Immer in die Komik-Klötze

Zwei Lyrikanthologien wetteifern um das komische Erbe der Deutschen

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Nie wird ein Weib sich ganz dir weihn, / Hat es dir nie was zu verzeihn." Mag sein, dass derlei Sinnsprüche unseres Literaturnobelpreisträgers Paul Heyse witzig sind, aber sind sie auch komisch?

Die beiden hier zur Rede stehenden Anthologien haben den deutschen Vorrat komischer Poesie einer kritischen Würdigung und Auslese unterzogen und sie neu kontextualisiert. Sie haben damit den Leser in die Lage versetzt, Entdeckungen zu machen, und es ist erstaunlich, dass bei den 555 Gedichten der einen und den 878 Gedichten der anderen Sammlung nur etwa 50 Übereinstimmungen auszumachen sind - wobei immerhin neun der 25 als unverzichtbar bezeichneten Texte der Fischer-Anthologie auch in die Zweitausendeins-Anthologie Eingang fanden. Und noch eine Gemeinsamkeit ist festzustellen, und die ist grundlegend: Beide Anthologie beziehen sich bei dem Versuch, ihre Auffassung von komischer Dichtung zu begründen, auf Morgenstern, der 1910 einem präsumptiven Kritiker seiner Galgenlieder schrieb: "Ich habe nur eine Bitte: Sollte [...] in Ihrem Aufsatz das Wort Blödsinn oder Stumpfsinn, wenn auch noch so glänzend epithetiert, vorkommen, so ersetzen Sie es meinethalben durch Wahnwitz oder Tollheit oder dergleichen; da Sie es wahrlich begreifen werden, daß es auf die Dauer nicht angeht, einen Humor, dessen vielleicht einziger Vorzug gerade in einer gewissen Geistigkeit, von Helligkeit und Schnelligkeit besteht, mit diesen zwei üblen deutschen Philister- und Bierbankausdrücken, in denen sich [...] die Mehrzahl meiner 'Kritik' gefällt, abzustempeln."

Beide Anthologie beziehen sich im Nachwort auf dieses Leitbild, und die Auswahl von Robert Gernhardt und Klaus Cäsar Zehrer trägt das auf "Hell und Schnell" verkürzte Zitat sogar im - orthographisch komischen - Titel. Diese Bezugnahme auf Morgenstern ist freilich kein Zufall, sondern zeigt nur, dass beide 'Hausbücher', auch das von Steffen Jacobs, ihren Spiritus rector in Robert Gernhardt haben, dessen Komiktheorie seit vielen Jahren auf diese Zwillingsformel von "Helligkeit und Schnelligkeit" setzt und ihr die Dunkelheit, Privatheit und Unverständlichkeit 'ernster' Lyrik gegenüberstellt. Gernhardts avancierte Komiktheorie gilt als einflussreich und als empirisch beglaubigt, und in bewährter Manier nutzt er das Vorwort seiner Anthologie, um seine Auffassung des "komischen Gedichts" noch einmal in Thesenform darzustellen.

Damit enden die Gemeinsamkeiten, bis auf die Tatsache vielleicht, dass die begründenden Nachworte, mit denen die Herausgeber Jacobs und Zehrer ihre Auswahl flankieren, in beiden Fällen eher bräsig und bemüht ausgefallen sind als hell und schnell.

