Wie Gewalt entsteht und wohin sie führt

Martin Pollack überzeugt mit seinem "Bericht über meinen Vater"

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie die Gezeiten rollen in schöner Regelmäßigkeit Wellen von Vater-Literatur übers Land. Während das frühe 20. Jahrhundert, ausgehend vom Urvater Kafka, noch wie weiland Walter Hasenclevers "Sohn" mit dem Gedanken liebäugelte, den Vater zu ermorden, widmeten die Nachgeborenen der 80er Jahre ihren Erzeugern nur mehr Nachrufe. In oft sympathetischer Annäherung vergewisserten sich etwa Christoph Meckel oder Peter Härtling ihrer Prägung, vollzogen sie aufatmend die Abnabelung einer neuen Generation. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. In diesem Sommer legten nun so unterschiedliche Autorinnen wie Wibke Bruns oder Dagmar Leupold ihre Väterbücher vor. Die Distanz zum längst Verblichenen ist um einiges größer geworden; dafür wird das Drama um den Haus- und Lebenstyrannen ein wenig verschärft durch eine anrührende Vater-Tochter Problematik, in deren Turbulenzen Martin Pollacks wohltuend sachlicher "Bericht über meinen Vater" beinahe unterzugehen droht.

In irgendeiner Weise sind alle diese Väter mit den Wallungen der Nazizeit verbunden; weil sie tot sind, treten sie uns nicht mehr als Personen gegenüber, sondern als die Vorstellungen und Eindrücke, die sie hinterlassen haben. Wenn Erinnerung hochkommt, verdrängt sie leicht das Denken. Das gefühlige Verständnis öffnet dem Relativismus indes Tür und Tor. Dieser Gefahr, die soeben in Bernd Eichingers Hitler-Film augenfällig wird, ist Martin Pollack, Jahrgang 1944, gänzlich entronnen. Auf dem Titel seines Buches sind zwei Fotos abgebildet: Fünf Erwachsene in der Sportkluft der dreißiger Jahre liefern sich "lustig und fidel", wie es später heißt, eine Schneeballschlacht. Einer von ihnen ist der Jurist Dr. Gerhard Bast, SS-Sturmbannführer und Chef der Gestapo Linz. Das untere Bild ist von heute und zeigt den Eingang eines Militärbunkers am Brenner, wo Bast 1947 durch Schüsse in Kopf und Brust getötet wurde.

Wie genrehafte Heiterkeit und Horrorszenario zusammenhängen, sich geradezu gegenseitig bedingen, hat Martin Pollack, Basts einziger Sohn, in einer aufregenden Spurensuche herausgefunden, die weit über die Familientragödie hinaus auf eine Grundproblematik der modernen europäischen Geschichte verweist. Weil alle Beteiligten eisern schweigen oder leugnen, muss Pollack die Bilder und einige Dokumente zum Reden bringen, die jene Tage hinterlassen haben. Bereits am Anfang seiner Recherche weiß der ehemalige "Spiegel"-Journalist, dass "der gewaltsame Tod der Abschluss eines Lebens war, in dem Gewalt eine wichtige Rolle gespielt hatte." Den Ursprüngen dieser Gewalt ist Pollack nachgegangen. Auslöser waren die beginnenden Nationalitätenkämpfe im niedergehenden Habsburger Vielvölkerstaat. In dessen äußersten Süden waren die Basts einst aus dem Rheinland eingewandert. Im Kronland Krain kämpften die "Zugereisten" überangepasst gegen die slowenische Nachbarschaft um ihre deutsche Identität. Diese wird konstruiert aus Preußenbegeisterung, politischem Protestantismus und archaischen Riten. Der Radlerverein fährt nicht ohne scharf geladenen Revolver durch die Gegend, und überhaupt spielen Waffen in dem gesamten Geschehen eine verhängnisvolle Rolle. Anhand von Zeitungsberichten ("Deutsche Wacht") rekonstruiert Pollack, wie aus lächerlichem Gezänk blutiger Ernst wird, als nach dem Zusammenbruch der Monarchie die Untersteiermark dem jugoslawischen Staat zugesprochen und die deutschsprachige Bevölkerung von dort vertrieben wurde.

