DDR-Architektur und Hanse-Gotik

Die norddeutsche Metropole Rostock in einem Bildband von Horst Prignitz und René Legrand

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

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Städtebaulich gesehen ist die norddeutsche Hansestadt Rostock ein Spiegel deutscher Geschichte. Vor allem in den Jahren seit den großen Verheerungen des Zweiten Weltkrieges hat sich hier viel getan. In den 50er Jahren gelang es örtlichen Architekten, die monumentalen städtebaulichen Vorgaben der Sowjets mit hanseatischen Materialien und Traditionen zu verknüpfen. Die trotz ihrer gewaltigen Ausmaße fast filigran wirkenden Backsteinbauten an der Langen Straße beispielsweise überzeugen durch ihre schlanke Linienführung und die teils hansegotisch gestuften Giebel.

Richtig gesündigt wurde eigentlich erst in den 70er Jahren - und die Trabantenstädte zwischen Rostock und Warnemünde waren beileibe keine ostdeutsche Spezialität. Denn Schlafstädte wie Lichtenhagen (Baubeginn 1974) und Groß Klein (1979) finden sich auch im Westen, in West-Berlin (Märkisches Viertel) etwa, in München (Neu-Perlach) oder Stuttgart (Freiberg), und sind - hier wie dort - Indikatoren der Bevölkerungsexplosion und des wirtschaftlichen Aufschwungs im geteilten Deutschland. Es gab in der DDR aber auch Experimente mit der "Platte", deren Ergebnisse bis heute überzeugen. So wurde in der nördlichen Altstadt Rostocks ein "postmoderner" Komplex des Architekten Erich Kaufmann verwirklicht, der sich in Gebäudegröße, Stil und Struktur in das Viertel am alten Hafen geschickt einpasst und nach wie vor seine Wirkung tut - nicht zuletzt als Renommier- und Vorzeigeobjekt der DDR-Architektur. Industrielle Plattenbauweise und Tradition wurden auch am Fünfgiebelhaus am Universitätsplatz mit Augenmaß und Geschick in Einklang gebracht.

In Rostock dominierte, wie überall in der DDR, die industrielle Großplattenbauweise, mit der innerhalb kürzester Zeit Wohnungen für Zehntausende geschaffen werden konnten. Diese Wohnungen vor den Toren der Stadt waren modern, billig und attraktiv, dazu noch verkehrsgünstig angeschlossen, und trugen womöglich mit dazu bei, dass Rostocks Altstadtkern vernachlässigt wurde und mehr und mehr verfiel. Zur Zeit der Wende waren ganze Straßenzüge der östlichen Altstadt und der Kröpeliner Tor Vorstadt (KTV) dem Abriss freigegeben, die Straßen und Gehwege waren ebenso marode wie die Versorgungsleitungen der Stadt. Doch die Wende kam gerade noch rechtzeitig, bewahrte und sanierte die jahrhundertealte Bausubstanz des Stadtkerns, setzte die Infrastruktur wieder instand und kleidete die graue DDR-Tristesse der Metropole in bunte Gewänder. Heute ist die KTV ein attraktives Wohnviertel für junge Familien und Studenten, und in der östlichen Altstadt haben sich die Besserverdienenden eingemietet.

Von der neuen Herrlichkeit der Großstadt - aber auch von weniger erfreulichen Stationen ihrer Geschichte seit 1900 - legt ein großformatiger Bildband von Horst Prignitz (Text) und René Legrand (Fotos) Zeugnis ab. Er schwelgt in neuen Bildern, alten Stichen und Postkartenmotiven und bietet verlockende Perspektiven auf den Stadtkern, die Mole von Warnemünde oder die gestufte Backsteingotik des Hausbaumhauses in der nördlichen Altstadt, dessen Steinfassade von einer hölzernen Stützkonstruktion getragen wird. Eindrucksvoll erneuert zeigen sich auch Bahnhofs- und Hansaviertel, Letzteres mit dem berühmten Ostseestadion als Zentrum. Auch wenn die Hansa-Fans hier kaum mehr Erfolge feiern können - das Stadion, im Band vertreten mit einer Aufnahme aus dem Jahr 1964, ist eigentlich immer ausverkauft und lässt die Herzen der Fans höher schlagen.

Die sachkundigen Texte erzählen die wechselvolle Geschichte der Gebäude, machen auf architektonische Besonderheiten aufmerksam, bieten Hintergrundinformationen und, wo es nötig ist, sogar etymologische Erläuterungen. So hat die ehemalige Blutstraße in der Stadtmitte nichts mit einem wie immer gearteten blutigen Handwerk zu tun, sondern deutet auf den Wortstamm "bloß" hin, darauf also, dass die Straße ursprünglich unbefestigt und schmutzig war. Selbst das hat sich gegeben - wenn auch viele Gehwege der Stadt ihre DDR-Vergangenheit noch nicht ganz leugnen können.

Titelbild

Horst Prignitz / René Legrand: Rostock.
Hinstorff Verlag, Rostock 2003.
162 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3356010034

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