Ein Buch für Volker Braun

Klaus Schuhmann versammelt Texte zu einem wichtigen Autor

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Ich bin der Braun, den ihr kritisiert ...": Der Titel, unter dem Klaus Schuhmann seine im Verlauf von 35 Jahren entstandenen Beiträge zu Volker Braun versammelt hat, markiert die Position, in die sich der Schriftsteller seit Beginn seiner Laufbahn zunehmend gedrängt sah. Die politische Führung der DDR, die immer weniger mit Brauns Vorstellungen von Sozialismus anfangen konnte, wurde nach 1989 abgelöst durch ostdeutsche Schriftsteller und westdeutsche Feuilletonisten, die ihm nun vorwarfen, überhaupt am Sozialismus festgehalten zu haben. Schuhmann, seit den sechziger Jahren mit Braun befreundet, unternahm es dagegen, dessen Werk zu erklären und zu verteidigen. Sein Vorsatz, "über und zugleich für Volker Braun zu schreiben", bezeichnet Wert und Grenze seiner Arbeiten.

Im Laufe der Zeit sind zwanzig Texte entstanden, von denen vier im vorliegenden Band erstmals publiziert sind. Die Mehrzahl der Beiträge ist in der Nachwendezeit entstanden, die gewichtigeren, vor allem die Nachworte zu zwei Dramenbänden, dagegen noch in der DDR. Diese älteren Arbeiten Schuhmanns zeigen nebenbei, dass in der DDR eine durchaus kritische Diskussion auch politischer Texte möglich war und das Klischee von totalitärer Herrschaft nicht stimmt. Zwar lässt sich im Rückblick vermuten, an welchen Stellen Schuhmann vorsichtig formuliert haben mag, im Ganzen aber sind die unverändert abgedruckten Aufsätze noch heute mit Gewinn lesbar und wirken weniger veraltet als viele der gleichzeitig entstandenen Forschungsarbeiten zur Gegenwartsliteratur aus dem Westen.

Zwar ergibt sich keine Gesamtdarstellung von Brauns Werk, doch sind alle wichtigen Aspekte zumindest berührt. Am Rande blieb die Prosa; den vier Erzählungen zum "ungezwungnen Leben Kasts" hat sich Schuhmann ebenso wenig zugewendet wie der "Unvollendeten Geschichte" oder dem gewichtigen "Hinze-Kunze-Roman", und auch die Erzähltexte der Nachwendezeit sind allenfalls en passant erwähnt. Die politische Publizistik Brauns ist exemplarisch in einem Aufsatz berücksichtigt, der sich mit der Haltung des Autors zur Wende 1989/90 befasst. Umfassender dargestellt ist Brauns Lyrik, im Überblick und in Einzelinterpretationen. Beinahe vollständig interpretiert Schuhmann Brauns dramatisches Werk. Stets sind dabei wichtige Züge von Brauns Werken herausgearbeitet, fast nirgends möchte man widersprechen. Angesichts der zumeist anlassbedingten Kürze jedoch wünschte man sich vieles genauer analysiert. So benennt Schuhmann mehrmals einige der zahlreichen Zitate und Parodien, die Braun in seine Texte eingefügt hat, ohne jedoch ihre Funktion zu untersuchen. Dieser Vielzahl von Hinweisen müsste die Braun-Forschung (die Schuhmann nur spärlich zitiert) nachgehen.

