Zwischen Politik und Selbstfindung

Jens Bisky in seiner Autobiografie "Geboren am 13. August"

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn einer mit 38 Jahren Erinnerungen schreibt, muss er Wesentliches mitzuteilen haben. Überfliegt man den unspektakulären Lebenslauf des heutigen SZ-Journalisten Jens Bisky, "Geboren am 13. August" 1966, aufgewachsen in einem bildungsbürgerlichen Elternhaus, als Schüler FDJ-Funktionär, dann SED-Mitglied, schließlich drei Jahre lang Offizier der Nationalen Volksarmee, dann kommen einem zunächst Zweifel. Trotzdem hat man nach der Lektüre wichtige Lektionen gelernt: Man weiß, unter welchen Umständen und mit welchen Mitteln ein diktatorischer Staat trotz ins Auge springender Mängel eine relativ breite Anhängerschaft finden konnte, und man erfährt, welche Eigenheiten vor den Verlockungen eines totalitären Heilsversprechens schützen. Das ist, weil wir das Ende der Geschichte noch lange nicht erreicht haben, wahrlich eine ganze Menge.

Biskys erzählt die Geschichte einer Wende, eines Abnabelungs- und Individuationsprozesses, fast deckungsgleich mit dem zeithistorischen Umbruch. Er schildert, wie die staatlichen Institutionen der DDR, vor allem Kindergarten und Schule, den Idealismus und das Gemeinschaftsgefühl der Jugendlichen instrumentalisierten und ausnutzten. Dabei folgt er nicht unbedingt der Chronologie, sondern setzt dramaturgische, bisweilen tragikomische Akzente. Von Anfang an vernimmt man den Aufschrei einer verletzten Seele, spürt man die Trauer über eine verlorene Jugend, das Erschrecken davor, sich "selber fremd" zu sein. Dazu hat er auch allen Grund. Denn das kritische Bewusstsein des jungen Bisky wird stets mit dem klassischen Totschlagargument des Kalten Krieges niedergebügelt, dass das Leben in der DDR besser wäre, wenn der Klassenfeind im Westen nicht existierte. "Nicht meckern, besser machen", heißt der Appell, der geflissentlich übersieht, dass eine freiheitliche Gesellschaft beides benötigt: Kritik und Veränderung.

Weil die dialektische Verdummung natürlich die Situation um keinen Deut besser macht, beginnt der Heranwachsende Parallelwelten aufzubauen. Darin ist die Familie Fluchtpunkt und Fokus zugleich. Der Vater, nach dem Kriege als pommerscher Flüchtling in Schleswig-Holstein nur geduldet, wird nach seiner Übersiedlung 1959 in der DDR als Bürger begrüßt. Die in der Familie oft und gerne geführten Diskussionen dienen zur Rechtfertigung, wenn einmal wieder die private "anfängliche Aufbruchsstimmung" mit dem stalinistischen Gang der Dinge in Konflikt gerät. "Mauertote und Verbote haben meine Eltern nie gerechtfertigt, aber erklärt." Als der Schüler mit glänzenden Noten die Schule hinwerfen will, um Arbeiter, Proletarier zu werden, protestieren die ehrgeizigen Eltern mit Erfolg.

Der Schock sitzt tief, als Bisky in den neunziger Jahren erfahren muss, dass auch seine geliebte Mutter IM-Berichte für die Stasi verfasst hat. Als wirkungsvollstes Mittel gegen jede Ideologie entpuppt sich jedoch die Natur, im Falle Biskys dessen homosexuelle Veranlagung. Weil Randgruppen im totalitären Staat als gefährlich angesehen werden, muss sich Bisky, obwohl seine Anpassungsbereitschaft ihn sogar in die Volksarmee geführt hat, entscheiden. Die dort erfahrenen Kränkungen machen ihn endgültig zum Gegner des Regimes, über dessen Anhänger er in der Rückschau mit einiger Bitterkeit urteilt: "Mag sein, dass sie später PDS wählten, deren Vorsitzender mein Vater schon zum zweiten Mal ist."

Titelbild

Jens Bisky: Geboren am 13. August. Der Sozialismus und ich.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2004.
252 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3871345075

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