Massenkunst und Massenmord

Faschismus und Holocaust in Darstellungen der Gegenwart

Von Judith GläserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Judith Gläser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Autorin Sigrid Lange versucht in dieser Untersuchung an ausgewählten Beispielen aus Literatur und Film das Problem der Künstler mit der "Undarstellbarkeit" des Holocaust zu verdeutlichen. Sie analysiert verschiedene Herangehensweisen, vom Hollywood-Film à la Steven Spielberg über recherchierte Biographien, bis hin zu den Erfahrungen und Erfolgen einer LSD-Therapie eines Auschwitz-Überlebenden. Die Autorin befaßt sich mit dem Begriff Authentizität, der den ästhetisierenden Selbstdarstellungen des Holocaust und dessen medialer Repräsentation entgegengestellt wird.

Die Einleitung spannt den Bogen von der Begriffsanalyse "Authentizität" und "Medium" über die philosophischen Diskussionen zum Erinnern an Auschwitz in der Kunst, bis hin zu einer thesenhaften Skizze der einzelnen Kapitel. Hervorhebenswert sind vor allem die Passagen, in denen Heideggers und Paul de Mans "Sprachlosigkeit" über den Holocaust der Juden kritisch analysiert werden.

Das erste Kapitel ist zugleich das strittigste. Den Historikerstreit Mitte der achtziger Jahre über die deutsche Vereinigung und das Ende der Nachkriegszeit sieht Lange durch den 1993 veröffentlichten Essay "Anschwellender Bocksgesang" von Botho Strauß verdoppelt. Sie erkennt darin und in dem ganzen Band "Die selbstbewußte Nation" das Aufkommen einer intellektuellen Rechten. Strauß setzt den aufklärerischen Gestus der Linken mit der Fernsehverdummung gleich und deutet die linke Auseinandersetzung mit dem Faschismus nicht mehr als dessen Kritik, sondern als dessen Fortsetzung. Lange stellt sich klar in Distanz zu diesen Aussagen, wirkt aber durch ihre deutliche Kritik teilweise unwissenschaftlich. Anders bei Syberberg, den sie in direkten Gegensatz zu Strauß stellt. Sein Film "Hitler, ein Film aus Deutschland" ist ihrer Meinung nach kein Aufklärungs- sondern ein "Trauerarbeitfilm". Syberberg zeige seine Auffassung von Kunst nach Auschwitz. Er kritisiere die Trivialisierung der Kunst im dritten Reich und die faschistische Ästhetisierung der Politik. Lange bescheinigt ihm jedoch einen Hang zur Mystifizierung der deutschen Geschichte und entlarvt seine Trauerarbeit als Trauer über die verlorene Kunst, womit er dann zuletzt doch parallel zu Strauß gesehen werden kann.

Von Syberbergs Kunst- und Ästhetikbegriff ausgehend befaßt sich Lange mit der heutigen Medienlandschaft im Vergleich zu der von Goebbels aufgebauten Massenkultur. Sie diskutiert vor allem Georg Seeßlens wichtigen Einwurf: "Ob man nach Auschwitz noch Gedicht schreiben könne, war eine fundamentale Frage der kulturellen Wahrnehmung. Aber kein Mensch fragte, ob man nach Auschwitz noch Kriminalromane schreiben oder Frauen in Bikinis photographieren könne." Lange stellt fest, daß die heutige Massenkultur nicht unbedingt faschistisch ist, aber durch die "medienbegünstigte Verdrängung und das Arrangement mit der Vergangenheit" eine Art faschistisierte Wahrnehmung herausgebildet wird. Die Trilogie "Dokument - Propaganda - Mythos", die Leni Riefenstahl in ihren Filmen verfolgte, werden den heutigen Soup-Operas entgegengesetzt. Die Suggestion und Illusion von Realität durch das Fernsehen ist laut Lange in der heutigen Gesellschaft zwar gegeben, wird aber nicht so unreflektiert aufgenommen wie im "Dritten Reich".

Nach einer Skizze von Goebbels Propagandamaschine kommt Lange zu Elfriede Jelinek, die mit ihrem Roman "Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft" die fast gleichnamige Bildungsgeschichte von Goebbels "Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern" karikiert. Jelinek sieht die Fernsehverdummung als eindeutige Vorstufe zur faschistischen Gleichschaltung. Außer "Michael" bespricht Lange einen zweiten Roman Jelineks, "Totenauberg". Darin setzt Jelinek Martin Heidegger in ein fiktives Verhältnis zu Hannah Arendt. Lange geht erst auf Heideggers Einstellung zu Auschwitz und seine Philosophie ein, bis sie dann verschiedene Sprachtheorien von Adorno bis Heidegger und Wittgenstein gegeneinandersetzt. Aus Heideggers existentialontologischem Werk liest sie eine menschenverachtende Stellung heraus, die sie ihm als verschleierten Faschismus auslegt. Von dieser allgemeinen These kommt Lange zu Jelineks Heidegger. Jelinek setzt ihre Kritik nicht an dessen politischem Engagement während des Nationalsozialismus an, sondern analysiert vor allem seine Sprachtheorien. Sie konfrontiert ihre Heidegger-Figur mit seiner Lebens- und Zeitgeschichte, vor allem mit dem abgebrochenen Liebesverhältnis zu Hannah Arendt. Daraus entsteht eine Heidegger-Parodie, auf deren Hintergrund Jelinek ihre Tourismus-, Kapitalismus-, Faschismus- und vor allem Medienkritik aufbaut.

