung im engeren Sinn handeln soll -, und Fehler zuhauf dürften selbstredend auch dann nicht vorkommen! Wer das unterlässt und den eigenen kritiklos gehätschelten Privatdiskurs nicht mehr in Frage stellen kann, obwohl er sich in der Reibung mit einem solchen Objekt nur als Mittel geschwätzig-unpräziser Umschreibung verrät, und wer dabei auch noch die systematische und rhetorische Präzision der Gedankenführung des Originals übersieht, der greift wahrhaft gründlich daneben.

Niemand ist vor Scheitern sicher. Darum ist auch das faire Miteinander unterschiedlicher Annäherungen an die Shakespeare-Sonette durchaus wünschenswert - ein bescheidener Wolf Biermann würde als Mitbewerber begrüßt! Der Wettstreit der Shakespeare-Übersetzer seit 250 Jahren ist nämlich kein "Literatenquatsch", wie Biermann in der ihm eigenen Arroganz meint.

Für experimentelle Beschäftigung mit den Shakespeare-Sonetten gibt es zahlreiche gelungene Beispiele, die in aller Bescheidenheit vor die Öffentlichkeit getreten sind. Nur drei Arbeiten seien genannt: Renate Wüstenbergs mecklenburgische Platt-Übersetzung (Rostock 2002), die aus der Meerestiefe der Shakespeare-Sonette auch eine gleiche in einer deutschen Mundart gewinnt, auch wenn Biermann diese Übersetzung einst beiläufig eine solche nannte, die nach "Kuhstall und Fisch" rieche, es fehle ihr der "hohe Ton", den, so deutete er an, nur ein Profi wie er der Sache geben könne. Es wäre außerdem zu nennen Ingeborg Vetters Berlinerische "Antiphon"-Sonett-Übersetzung (im Shakespeare-Jahrbuch 2000), die von geistreichem Witz und befreitem Durchblick ins Menschliche sprüht, ohne dabei freilich zu "übersetzen". Und schließlich gibt es auch L. Barnes' perfekte Kontrafakturen (im Shakespeare-Jahrbuch 2002) als mehrfache Sprachspiegelungen moderner Existenz aus der Feder eines gescheiten, nur scheinbar philologisch uninteressierten Sprachspezialisten. Alle drei Arbeiten - man könnte zahlreiche andere nennen, sei es aus den schweizerischen und mitteldeutschen Mundarten, dem Jiddischen, Plautdietschen und Pennsylvania-Deitschen, dem "Kanak-Deutsch" Berlins, den Sprachexperimenten Matthias Koeppels, sei es aus den lyrischen Weiterführungen Ulrike Draesners oder Franz Josef Czernins (ob Wolf Biermann sie wohl alle kennt?) - sind virtuose Experimente, die ihren Autoren ein Maximum an Sprach-Disziplin und Arbeit abverlangten, und in ihnen eben darum in aller Regel ein Maximum an übersetzerischer Bescheidenheit erzeugt haben. Ernsthafte Arbeit macht bescheiden, denn ernsthafte Arbeit führt uns an unsere Grenzen. Alle die genannten Übersetzungen sind der hier besprochenen Übersetzung überlegen - an Klarheit der Textsorte, an Transparenz der Textabsicht, an Wissen über die Quell- und Zielsprache, an eingeräumter Relativität, an nachdenklichem Textverständnis, an Formgefühl - und nicht zuletzt auch an "Herzblut", dessen ständiges, lärmend-platschendes Verschütten bei Biermann mehr und mehr zu einer Attitüde verkommt.

Wolf Biermann scheitert hier nicht nur übersetzerisch (nein, auch Doris Rosencrantz konnte das nicht, wie er fröhlich erklärt, verhindern) -, das könnte man ihm in aller Gelassenheit zugestehen, nur er hat ja den Schaden. Ohne die peinliche Begleitmusik müsste man vielleicht nicht einmal ein Wort zu seiner Übersetzung verlieren. Er wendet sich durch die Begleitumstände dieser Übersetzung aber auch ohne allen Anlass verächtlich ab von der ihm aufgetragenen Loyalität mit der ihn umgebenden Übersetzer- und Dichter-Kultur, ohne die er selbst seinen Platz nicht hätte.

Eine vollständige Fassung des Beitrages mit Zitatbelegen und Fußnoten ist Online-Abonnenten von literaturkritik.de als pdf-Datei hier zugänglich.

Titelbild

Wolf Biermann: Das ist die feinste Liebeskunst. 40 Shakespeare Sonette. Englisch-Deutsch.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004.
164 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 346203443X

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