"Für Kent, der es erlebt hat, das aber nicht gemacht hat. (Der Gute!)"

Ist "Mordserfolg" von Martha Grimes ein Schlüsselroman?

Von Susanne BlümleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Blümlein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon in der Widmung - "Für Kent, der es erlebt hat, das aber nicht gemacht hat. (Der Gute!)" - bereitet uns Martha Grimes darauf vor, dass dem vorliegenden fiktionalen Werk eine 'wahre Begebenheit' zu Grunde liegen soll. Und man ist geneigt, es zu glauben, denn die amerikanische Autorin, die immer wieder gern mit "Queen of Crime" betitelt und für ihre skurrilen und liebevoll gezeichneten Figuren gerühmt wird, richtet in ihrem neuesten Werk den Spot ihrer Aufmerksamkeit auf die Literatur- bzw. Verlagsszene New Yorks. Sie erzählt eine Geschichte, die so abstrus ist, dass sie wahr sein könnte.

Es beginnt mit einer Idee des Thriller-Autors Paul Giverney. Dieser zeichnet sich nicht nur durch schwindelerregend hohe Verkaufszahlen aus, sondern gilt unter Kritikern auch als Autor, "der schreiben kann". Trotzdem wird er wegen des einmal gewählten Genres immer wieder in die "Thriller-Ecke" gestellt. Aber Paul Giverney will seinen Verlag wechseln, hin zum "literarischeren" Mackenzie-Haack. Seine einzige Bedingung: Der Verlag muss sich, um ihn zu bekommen, seines preisgekrönten - aber weniger gut verkauften - Autoren Ned Isaly entledigen. Verleger Bobby Mackenzie soll, so stellt es sich Giverney vor, Isaly aus seinem Vertrag drängen. Der Thriller-Autor will nichts anderes als beobachten, wie weit ein Verleger gehen würde, um einen sicheren Bestseller zu bekommen. Doch Bobby Mackenzie ist der Barracuda im Haifischbecken der Verlage. Da er keine Lücke im Vertrag mit Ned Isaly findet, engagiert er mit Hilfe des Lektors Clive Esterhaus zwei Killer.

Mit Auftreten der beiden Killer Karl und Candy halten Spannung und Slapstick Einzug in die Geschichte, und der als Thriller angelegte Plot wandelt sich zur Satire. Beide Figuren sind eindeutig an Stan Laurel und Oliver Hardy orientiert, wobei das literarische Pendant zu "Dick" und "Doof" "abgebrochenes Literaturstudium" (Karl) und "abgebrochene High School" (Candy) lautet. Beide Killer folgen einem hehren Berufsethos. Sie töten nur solche Menschen, die den Tod auch "verdienen". Um dem Konflikt zwischen Paul Giverney und Ned Isaly auf die Spur zu kommen, besorgen sie sich zuerst je ein Buch der Autoren, um diese zu vergleichen, wobei der abgebrochene Literaturwissenschaftler Karl die Definition für das Erkennen literarischer Qualität vorgibt: "Wenn jeder das Scheißbuch liest, glaubst du dann etwa, dieser Giverney hat sich groß überlegt, wie gut seine Schreibe ist? Überleg doch mal: Wenn Hinz und Kunz und jede Großmutter es liest, wie gut kann es dann sein?"

Mit dieser Frage öffnet sich ein weites Feld, und am Horizont erblickt der Leser die literaturwissenschaftliche Frage: "Was ist der Unterschied zwischen hoher und niederer Literatur?" Es ist die Frage, die die Literaturwissenschaft nicht definitiv beantworten kann, weil sie zeit- und gesellschaftsabhängig ist. Martha Grimes gibt die Antwort für die New Yorker Verlagswelt der Gegenwart: Gut ist, was Geld bringt. In der New Yorker Verlagswelt der Gegenwart lassen Lektoren Manuskripte von ihren Assistentinnen lektorieren, Verleger die Memoiren von Auftragsmördern der Mafia herausgeben, und alle sind auf der Jagd nach dem einen großen Deal, der ihnen einen monatelangen Platz auf der Nummer Eins der New York Times Book Review sichert.

Dem Leser eröffnet sich eine Szenerie, die er trotz aller Komik und Überzogenheit immer noch als authentisch einschätzen würde. Wer an die kürzlich hierzulande geführte Debatte über 'Täterliteratur' denkt (die Memoiren des Kaufhauserpressers "Dagobert" oder die Erlebnisse des Kannibalen von Rotenburg, um nur zwei Beispiele zu nennen), dem erscheint die Idee, dass Verleger die Erfahrungen eines Killers herausgeben, erschreckend normal.

Doch wer ist der Verleger, der Angehörige der Mafia verlegt? Welcher Verlag hätte, um einen Schriftsteller wie Paul Giverney zu bekommen, rücksichtslos einen anderen geopfert? Ist diese Geschichte tatsächlich so oder so ähnlich passiert? Oder ist die Frage, ob es ein Schlüsselroman ist, gar nicht so wichtig, weil wir glauben, dass Ähnliches heutzutage jederzeit passieren könnte und vielleicht schon passiert?

Martha Grimes gibt uns den Trost, dass zumindest in dieser Geschichte alles gut ausgeht. Als Paul Giverney bemerkt, welche Geister er gerufen hat, engagiert er seinerseits einen Killer als Leibwächter für Ned Isaly. Lektor Clive Esterhaus, den das Gewissen plagt, hat ebenfalls eine Detektivin engagiert, die die beiden Killer im Auge behalten soll, während Neds Freunde aus Besorgnis ein Auge auf Ned haben. So treten sich alle gegenseitig auf den Füßen herum, bis es im beschaulichen Pittsburgh zum nervösen Höhepunkt kommt.

Titelbild

Martha Grimes: Mordserfolg. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Cornelia C. Walter.
Goldmann Verlag, München 2004.
416 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-10: 3442310083

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