Steffen Jacobs' Untertitel "878 gewitzte Gedichte aus 400 Jahren" ist dabei das Ergebnis einer irreführenden Etymologie, die im Nachwort umständlich entfaltet wird. Nachdem der Herausgeber zunächst den Popanz ernster deutscher Gesinnung bemüht hat, gegen die sich Komik behaupten müsse, watscht er einige verdienstvolle Anthologisten von Echtermeyer (dem er einen so nie erschienenen Titel zuordnet) und Hofmannsthal über Ludwig Reiners (der konsequent falsch "Reiner" geschrieben wird) bis hin zu Karl Krolow ab, um dann auf seinen Lieblingsbegriff zu sprechen zu kommen, auf die "Gewitztheit" nämlich, durch die sich komische Dichtung auszeichne, wobei er "Witz" im alten Sinne von "Schlagfertigkeit" definiert. Ein mühseliger Eiertanz und ein Beispiel dafür, dass man aus Etymologie keine Folgerungen ziehen sollte, die man in der Sache nicht belegen kann: Denn Witz im Sinne von Geistesgegenwart führt weder zwingend noch überzeugend zur Komik, während Gernhardt und Zehrer immerhin zeigen können, dass Grübler und Bastler durchaus ohne Witz und Geistesgegenwart auskommen und dennoch komisch sein können.

Das Nachwort von Klaus Cäsar Zehrer, angesiedelt zwischen Erfahrungsbericht (Wie haben wir die Aufgabe bewältigt?) und Lobgesang auf die im Herausgeberduo beobachtete Harmonie der Entscheidungsfindung und Fachkompetenz (Zehrer promovierte mit einer Arbeit zur "Dialektik der Satire"), traktiert uns mit authentischen oder fiktiven Herausgeber-Dialogen und peinsamen Witzen zum "Tannhäuser" und zu den Klitschko-Brüdern. Da heißt es, Augen zu und durch. Bei Jacobs ist nicht nur der Untertitel fragwürdig, auch der Titel greift daneben: Denn seine Anthologie versammelt neben den "Deutschen" beispielsweise auch Österreicher wie Ernst Jandl oder Schweizer wie Robert Walser. Überhaupt erscheint es müßig, nationale Stereotypen zu bemühen oder - wie Zehrer - Generalaussagen zu treffen, die durch nichts belegbar sind: "Warum haben die Italiener, Spanier, Franzosen, Russen und all die anderen großen Literaturnationen zwar allesamt bedeutende poetische Werke hervorgebracht, aber bei weitem nicht in demselben Maße wie die Deutschen auf Komik abzielende Gedichte?" Origineller ist da Zehrers Versuch, nationale Stereotypisierungen dadurch zu relativieren, dass die Vielfalt 'deutscher' komischer Formen soziologisch, historisch und ökonomisch auf die Kleinstaaterei in Mitteleuropa zurückgeführt wird, in der sich die Varietät der kleinen Gattung quasi 'ausgezahlt' habe und daher besonders ertragreich gewesen sei.

Unsinnig ist Jacobs' Kriterium des absichtsvoll Komischen, auf das er seine Sammlung beschränkt hat, denn Bewusstheit im Einsatz komischer Mittel ist keine akzeptable Kategorie, wie bei Gernhardt und Zehrer evident wird, schon weil Texte grundsätzlich ein Eigenleben führen und sich von den Intentionen ihres Autors emanzipieren. "Hell und Schnell" versammelt daher neben komischen Zweifelsfällen erstrangiger Lyriker wie Hölderlin und Benn auch Texte von Poetae minores wie Karl Gerold, Friederike Kempner oder Hans-Hubert Vogts: "Ein bißchen mehr Friede / und weniger Streit, / ein bißchen mehr Güte / und weniger Neid, / ein bißchen mehr Liebe / und weniger Haß, / ein bißchen mehr Wahrheit, / das wäre doch was..."

Der Text des Fußballweltmeisters von 1974, der als Bundestrainer "die Spielkultur der deutschen Nationalmannschaft in ähnlich lichte Höhen" führte "wie die Dichtkunst", ist ein Höhepunkt der "Wunderkammer", dem Kapitel, das in Gernhardts und Zehrers Anthologie "Wunderliche und wunderbare Fundstücke aus deutschen Dichterstuben" versammelt.