Pollacks Interesse entzündet sich immer dort, wo er auf Widersprüche stößt, etwa wenn er feststellen muss, dass trotz aller Deutschtümelei die Volksgruppen im privaten Alltag zusammenlebten, gemischte Ehen und Freundschaften schlossen, ein Thema, das bereits Grassens "Blechtrommel" beherrscht. In Krisenzeiten allerdings erstarkt der Gruppendruck, überlagert die Ideologie das Menschliche. Geprägt durch die deutschnationale Herkunft, schließen sich Großvater und Vater, längst umgezogen in die Nähe von Linz, in den Wirren der österreichischen Nachkriegsrepublik 1931 den Nazis an. Deren geistige Kaderschmiede ist die Universität Graz, wo beide Basts sich ihre Schmisse holen und Jura studieren. Die aggressive Grundhaltung entwickelt sich auf bekannten Bahnen weiter: Das vermeintliche Verteidigungsrecht radikalisiert die Mittel. So werden gut situierte Bürger, wie Pollack verwundert feststellt, zu Rabauken.

Ihren Einsatz für Hitlerdeutschland, verbrämt als Recht auf freie Meinungsäußerung, büßen die beiden Basts im austrofaschistischen Österreich mit Haftstrafen. Nach Hitlers Einmarsch bieten sich seinen Anhängern vielerlei Aufstiegsmöglichkeiten. So steigen die Außenseiter zu den Mächtigen empor. Der Jurist Dr. Gerhard Bast, dem bislang der Staatsdienst versagt war, tritt in die Gestapo ein und gelangt bis ins Berliner Reichssicherheitshauptamt. Die steile Gestapo-Karriere findet ein jähes Ende, als er Ende 1943 bei der Jagd aus Unachtsamkeit einen Treiberjungen tötet. "Tötung war nicht gleich Tötung. Massenhafter Mord war Pflicht, eine fahrlässige Tötung ein Zeichen von Versagen. Und Versagen wurde in der SS nicht geduldet", so beschreibt Pollack einen weiteren Widerspruch. Kaum zu glauben, dass das Regime einen erfolgreichen Vollstrecker für vier Monate ins Gefängnis schickt. Allerdings wird er zur Bewährung an die Ostfront versetzt, wo er sich in den Einsatzgruppen des SD bewähren kann. Die Aktenlage erlaubt dem Sohn keine Zweifel: Der Vater war am Völkermord beteiligt.

Seine Mittäter berufen sich später auf die handlungsweisende Fachkompetenz des Volljuristen, die eigene Bedenken unterdrückte. "Dein Vater war ein Idealist und immer anständig", hört Pollack in der Familie und findet tatsächlich auch Hinweise darauf, dass selbst der SS-Mann bisweilen Gnade vor Unrecht ergehen ließ. Auch die Mutter schönt das Bild des feschen Bast, von dem sie in den letzten Kriegsmonaten schwanger wird und dem zuliebe sie ihre Kinder und ihren Ehemann Pollack verlässt, der sie dann allerdings ein zweites Mal heiratet, weil Bast, dessen Sohn Martin er überdies adoptiert, nach Kriegsende als Kriegsverbrecher gesucht wird. So wie hier Liebe und Hass auf verwirrende Weise in wenigen Personen nebeneinander existieren, korrespondiert die komplizierte Familiengeschichte mit den labyrinthischen Verstrickungen einer ganzen Generation. Am Ende fällt Bast einem banalen Verbrechen zum Opfer. Aber auch hier ergeben die Recherchen des Sohnes, dass er möglicherweise selbst die Tat herbeigeführt hat. Pollack hat ein ebenso spannendes wie aufschlussreiches Buch geschrieben; er hat ohne jede Larmoyanz ein Stück Familiengeschichte aufgearbeitet, die ein dunkles Kapitel der Vergangenheit beleuchtet.

Titelbild

Martin Pollack: Der Tote im Bunker. Bericht über meinen Vater.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2004.
256 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3552053182

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