Ein abschließender Teil fasst meist kürzere Gelegenheitsarbeiten zusammen, in denen Schuhmann punktuell Texte Brauns mit denen anderer Autoren vergleicht. Auch hier überzeugt fast alles; die modisch gewordene Abwertung Peter Hacks' bildet eine Ausnahme. Doch sind Gemeinsamkeiten - und nur ausnahmsweise Differenzen - etwas pauschal behauptet und nicht in aller Schärfe ausgeführt. Besonders die neuesten Texte zeigen im Detail Nachlässigkeiten, die sich in den Aufsätzen aus der DDR-Zeit nicht finden; wenn etwa in "Kohlhasenbrück", wo Braun schon im Titel auf Kleist verweist, ein Kleist-Zitat als Braun-Sentenz ausgewiesen ist oder andernorts der römische Kaiser Commodus mit seinem Namen "Marcus Antonius" identifiziert wird, nicht jedoch, was für den Kontext viel wichtiger ist, als brutaler Nachfolger jenes stoischen Philosophen-Kaisers Marc Aurel, der in Brauns jüngstem Theaterstück auftritt. Gerade zu den neuesten Werken Brauns, die nicht in den Anfang der neunziger Jahre abgeschlossenen zehn Bänden der "Texte in zeitlicher Folge" vorliegen, wären zudem etwas großzügigere Literaturangaben hilfreich gewesen. -

Volker Braun ist ein Dichter des Widerspruchs, in einem präzise zu benennenden Sinn: nicht, indem er ein Ideal gegen die schlechte Wirklichkeit anführt, sondern indem er Widersprüchen in der Wirklichkeit und dem Potenzial an geschichtlicher Entwicklung, das sie bergen, nachforscht. Er stieß vor und nach 1989 auf den Widerspruch der sich mächtig Wähnenden in einem anderen Sinn: auf den Widerspruch als dümmliche Verneinung. Gegenüber dieser Dummheit lag eine Verteidigungsposition nahe; diese nimmt denn auch Schuhmann ein und vermag tatsächlich etliches zu korrigieren, selbst wenn er die Gegenpositionen selten explizit macht. So konnte er Braun unterstützen - heute fragt sich, für welchen Teil des Werks diese Strategie noch tragfähig ist.

Wohl am ehesten für die neuesten Texte, die den größeren, marktgängigeren Teil der Gegenwartsliteratur weit überragen, bislang freilich ohne die ihnen angemessene Resonanz zu finden. Mit dem Ende der DDR hingegen ist Brauns Werk vor 1989 historisch geworden. Produktive Historisierung hieße hier, sich von einer identifikatorischen Lesart zu entfernen und zu fragen, zu welchen Widersprüchen Brauns Ansätze führten, die Widersprüche des real existierenden Sozialismus durchzuarbeiten. Aus dem Verhältnis von Konflikten in der Produktion und Konflikten auf der Ebene des Bewusstseins ließe sich gerade aus marxistischem Blickwinkel heute vielleicht anderes lernen als dem Autor vor dreißig Jahren bewusst war. Interessant wäre auch eine Untersuchung, wie Linke Gorbatschows Strategie, den Niedergang zu bewältigen, als Aufbruch interpretieren und gar den Mauerfall, unter Missachtung offensichtlicher Machtverhältnisse, als Beginn eines erneuerten Sozialismus feiern konnten. Brauns Werk bewegt sich in Konfliktfeldern, die noch kaum zu überschauen sind. Solidarisch wäre heute eine Lesart, die die Texte als Material benutzt, auch um den Preis, Lösungen zu verwerfen, die vor knapp zwanzig Jahren gangbar schienen.

Diesem Anspruch genügt ausgerechnet der älteste Beitrag Schuhmanns, ein 1968 in der Zeitschrift "Forum" veröffentlichter Brief an Braun zur Dramaturgie des Dramas "Hans Faust", das tatsächlich in der Folgezeit mehrere Umarbeitungen erfuhr. Hier findet sich eine produktive Kritik im Detail, die man später vermisst, und in der mit dem ästhetischen Problem auch das Problem der Gesellschaft konsequent verknüpft ist. Dass eine solche Diskussion unter den Herrschaftsverhältnissen vor und nach 1989 nicht mehr gelang, ist als Letztem Schuhmann anzulasten. Gleichwohl ist sie notwendig, soll Brauns Werk lebendig bleiben.

Titelbild

Klaus Schuhmann: "Ich bin der Braun, den ihr kritisiert...". Wege zu und mit Volker Brauns literarischem Werk.
Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2004.
242 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3937209751

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