Damit wären wir bei den Dichterbiographien und den Einteilungskriterien - erstere haben Gernhardt/Zehrer ihrem Konkurrenten Jacobs voraus, bei letzteren haben sie eine überzeugendere Lösung gefunden. Doch zunächst Jacobs: Seine Anthologie ist nach "Inhalten" respektive thematischen Gruppen gegliedert, seine Kapitel heißen "Lust und Liebe", "Essen und Trinken", "Reisen und Bleiben", "Geschichte und Gesellschaft", "Sprache und Dichtung" etcetera. Eine solche Kategorisierung ist insofern unsinnig, als sie die für Lyrik konstitutive Mehrdeutigkeit negiert und nicht nur zu einer grotesken Banalisierung der eigenen Klassenbildungen führt, sondern auch zu falschen Zuordnungen beim individuellen Text. Konrad Bayers Gedicht "dann bin ich gestorben" beispielsweise hat in der Rubrik "Ehe und Familie" nichts zu suchen: "ich wurde geboren / am 17. august / bald wurde ich grösser / doch war's mir nicht bewusst / ich lernte auch sprechen / und bausteine brechen / dann bin ich gestorben / am 17. august / ein Jahr nur ein jahr nur / hat mir gott geschenkt / doch war es ein reiches / wenn man es recht bedenkt". Und auch Ernst Jandls berühmtes Gedicht "ottos mops" beispielsweise, in der nahezu allumfassenden Rubrik "Natur und Kultur" mehr schlecht als recht untergebracht, gehörte ebensosehr in die Rubrik "Sprache und Dichtung". Hier, wie fast überall, erweisen sich Jacobs Kapitelbegriffe als Nonsens-Kategorien etwa in der Nachfolge von Bernd Eilerts "Hausbuch für literarische Hochkomik", nur dass dort offensiv und für jedermann erkennbar mit historischen Stoff- und Gattungskonventionen gespielt und der Unsinn 'inhaltlicher' Kategorisierungen dezidiert vorgeführt wurde.

Gernhardt und Zehrer beweisen mehr Geschick, insofern ihre rhetorisch-poetische Topographik die Texte bestimmten Räumen zuordnet: Die "Ehrenhalle" versammelt komische Klassiker, die "Galerie" bietet einen Überblick über fünf Jahrhunderte komischer Dichtungstradition, und das "Spiegelkabinett" versammelt vor allem Parodien, Travestien und Fortschreibungen. Im Konzertsaal haben Couplets, Chansons, Lieder und Songs ihren Auftritt, im "Spielsalon" wird komische Regellyrik vorgeführt. In dieser überwiegend nicht zu beanstandenden, die Mehrfachkodierung von Lyrik nicht in Abrede stellenden Zuordnung wird auch ein Bildungsziel ihrer Anthologie deutlich, nämlich die Bedeutung des tradierten Formenrepertoires der Lyrik zu erweisen. Weniger überzeugend freilich ist der Wertungsaspekt, der hier zum Ausdruck kommt, denn wer kann nachvollziehen, dass die 25 Gedichte der "Ehrenhalle" ein unverzichtbares Muss wären, die "jeder Gebildete auswendig können" sollte, während die anderen 530 Texte quasi in den Raum des Fakultativen gehören? Die "Walhalla des Witzes" versammelt Arbeiten von Autoren wie Goethe, Heine, Wilhelm Busch, Morgenstern, Ringelnatz, Brecht, Jandl und F. W. Bernstein, aber allein Morgenstern hat so viele herausragende Texte hinterlassen, dass man mit ihm allein eine Ruhmeshalle komischer deutscher Dichtung bestücken könnte, und auch von einem Autor wie F. W. Bernstein gibt es bedeutende Alternativen zu seinem berühmten "Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche".

