Der Weg durch den Urwald

Marlen Haushofers Roman "Eine Handvoll Leben"

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1991 brachte dtv mit Marlen Haushofers 1955 erschienenem Werk "Eine Handvoll Leben" einen der weniger bekannten Romane der österreichischen Arthur-Schnitzler-Preisträgerin als Taschenbuch heraus. Nun hat es seine siebte Auflage erreicht. Wie alle Werke Haushofers scheint der Roman harmlos zwischen den Buchdeckeln hervorzutreten und doch wissen sie alle (sieht man einmal von ihren Tier- und Kinderbüchern ab) um den Kampf und um das Elend des weiblichen Daseins in den Gebirgszügen der Alpen oder in den Städten Österreichs während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, von dem sie in leisen Tönen erzählen.

In dem vorliegenden Roman erinnert sich Elisabeth, eine Frau mittleren Alters, in deren "Hirn" schon früh "[r]ebellische Gedanken erwachten", an ihr Leben. An das "ungebärdige Kind", das sie einmal war, und das um sich schlug und an den Fesseln zerrte, "bis es erschöpft dastand, verlassen von jedem Trost, aber frei". Denn die Kindheit ist weder "sanft" noch "idyllisch", sondern "der Schauplatz wilder erbitterter Kämpfe unter der Maske rosiger Wangen, runder Augen und unschuldiger Lippen". Und sie erinnert sich an die verheiratete Frau, die sie später wurde, an die heimlichen Besuche bei ihrem Geliebten und daran, dass diese Frau eben dieselben Kämpfe gegen die umschlingenden Fesseln zu kämpfen hatte wie das Kind; mit eben demselben Ergebnis.

Schon bevor die kleine Lieserl in ein Internatskloster kam, machte sie die Erfahrung, "daß die Erwachsenen niemals ihre Fragen wirklich beantworteten". Dabei wollte sie doch "alles wissen, alles hören, sehen und erfahren". Also galt es, "auf eigene Faust Erfahrungen zu sammeln". Ebenso wie der Kindheitsroman "Himmel, der nirgendwo endet", an den der erste Teil des Buches in gewisser Weise anschließt, verarbeitet Haushofer in den Internatserlebnissen des nun Betty genannten Mädchens autobiografische Motive.

Als Erwachsene führte Elisabeth über ein Jahr lang ein Doppelleben als verheiratete Mutter eines Kindes und als Geliebte des Geschäftsfreundes ihres Mannes. Dann brach sie aus der Trost- und Freudlosigkeit beider Leben aus, indem sie einen Suizid vortäuschte und spurlos verschwand.

"Ihre ganze Leistung bestand darin, an dem schmalen, geraden Weg weitergebaut zu haben, den sie als Zehnjährige begonnen hatte, an dem Weg durch den Urwald", resümiert die nach zwei Jahrzehnten zu ihrem inzwischen erwachsenen Sohn unerkannt zurückgekehrte Frau ihren Lebensweg. "Aber", heißt es weiter "sie bereute nichts, das Leben war schön, grauenhaft, sanft, und ohne Gnade und immer stärker als das Herz, das sich dagegen stemmte". Das klingt fast wie eine frühe Vorwegnahme der bekannten letzten Zeilen, welche die an Knochenkrebs erkrankte Marlen Haushofer anderthalb Dezennien später wenige Tage vor ihrem Tod in ihr Tagebuch schreiben sollte.

Ein Fazit zu den bislang erschienenen sieben Taschenbuch-Auflagen ist schnell gezogen. Es besteht in dem Wunsch, dass möglichst bald eine achte notwendig werden möge.

Titelbild

Marlen Haushofer: Eine Handvoll Leben. Roman.
dtv Verlag, München 2004.
159 Seiten, 7,50 EUR.
ISBN-10: 3423132752

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