Wanderer zwischen den Kulturen

Richard Wagners Roman "Habseligkeiten"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Mit dieser Entscheidung wurde Sinn für die literarische Kraft des Wortes bewiesen, wie ich sie in meinem Buch vermitteln will", erklärte Richard Wagner, nachdem "Habseligkeiten" von der Jury des Deutschen Sprachrates und des Goethe-Instituts zum "schönsten deutschen Wort" gekürt wurde. Wagners neuer Roman lag schon lange vor, als die Sprachwächter ihr Votum trafen, und doch scheint es Gemeinsamkeiten zu geben - im Bereich der Bewahrung von Traditionen.

Richard Wagner, Jahrgang 1952, der Mitte der 80er Jahre mit seiner damaligen Ehefrau und Schriftstellerkollegin Herta Müller aus Rumänien nach Berlin übersiedelte, hat sich zwar in all seinen vorangegangenen literarischen Werken stets als Erinnerungskünstler betätigt, doch jetzt legt er erstmals ein umfassendes, über mehrere Generationen reichendes Erzählpanorama über das Leben im Banat vor - der deutschsprachigen Enklave im rumänisch-ungarisch-serbischen Grenzgebiet.

Wagner erzählt nicht linear, sondern in freien Assoziationen, losgelöst von Raum und Zeit. Wir springen vom Banat nach Ulm, in die USA und in den Ural. So lernen wir nicht nur die Hauptfigur, den Bauingenieur Werner Zillich, sondern auch dessen weit verzweigte Verwandtschaft kennen.

Wegen der anstehenden Beerdigung seines Vaters, einst russischer Kriegsgefangener, begibt sich Zillich von Süddeutschland aus in seine Heimat und wird dadurch mit allerlei Erinnerungen konfrontiert, die er nach seiner Übersiedlung in den Westen längst vergessen glaubte. Wir begegnen der Hauptfigur als jungem Mann im Rumänien der 70er Jahre, erfahren weiterhin, wie er seine Frau Monika, eine Germanistikstudentin, kennen lernt, und wie er erste ernüchternde Erfahrungen in seinem Beruf als Bauingenieur sammelt: "Mir wurde schlecht, wenn ich daran dachte, was auf dem Bau alles abgezweigt wurde. Wir arbeiteten, als wären wir Teilnehmer einer großen Satire. Ein Wunder, dass kaum etwas von dem wir, was wir bauten, einstürzte." Korruption, Vettern- und Misswirtschaft trieben in der Ceaucescu-Ära traurige Blüten. Für Zillich brach innerlich eine Welt zusammen, als er nach seiner Übersiedlung nach Deutschland feststellen musste, dass es in der westlichen Bauwirtschaft ganz ähnlich zuging.

Wieder einmal präsentiert uns Richard Wagner eine gestrandete Hauptfigur -einen Mann, der alles aufgab, vieles verlor (seine Ehe scheiterte, seine Tochter durfte er per Gerichtsbeschluss nicht sehen), und sich doch irgendwie, so wie man es unter Ceaucescu gelernt hatte, durchs Leben laviert. Der Protagonist fühlt sich in seiner neuen Heimat mindestens ebenso fremd wie seine Vorfahren, die einst nach Amerika auswanderten und Jahre später desillusioniert und bettelarm in ihre Heimat zurückkehrten. Für Zillich - soviel steht fest - ist der Rückweg ins heimatliche Banat keine Lebensalternative. Er arrangiert sich, der Not gehorchend, mit seinem Exilantendasein im Westen und findet (vom Autor seltsam verklärt gezeichnete) Freunde im Rotlichtmilieu.

Richard Wagner hat alles andere als eine Hymne auf das idyllische Leben im Banat angestimmt, er hat eine breit gefächerte Familiensaga vorgelegt, die von Zäsuren geprägt ist, von freiwilligen und erzwungenen Abschieden von der Heimat und dem daraus resultierenden, unbehaglichen Gefühls des Fremdseins. Als Leit- und Leidmotiv könnte man Werner Zillichs Leben die Verse von Wilhelm Müller voranstellen, die in Schuberts "Winterreise" einflossen: "Fremd bin ich eingezogen - fremd zieh' ich wieder aus."

Titelbild

Richard Wagner: Habseligkeiten. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2004.
281 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3351030274

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch