Die Anrufung des großen Bären
Der neue Duden
Von Lutz Hagestedt
Kürzlich war ein Artikel Christian Meiers in der Frankfurter Allgemeinen ausdrücklich als "in der alten Rechtschreibung" ausgewiesen. Der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung also hält noch auf Tradition. Er weiß: Die Rechtschreibreform ist vor allem Beutelschneiderei. Denn der User, wie es auf gut Neudeutsch heißt, braucht nicht nur ein neues Wörterbuch. Weit gefehlt: Auch Grammatiken, Synonymlexika, Bildwörterbücher mußten komplett überarbeitet werden - und suchen nun ihre Abnehmer. Alle Verlage, die auf diesem Sektor konkurrieren, hoffen nun auf die Etats der öffentlichen Bibliotheken und privaten Kunden.
Die Konkurrenz ist groß, das Geschäft boomt. Der Kunde, der sich entscheiden muß, welches neue Wörterbuch, welche neue Grammatik, welches Synonymwörterbuch aus welchem Verlag er erwerben soll, tut sich vermutlich schwer. Der Rezensent bevorzugt Aldi-Aktionsware. Duden jedoch wird sich als Standard durchsetzen. Deshalb sei er hier empfohlen.
Dem Kunden wird mit dieser pragmatischen Entscheidung ein riesiger Alpdruck, pardon Albdruck, von der Seele fallen. Denn nicht die Alpen lasten auf ihr, sondern die Alben, die als Feenwesen allerdings schwerelos sind (weshalb die Klarstellung, die uns der Zweifelsfall-Duden hier bringen möchte, ins Leere läuft). Nachzulesen in Dudens Buch der Zweifelsfälle ("Richtiges und gutes Deutsch").
Bewährt hat sich seit vielen Jahrzehnten die Duden-Grammatik. Insbesondere die 4., völlig neu bearbeitete Auflage von 1984 ist weithin respektiert. Zu den Bearbeitern der nun vorliegenden 6. Auflage gehört der eher konservative Grammatiker Peter Eisenberg. Er hat die Kapitel über den Laut und die Lautstruktur des Wortes und den Buchstaben und Schriftstruktur des Wortes beigetragen ("Die Grammatik").
Im bewährten preußisch-blau (Preussisch-Blau?) wird der Band der "sinn- und sachverwandten Wörter" geliefert, jene 82.000 Zweifelsfälle also, die uns so sehr verwirren sollen, daß wir unbedingt auch gleich den Band 8 des Duden-Werks erwerben müssen.
Im Zentrum des mittlerweile zwölf-bändigen Duden-Werkes steht immer noch der Band 1: Die deutsche Rechtschreibung. Die 21. Auflage hat 910 Seiten (gegenüber 832 Seiten der 20., der "Vereinigungsauflage"), enthält auf 50 Seiten die "Amtliche Regelung" und auf knapp 20 Seiten eine "Vergleichende Gegenüberstellung alter und neuer Schreibungen". Die Korrekturzeichen, die "Hinweise für das Maschinenschreiben" (sic!) usw. sind obligatorisch. Der Band wird im Zweifarbendruck geliefert, jede Neuerung ist rot hervorgehoben. Und es sind deren bedeutend viele. Die Anrufung Haile Selassies (oder des großen Bären) nutzt uns aber leider nichts mehr. Wir müssen den Duden haben. Seis drum.