Diskursverknapper

Marc Fabian Erdl setzt der Legende von der Politischen Korrektheit ein Ende

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jedermann weiß, in welche unausdenkbaren Gefahren man sich begibt, wenn man es wagt, sich mit den Gedankenwächtern und Gesinnungsterroristen der Political Correctness-Bewegung anzulegen. Da muss schon ein ganz besonders gerütteltes Maß Mut dazugehören, ihr die pure Existenz schlichtweg abzusprechen. Marc Fabian Erdl tut es gar, ohne dafür den Nimbus besonderer Heldenhaftigkeit zu beanspruchen. Vielmehr zeigt er, dass es gar keinen Mutes bedarf, die - vermeintliche - Political Correctness und deren angebliche Anhänger zu kritisieren, dies sogar vielmehr en vogue ist, den Kritiker nobilitiert und den Kritisierten diffamiert. Erdl selbst kritisiert denn auch nicht die Political Correctness, sondern den Begriff und die Rede von ihr.

Um die Erfolgsgeschichte dieses aus den USA importierten Mythos zu erklären und der "Legende von der Politischen Korrektheit" ein Ende zu setzen, wendet er nicht weniger als 412 Seiten auf, von denen kaum eine überflüssig ist, auch wenn er mit einem Umweg beginnt, indem er ein Kapitel über Satiren voranstellt, durch die sich mehr oder weniger prominente Größen aus Funk, Fernsehen und Politik persönlich beleidigt oder verletzt sahen. Dabei schreckt Erdl auch vor so mancher Gehässigkeit nicht zurück, um sie noch einmal der Lächerlichkeit preiszugeben. So droht sein über einige Kritiker der von ihm geliebten und gelobten Neuen Frankfurter Schule verhängtes Verdikt, sich "fragwürdige[r] Entgleisungen" schuldig zu machen, auf ihn selbst zurückzufallen. Auch ist zu monieren, dass er den Unterschied zwischen persönlicher Beleidigung, gegen die sich die Satire-'Opfer' glauben wehren zu müssen, und der Diskriminierung von "identit groups", die gerne mit dem Hinweis gepflegt wird, man lasse sich doch von der Political Correctness nicht das Denken verbieten, kaum herausarbeitet. Zudem überschätzt Erdl seine Vorreiterfunktion als Kritiker der Rede von der Political Correctness, wenn er meint, "gelegentlich" sei bislang zwar festgestellt worden, "daß dieses oder jenes möglicherweise zu unrecht als korrekt oder unkorrekt bezeichnet wird", der "Vorgang des Bezeichnens selbst" sei jedoch stets "unangetastet" geblieben, niemand lehne grundsätzlich die Verwendung des Begriffes ab. Sabine Wierlemann ("Political Correctness in den USA und in Deutschland", 2002) aber tut dies sehr wohl, ebenso wie auch der Rezensent des vorliegenden Werkes in der Besprechung ihres Buches (vgl. literaturkritik.de 03/2003).

Mit dieser Feststellung ist die Kritik an Erdls Buch allerdings auch schon so ziemlich an ihr Ende gelangt. Von nun an gilt es, die Stärken des Werkes hervorzuheben. Da ist zunächst einmal zu vermerken, dass bislang tatsächlich niemand zu einer derart umfassend angelegten Begründungsstrategie ausgeholt hat, um die Rede von der Political Correctness zurückzuweisen, mit der "noch die flachsten Hervorbringungen des Kulturbetriebs von Rezensenten und Werbetextern als 'politisch unkorrekt' oder 'frei von jeder Political Correctness' usw. aufgehübscht" werden.

Um dem "Korrektheitsmuster" und dem "Korrektheitsdiskurs" auf die Schliche zu kommen, zieht Erdl anders als die bisherigen KritikerInnen des "Phraseolexem[s] 'politically correct'" eine Methode vor, die mit einem Blick auf die "außersprachliche[n] Bedingungen" der Rede von der Political Correctness einsetzt, da nur so "Erkenntnisse über den Ablauf und die Rahmenbedingungen zu gewinnen" seien. Nachdem der Autor zunächst den US-amerikanischen und sodann den deutschen Korrektheitsdiskurs nachgezeichnet hat, wendet er sich dem Begriff selbst zu, um im Lauf seiner Erkundungen die "allgemein verbreitete" und, wie er einräumt, auch von ihm über Jahre hinweg gepflegte "Selbstverständlichkeit der Verwendung des Begriffs 'politically correct'" verabschieden zu können.

Die Verwendung des Korrektheitsmusters, legt Erdl dar, sei ein "metakommunikativer Akt". Seine "inhaltliche Unterbestimmtheit, in Kombination mit einem unterschiedlich scharf konturierbaren Konfliktpotential, das gegebenenfalls ironisch und/oder ridikülisierend gebrochen werden kann", mache es zu einer "bedeutenden rhetorischen Figur", wobei seine "Polyfunktionalität" den "Diskursverknappern" erlaube, "sich als gegebenenfalls todesmutig oder zumindest heiter bis kritisch darzustellen", während die der Political Correctness Geziehenen tyrannisch und humorlos erscheinen.

Angesichts seiner ebenso gründlichen wie vernichtenden Kritik des Korrektheitsdiskurs überrascht Erdls abschließender Rat. Dass es sich bei dem "Etikett" politically correct um eine "Zurechnungsadresse" handelt, über welche die Angegriffenen "keinerlei Verfügungsgewalt" mehr haben, da man sie nicht widerlegen kann, "ohne die mit dieser Etikettierung angegriffene Position gleichzeitig zu revidieren", ist zweifellos zutreffend. Wenn Erdl allerdings meint, man sei darum "stets gut beraten, dann, wenn man als 'politisch korrekt' angegriffen wird, sich als 'politisch korrekt' zu verteidigen", ist doch noch einmal Kritik angebracht, handelt es sich doch um eine Empfehlung, die weit weniger überzeugt als seine Demontage des Korrektheitsdiskurses. Zumal er mit dieser Strategie wenig Hoffnung verknüpft, denn für eine erfolgreiche "Inversionsstrategie" nach dem Motto "Politisch korrekt und Spaß dabei!" sei es zu spät.

Das sieht Wierlemann - die von Erdl im Übrigen nicht rezipiert wird - ganz ähnlich, jedoch kommt sie zu einer ganz anderen Empfehlung: Da eine "positive Umwertung" des Begriffs kaum gelingen könne, schlägt sie die "Forcierung einer selbstbewussten Referenz" und einen anderen, positiv konnotierten Begriff vor. In Frage käme "Criticism", der für eine "kritische Analyse" stehe, "die durch Argumente zu überzeugen versucht". Wierlemans Alternative scheint angemessener und erfolgversprechender als Erdls resignativer Rückgriff auf den doch gerade so überzeugend demontierten Begriff.

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Marc Fabian Erdl: Die Legende von der Politischen Korrektheit. Zur Erfolgsgeschichte eines importierten Mythos.
Transcript Verlag, Bielefeld 2004.
412 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3899422384

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