Das nächste Kapitel steht ganz im Zeichen der Massenkultur. Nicht Adornos Frage der "Lyrik nach Auschwitz" oder Syberbergs "Hitler"- Film haben die öffentliche Diskussion neu entfacht, sondern medienwirksamere Ereignisse, wie in den Endsiebzigern die amerikanische Serie "Holocaust" und Anfang der Neunziger Spielbergs "Schindlers Liste". Lange zeigt an diesen beiden Beispielen, sowie an Lanzmanns deutscher Fernsehserie "Shoah", Yehiel de Nurs Buch "Ich bin der SS-Mann" (1989), Imre Kertész "Roman eines Schicksalslosen" (1971) und Edgar Hildenraths "Der Nazi & der Friseur" die Probleme der ästhetischen Darstellbarkeit des Holocausts in den Massenmedien. Sie kritisiert vor allem die Trivialisierung, Kommerzialisierung und die Reduzierung auf Einzelschicksale. Positiv bewertet sie unter anderem "Schindlers Liste", da viele Schrecken nicht gezeigt, sondern der Fiktion der Zuschauer überlassen blieben. Als schwierig werden das Einbeziehen von Originalaufnahmen, die Mystifizierung der Ereignisse, vor allem der Leiden der Opfer, und die Deutung von Auschwitz als Höhepunkt jüdischer Diaspora bewertet. Die Zeugenschaft der Überlebenden ist laut Lange positiv für die psychologische Bewältigung ihrer Leiden und als Memento an die jüngeren Nachkommen.

Eine ähnliche Intention, nämlich die "Poetik der Erinnerung", schreibt Lange Marie-Thérèse Kerschbaumer zu. Mit ihrer engagierten Literatur kämpft sie gegen das Vergessen. Auch sie kritisiert die moderne Mediengesellschaft und die Massenkunst. In "Der weibliche Name des Widerstands" werden Portraits von fünf österreichischen Widerstandskämpferinnen vorgestellt. Lange bespricht ausgiebig Kerschbaumers Stil der "Oral History" und des "Poetischen Sprechens". Den einzelnen Frauen werde wieder eine Stimme gegeben, die im Gespräch die Zeit und den eigenen Tod reflektiere. Kerschbaumer war zu diesem fiktionalen Umgang mit den einzelnen Schicksalen mehr oder weniger gezwungen, da die Recherche nur ein Minimum an Dokumenten, Briefen oder persönlicher Habe erbrachte. Lange spricht dieser Sprache eine hohe Emotionalität zu.

Im letzten Kapitel befaßt sie sich auch mit engagierter Literatur, und zwar mit Peter Weiss` "Ästhetik des Widerstands". Wie bei Kerschbaumer interessieren Lange bei Weiss ebenfalls Sprachtheorie und Sprachanalyse. Sie diskutiert seinen Essay "Laokoon oder über die Grenzen der Sprache" im Kontext von Lessing, Walter Benjamin und Lyotard. Außerdem geht sie genauer auf Weiss` Darstellung der Mutter und Katrin Boyes ein, die sie aus feministischer Sichtweise negativ bewertet. Durch die Gegensätze zu anderen, emanzipierteren Frauenfiguren in der "Ästhetik" widerlegt sie ihre eigene Kritik aber wieder und kommt zu einem durchaus positiven Urteil.

Lange sagt am Ende der Einleitung selbst, daß "eine durchgängige Argumentation mit einem abstrahierenden Fazit am Ende weder von der Eigenheit der Gegenstände noch von den jeweiligen thematischen Zugriffen her gegeben ist". So stehen die einzelnen Kapitel nur durch den einen Kontext verbunden. Etwas störend ist das fehlende Fazit, zumal Lange in den einzelnen Kapiteln selbst oft keine klare Conclusio zieht. Außerdem faßt sie die Kinofilme und Literatur der Überlebenden als die Medien, die die meiste Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit genossen, in einem Kapitel zusammen. Die Analyse und Interpretation kommt dadurch gerade bei den interessanten Massenphänomenen etwas kurz. Will man sich im Bereich des Alltäglichen und Trivialen genauer informieren, empfiehlt es sich also auf Langes Sekundärliteratur zurückzugreifen, wie zum Beispiel Georg Seeßlens "Natural Born Nazis. Faschismus in der populären Kultur".

Titelbild

Sigrid Lange: Authentisches Medium. Faschismus und Holocaust in ästhetischen Darstellungen der Gegenwart.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 1999.
256 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 389528226X

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