Jubiläumsschriften müssen keine Jubelschriften sein

Chroniken des Reclam und des Piper Verlags

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Verlage sind das Rückgrat einer funktionierenden, d. h. anspruchsvollen und ausdifferenzierten Buchkultur. Wir spüren die Auswirkungen einer zunehmend gewinnmargenorientierten Verlagspolitik allenthalben, wenn die Beratergesellschaften die Lektoren ersetzen und der Mut, abseits des Mainstreams zu produzieren, immer kleiner wird. Die traditionelle Mischkalkulation, in dem ein Bestseller ein für den gesellschaftlichen oder ästhetischen Diskurs wichtiges Buch finanziert, gehört zwar noch nicht der Vergangenheit an, befindet sich aber in einer götterdämmerungsähnlichen Zeit. Inhaltliche Profile, die auch mitunter intellektuelle Wortführerschaft bedeuten, sind - wie der Fall Suhrkamp wieder einmal vor Augen führte - von Verlegerpersönlichkeiten abhängig. Hier zeigt sich, dass ein Buch zwar eine Ware ist, aber immer noch eine besondere, und in Zeiten gesellschaftlicher Diskursverflachung im Fernsehen und dem Eindampfen der feuilletonistischen Kritik zudem eine besonders wichtige.

Zwei Verlage, die die Buchlandschaft der letzten zwei Jahrhunderte entscheidend prägten, haben nun pünktlich zum 175. (Reclam) und zum 100. Geburtstag (Piper) ihre Firmengeschichten dem interessierten Leser offen gelegt. Diese Firmengeschichten stehen im Zeichen der Transparenz und der Reflexion der eigenen Stellung im Rahmen der Gesellschaftsgeschichte vor allem bei den Industrieunternehmen hoch im Kurs.

Der Reclam Verlag hat es sich zur Tradition gemacht, eine einstmals begonnene Verlagschronik jubiläumsgerecht fortzuschreiben und zu aktualisieren. Gänzlich unaufgeregt liegt nun - zum 175. Geburtstag im vergangenen Jahr - das neue Buch vor, das den im Untertitel nüchtern formulierten Anspruch "Daten, Bilder und Dokumente zur Verlagsgeschichte" zweifelsfrei einlöst. Es ist eine Chronologie, die keine wissenschaftlich-kritische Darstellung sein will, sondern eher zum Blättern und Stöbern einlädt. Von der Gründung 1828 durch Anton Philip Reclam über die Zeit der Weimarer Republik, in der wichtige zeitgenössische Autoren in der Reihe "Junge Deutsche" entdeckt wurden, bis hin zum gewandelten Verlag, der einen Großteil seines Umsatzes auch mit wissenschaftlichen Publikationen erwirtschaftet, kann man die Geschichte des Gelbe-Bändchen-Verlags nachvollziehen. Deutlich wird einmal mehr, dass ein Verlag nicht nur aus Autoren und Büchern besteht, sondern auch aus Sensibilität für einen veränderten Buchmarkt, aus Maschinen, aus organisatorischen Gebilden - vom Eigentümer über den Lektor bis zum Drucker -, wie auch aus juristischen, war Reclams Universal Bibliothek doch auch immer abhängig von den tantiemefreien Nachdrucken ausgelaufener Rechte. Informativ und unterhaltsam ist das Buch allemal, auch wenn gegen Ende die Einbettung in politische und gesellschaftliche Zusammenhänge zugunsten einer reinen Programmschilderung in den Hintergrund tritt.

Das Buch der Germanistin und Buchhandelsexpertin Edda Ziegler, "100 Jahre Piper Verlag. Die Geschichte eines Verlags", setzt deutlich weitergehende Akzente. Ihre Ausführungen parallelisieren deutsche Geschichte von 1904 bis zur Gegenwart. Sie rekonstruiert die Entwicklung des Verlags aus einem bürgerlichen Kulturmilieu bis zum Publikumsverlag als Teil der Schweizer Medienholding Bonnier. Die Familie Piper wird ebenso wichtig wie die Programm- und Gesellschaftspolitik, die die Zäsuren in der Verlagsgeschichte bilden. Insgesamt ist es Edda Ziegler ebenso lesbar wie informativ gelungen, ein wichtiges Stück deutscher Verlags-, Kultur- und Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts zu rekonstruieren und als Diskussionsgrundlage zugänglich zu machen.

Beide Bücher werden zweifelsohne auf unterschiedliche Weise zu einem wichtigen Quelleninstrumentarium einer noch zu schreibenden Geschichte des Buchhandels in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts avancieren.

Titelbild

Dietrich Bode (Hg.): Reclam. Daten, Bilder und Dokumente zur Verlagsgeschichte 1828-2003. 175 Jahre Reclam.
Reclam Verlag, Stuttgart 2003.
240 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3150120039

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Edda Ziegler: 100 Jahre Piper. Die Geschichte eines Verlags.
Piper Verlag, München 2004.
398 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3492044786

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