Durch Deutschland muss ein Ruck gehen

Mahnende Worte Herzogs geleiten die Brockhaus-Visionen 2000

Von Heike BüsingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Büsing

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Da war diese Sache mit dem Ruck, der durch Deutschland gehen muss. Roman Herzog mahnte ihn vor nunmehr zweieinhalb Jahren an. Es war die berühmte, viel zitierte Rede im Berliner Hotel Adlon, mit der der ehemalige Bundespräsident 1997 die Gesellschaft wachrütteln wollte und dabei kein Blatt vor den Mund nahm, als er seine Bedenken mit den Worten äußerte: "Niemand darf vergessen: In hoch technisierten Gesellschaften ist permanente Innovation eine Daueraufgabe! Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Deutschland. Aber es ist auch noch nicht zu spät. Durch Deutschland muss ein Ruck gehen." Ein Auszug aus Herzogs Rede steht sicherlich nicht ohne Grund auf den ersten Seiten eines Buches, das den Titel "Visionen 2000" trägt. Mit einer Sammlung von Kurzaufsätzen, verfasst von Menschen aus Politik, Wissenschaft und Kultur, stellt die Brockhaus-Redaktion 100 Zukunftsbilder vor, die einen zuversichtlichen und mutigen, gelegentlich auch zaghaften und skeptischen Blick in das nächste Jahrtausend werfen.

Wie steht es mit dem Ruck, der durch Deutschland gehen muss? Wie sehen Politiker wie Heiner Geißler, Wissenschaftler wie der Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski, Kirchenvertreter wie Bischof Karl Lehmann, Künstler wie Christo und Schriftsteller wie Ludwig Harig unsere Zukunft?

Jedem der Aufsätze ist eine Leitfrage vorangestellt, jene zum Beispiel nach einer politischen Renaissance Europas oder nach dem Museum im 21. Jahrhundert. Auf sie geben die Visionäre keine ultimativen Antworten, sondern Denkanstöße, die ungeachtet ihrer unterschiedlichen Perspektiven auf 415 Seiten zu einer einzigartigen Vision 2000 verschmelzen.

Trotz der großen Vielzahl von Blicken in das neue Jahrtausend mutet die Lektüre des Buches dabei keineswegs trocken oder gar langweilig an. Dafür sorgt nicht nur der Stil der Autoren, der so manches mal vom klassischen Aufsatz abrückt, um Raum für Karikaturen oder eine Kurzgeschichte zu geben, sondern auch die erstklassige Aufmachung des Buches. Die Gestaltung der Informationen und Anregungen auf jeweils zwei Doppelseiten ist dabei ausgesprochen gut gelungen: So finden der Lebenslauf des Autors oder wichtige Aussagen und Zitate auf dem großzügigen Seitenrand ebenso ihren Platz wie anschauliche Zeichnungen und Fotografien.

Ganz im Zeichen des in den Texten geforderten Zukunftsbewußtseins steht der Verkauf des Buches. Dessen Reinerlös wird der Verlag der "Living Planet Campaign" des "World Wide Fund for Nature" (WWF) zugute kommen lassen.

Wer mehr über den nötigen Ruck, den viele immer noch anmahnen, die Wünsche, Hoffnungen und Ängste von wichtigen Repräsentanten unserer Gesellschaft erfahren will und sich gerne von den Denkanstößen anregen lassen möchte, der sollte sich unbedingt mit diesem Buch für einige Stunden in die Welt der Visionen 2000 begeben.

Ein eigener Blick in die Zukunft sei hier gewagt: Spannend wird es sicherlich werden, wenn wir in 20 oder 50 Jahren erneut dieses Buch aufschlagen und darin sowohl die nicht beachteten Mahnungen von damals als auch die Wünsche und Hoffnungen, die mittlerweile in Erfüllung gegangen sind, wiederfinden werden.

Titelbild

Brockhaus Redaktion (Hg.): Visionen 2000. Einhundert persönliche Zukunftsentwürfe.
Brockhaus Verlag, Mannheim 1999.
415 Seiten, 38,30 EUR.
ISBN-10: 3765306118
ISBN-13: 9783765306112

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