Auf das Problem der Repräsentativität antworten Gernhardt/Zehrer mit einer gediegenen poetischen Formel: mit dem Zahlenspiel (555 aus 5); Jacobs dagegen wirkt beflissener in seinem Versuch, (Wieder-)Entdeckungen und die - stets kontextabhängigen - Ausdrucksformen und Verfahren des Komischen zu vermitteln. Der viel entdeckte Goethe ist bei ihm mit 26 Gedichten Spitzenreiter, während derselbe Autor sich bei Gernhardt und Zehrer mit drei Gedichten bescheiden muss - und damit noch gut bedient ist (zumal sein Rezensent eigentlich nicht in die Ehrenhalle gehört). Häufig vertreten sind bei Jacobs die Herren Lessing und Heine, Busch und Ringelnatz sowie Erich Kästner, während diese Klassiker bei Gernhardt/Zehrer in einem dicht besetzten Verfolgerfeld firmieren: Spitzenreiter hier - und natürlich auch bei Jacobs auf Platz zwei - ist Morgenstern.

Was die Fundstücke betrifft, gelingt es Jacobs nicht, die Regel zu widerlegen, dass vier kundige Augen mehr sehen als zwei. Es ging beiden Anthologien ja vor allem auch darum, Entdeckungen zu machen. Was Jacobs häufig berücksichtigt, etwa bei Paul Heyse, sind bemühte Sinnsprüche, die vor allem eines nicht sind: komisch. Zehrer hingegen konnte auf Gernhardts jahrzehntelange Komikkritik in der Hans-Mentz-Kolumne der Zeitschrift "Titanic" zurückgreifen, und die hat ihm etwa die wunderbaren "Verbal(l)hornungen" eines Joseph Berlinger beschert, die sich heute, auch 20 Jahre nach ihrem Erstdruck, noch so unverbraucht lesen lassen wie die folgende "Personenbeschreibung" Ernst Jandls:

jandl ein ös ter reicher
ter jandl ös ein reicher
ös der jandl ein reicher
ter jandl ös ein armer
ter jandl ös ein tichter

Zum Schluss noch etwas Pikantes: Beide Anthologien stehen in der Tradition der Hausbücher, nicht zuletzt der komischen Hausbücher, die Gerd Haffmans seit Ende der 80er Jahre in seinem Zürcher Verlag vorgelegt hat, dem Verlag also, der mit der Neuen Frankfurter Schule um Robert Gernhardt Erfolge feierte und schließlich eine unschöne Bauchlandung hinlegte, bei der Haffmans' Autoren das Nachsehen hatten. So ist es sicherlich kein Zufall, dass Jacobs' Anthologie, von Haffmans bei Zweitausendeins betreut, ohne die mit diesem verkrachten Vertreter der Neuen Frankfurter Schule auskommen muss - die einzige Ausnahme bildet Eckhard Henscheid -, während dieselben in der Anthologie des S. Fischer Verlages nahezu vollzählig vertreten sind - nur Henscheid fehlt hier: Wohl dem, der aus der Reihe tanzt. Wenn in einem Buche aber, das ursprünglich anlässlich des 60. Geburtstages von Gerd Haffmans aus der Taufe gehoben werden sollte, langjährige ehemalige Weggefährten fehlen - und damit ausgerechnet die Phalanx deutscher Komikproduzenten -, so wirkt dies natürlich wie ein Fanal und verschärft die Konkurrenzsituation, wobei besonders ins Auge sticht, dass Jacobs' Sammlung ausgerechnet dort erscheint, wo die Erfolgsstory der Neuen Frankfurter Schule um Robert Gernhardt, F. K. Waechter und F. W. Bernstein einst begann - bei Zweitausendeins. So traurig kann Komik sein.


Titelbild

Steffen Jacobs (Hg.): Die komischen Deutschen. 875 gewitzte Gedichte aus 400 Jahren.
Gerd Haffmans zum 60. Geburtstag.
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2004.
940 Seiten, 17,50 EUR.
ISBN-10: 3861505312

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Titelbild

Robert Gernhardt / Klaus Cäsar Zehrer: Hell und Schnell. 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
621 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3100255054

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