Oh, diese Farben!

Bernhard Edmaiers "Earthsong" ist farbig, aber nicht bunt

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer in Buchhandlungen in Fotobänden blättert oder auf Ausstellungen Bilder bewundert, der will alles hören außer diesen einen, wohl meistgehassten Satz: "Oh, diese Farben!" Aber genau dieser Satz ist es, den man sich unablässig vorsprechen hört, sobald man Bernhard Edmaiers "Earthsong" aufschlägt. Oh, diese Farben. Auch wenn der Titel einem zweitklassigen Meditationsratgeber entsprungen zu sein scheint und die Silberprägung auf dem Umschlag etwas verkitscht daherkommt - das Buch ist eine Wucht.

In vier Kapiteln präsentiert Edmaier die Biozonen unseres Planeten: Wasser, Ödland, Wüste, Grün. Von den Riesengletschern in Alaska über die warmen Ozeane des Pazifik bis zum Großen Ostersee in Süddeutschland; von den Eislandschaften der Alpen und der Arktis bis zu den Vulkanen Ecuadors; von den Wüsten Namibias und Kaliforniens über die Sandbänke der Bahamas bis hin zu den Kratern des sizilianischen Ätnas: Edmaier nimmt uns mit auf eine Reise voller changierender, fein strukturierter und satter Farben und schenkt uns eine beeindruckende Ästhetik der Erde.

Das Buch zeigt die Erde, wie sie vor der Heimsuchung durch die menschlichen Belagerer war und wie sie nach unserer Abdankung wieder sein wird - unbesiedelt. Auch wenn der Mensch heute bis in die letzten Ecken des Planeten vorgedrungen ist und dabei so tief in das ökologische Gleichgewicht eingegriffen hat, dass er die natürliche Umwelt wenn nicht zerstört, so doch wenigstens beeinflusst und nachhaltig verändert hat, gibt es noch unberührte Landstriche, Gegenden, deren Erscheinungsbild durch die bloßen Kräfte der Natur geprägt ist: durch Verwitterung und Erosion, durch Vulkanismus und Gebirgsbildung, durch die tektonischen Kräfte im Inneren des Planeten.

Vorgänge wie diese hinterlassen ihre Spuren im Gestein der Erdkruste und in der Vegetationsdecke, und sie zeichnen Muster und Spuren. Edmaier geht diesen Strukturen nach. Er findet sie in den azurblauen Prielen und Gezeitenflüssen, in den wassergefüllten "Augen" der Vulkane, in den Spaltenfeldern der Hochgebirgsgletscher, in den aus Wind, Schnee und Sonne entstandenen Gitternetzen, die die Eiswüsten Islands überziehen.

Farbe ist nicht immer bunt und erzeugt nicht immer solche Spektakel wie wir es von Vulkanausbrüchen oder im Sonnenlicht errötendem Sandstein kennen. Auch das satte Grün tropischer Regenwälder kann den Sehnerv heute nicht mehr kitzeln. Manchmal sind es nur ocker- oder rostfarbene Strukturen, die Edmaiers Kamera einfängt. Ein schwarzer Fluss schneidet sich durch eine Schneelandschaft oder eine graue Gletscherzunge leckt übers Gestein. Dass sie sich von dem oft Gesehenen und den Ansichtskarten-Klischees nicht blenden lässt, macht Edmaiers Fotografie nur umso glaubwürdiger.

Titelbild

Bernhard Edmaier / Angelika Jung-Hüttl (Hg.): Earthsong.
Phaidon Verlag, Berlin 2004.
232 Seiten, 59,95 EUR.
ISBN-10: 0714894249

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