SOS! In welches Fahrwasser sind wir hineingeraten?

Klaus Middendorfs geniales "Nichtschwimmer-Seminar"

Von Katharina HübelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Hübel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie ein Fisch auf dem Trockenen. So würde sich Hans Brunolly, genannt Teuton, Schlagzeuger und Dichter, gerne fühlen. Denn er will nie wieder fürchten müssen, ins Schwimmen zu geraten, unterzugehen in der trüben Suppe träger Unkreativität und poetischer Verwirrung. Der provokante Held aus Klaus Middendorfs "Nichtschwimmer in 14 Tagen" braucht eine kreative Abreibung der verschärften Art, um seine Rockoper schreiben zu können. Doch nicht er, sondern vielmehr der Leser wird zum überraschten Opfer eines packenden Fantasieseminars in Thanatopie, der Stadt der Toten im Nirgendwo.

Am Anfang stand die Kreativitätskrise und die Zeitungsannonce einer Psycho-Power-Praxis aus Beireut. Nicht Bayreuth oder Beirut - nein: Utopia, das ist der Nicht-Ort, an dem das Kreativitätsseminar stattfinden wird. Oder, so kann man vielmehr vermuten, es ist eher nicht der Ort, an dem Altrocker Teuton gelandet ist. Und überhaupt: Kreativitätsseminar - das ist doch pure Fantasie! Der Leser wird bewusst und strategisch verwirrt, bis er selbst jegliche feste Vorstellung von Zeit, Ort und Logik aufgibt, um Teuton ins Nichtschwimmen folgen zu können und in die 100-prozentige Kreatitivitätslauge abzutauchen.

Klaus Middendorf stellt dabei alle Erwartungen auf den Kopf. Der Epilog schreitet vorneweg, und der Prolog schließt die Geschichte ab, Begriffe werden verdreht und in neue Zusammenhänge gesetzt, der Held gibt vor, verloren zu sein in der Flut der Ereignisse, um schließlich dem Leser kulant einen Rettungsring zuzuwerfen - und überhaupt: Das gesamte Buch ist eine einzige große Verschwörung des multipersonalen Protagonisten gegen den Leser. Mit dem Helden mitfiebern, dessen Geschichte passiv konsumieren, logische Figurenkonstellationen aufbauen ... - in Middendorfs genialem Nichtschwimmerseminar funktioniert nichts Konventionelles. Schon gar nicht, wenn Teuton nicht nur ein Alter Ego, sondern zudem noch ein Orfeu Ego hat - die dichterische Großinstanz schlechthin. Und gegen diese Dreieinigkeit soll der Leser antreten? Er soll verstehen, wenn Kreativitätstrainer Jack Daniels vom Spirituosengeist zum spirituellen Geist eines biblischen Jakob-Daniel mutiert oder ähnlich verrückte Dinge passieren?

Er wird es verstehen - und mehr als das. Es wird ihm auch noch Spaß machen, wenn die Einfälle Middendorfs von Seite zu Seite abstruser werden: Angefangen vom Kommunikationsamt für Kollateralangehörige K.A.F.K.A. in Thanatopia-City, der Durchgangsstation für tote Seelen (aus der man als Lebender über die Enter-Taste des Computers wieder entfliehen kann), über die Liebesstory mit dem "Mädchen auf der Wiese" aus dem Museum of Modern Art (ja, Teuton geht wirklich mit einem Gemälde, also mit einem Menschen aus einem Gemälde, ins Kino!) bis hin zu Leserbeschimpfungen, die teilweise weit über das vorgegebene Maß von Handke hinausgehen. Hier muss sich der Leser eine dicke Schwimmweste zulegen. Jegliche Prüderie sollte zudem über Bord geworfen werden, sonst könnte sich das Risiko von Übelkeit oder schlimmeren Symptomen der Seekrankheit bei erhöhtem Wellengang verschärfen. Wie beispielsweise bei dieser philosophischen Überlegung Teutons angesichts einer Sekretärin im K.A.F.K.A.:

"Falls es überhaupt je möglich sein sollte, mit solchen gestylten Eisheiligen Geschlechtsverkehr auszuüben, dann sicher nur unter der Voraussetzung des präkoitalen Auftauens der eingefrorenen Spalte mit einem vorgewärmten Dildo."

SOS - in welches Fahrwasser sind wir da als Leser hineingeraten?! Doch das Buch kann nur empfohlen werden. Denn es ist schlichtweg einmalig kreativ. Auch wenn der Inhalt des kurzen Romans nicht wahnsinnig tiefgründig ist, die Wirkung ist umwerfend. Jegliche festgerosteten Synapsen gewöhnlicher Alltagslogik werden einmal so richtig durchgerüttelt und gelockert bei der Lektüre dieses Ausbundes an frecher Genialität, die Middendorf vor allem sprachlich entfaltet. Ein Buch besonders für den ungewöhnlichen Geschmack, und für alle, die mehr als nur Kalauer wollen.

Übrigens: Die CD zum Buch gibt's auch - mit der real existierenden Rockoper "Love & Peace & Rock 'n' Roll" von Paul Vincent Gunia und Mono, die Middendorfs Ticket nach Thanatopia-City war.

Titelbild

Klaus Middendorf: Nichtschwimmer in 14 Tagen. Roman einer Rockoper aus besseren Tagen.
Avinus Verlag, Berlin 2004.
127 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3930064235

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