Hundert Argumente für Peter Hacks

Zu zwei Auswahlbänden

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man öffnet das Buch, blättert ein wenig, liest hier ein Gedicht, dort ein anderes, und wusste doch schon nach dem ersten, warum Peter Hacks heute vielen so verhasst ist. Und spätestens nach dem dritten Gedicht beginnt man zu begreifen, welch ungeheure Leistung es bedeutet, auf diese Weise verhasst zu sein. Es genügt ja nicht, mit den Verhältnissen nicht zufrieden zu sein; auf vage Art nörgeln viele und werden doch vom Kulturbetrieb gehätschelt. Ebenso wenig genügt irgendein provokatives Bekenntnis, noch taugt der Skandal zum Markenzeichen auf dem heiß umkämpften Markt der Aufmerksamkeit. Seit der Welle der Ostalgie reicht nicht einmal mehr Sympathie mit der DDR; sozialpädagogisches Verständnis ist in diesem Fall schnell zur Stelle.

Trotzdem immer noch Ablehnung zu erzwingen, ist eine Frage des Stils. Bei Hacks stimmt jeder Satz sprachlich und provoziert deshalb. Dieser Autor wirkt nicht nur arrogant; indem er ständig durchblicken lässt, um wie vieles er es besser weiß und zudem noch aufschreiben kann als die anderen, ist er es auch. Damit signalisiert er dem Gegner: Mit ihm kann man sich nicht einigen, ihn kann man nicht kaufen oder durch Kompromisse gewinnen.

Kurz also: Hacks ist ein Autor, mit dem lesend zu streiten lohnt. Der Band "Tamerlan in Berlin" fasst seine politischen Gedichte zusammen und bietet Anlässe genug. "Das Vaterland" etwa stellt die DDR ohne eine Spur augenzwinkernder Ironie als vorbildliches Gemeinwesen dar. Warum dann gibt es sie nicht mehr?, möchte man fragen, denkt dann an die Kriege und sozialen Katastrophen einer Welt ohne sozialistische Staaten und überlegt, ob die Ordnung vor 1989 nicht doch vernünftiger gewesen sein könnte. Das Titelgedicht jedenfalls stellt einen Einfall barbarischer Horden in die Hauptstadt der DDR dar; Zerstörung allerorten, "Nur in der Volksbühne, wo man zu Hauf / Polo mit Schädeln spielt, fällt gar nichts auf."

Die Zusammenstellung bietet Kurzformen: "29 Epigramme, im Geschmack der Griechen gebildet", und "131 Epigramme, im Geschmack der Engländer gebildet". Die altertümelnden Überschriften zeigen das Traditionsbewusstsein des Autors an, der mit avantgardistischen Formexperimenten nie sympathisierte. Der sprachliche Gewinn allein dadurch, nicht Jahrtausende vom Arbeit an lyrischen Formen zugunsten einer kurzen Moderne fortzuwerfen, ist immens. Nun sind nicht alle 160 Epigramme gleich gelungen, doch gibt es genügend Beispiele einer Aggressivität, die jeden denkfaulen Konsens zerschlägt. "Geselliges Vergnügen" stellt klar, dass der Feind Feind bleibt: "Mit meiner Freunde frohem Schwarm vereint / Besuch ich gern das Grab von einem Feind." Die gegenwärtige Massenkultur ist nicht irgendein Kulturphänomen, sondern eines menschlichen Daseins unwürdig: "Er sah noch eine halbe Nacht lang fern, / Jeden Kanal, und starb dann äußerst gern." Die Frage, wie mit verschiedenen Religionen umzugehen sei, wird elegant gelöst: "Die Glocke stört, es stört der Muezzin. / Man bringe sie zum Schweigen, die wie ihn."

"Altertümer" ist eine Zusammenstellung von Gedichten mit historischem Stoff überschrieben; wichtige Themen sind stets prägnant abgehandelt. Der Notwendigkeit, den Fortschritt entschlossen durchzusetzen, stehen die Grausamkeiten der Reaktion entgegen - Hacks fasst diesen Gegensatz immer wieder in der Konfrontation napoleonischer Reformen, die durch Gewalt erzwungen wurden, mit der angelsächsischen oder doch englisch bezahlten Gegenrevolution. Thema ist zuletzt auch, wie sich der Dichter, der es besser weiß, zu den Katastrophen des letzten Jahrzehnts verhalten soll: "Seit der großen Schreckenswende / Sieht des Dichters ernstes Haupt / Sich durch neue Zeitumstände / Aller Hoffnung jäh beraubt." Die Schlussverse dieses Gedichts "Jetztzeit" klingen desillusioniert: "Hin und wieder ein Gedicht / schreibt er noch aus Dichterpflicht."

Das war nicht die letzte Position Hacks'. Vergegenwärtigt man sich, wie viel und wie Wichtiges er bis zu einem Tod 2003 noch schrieb, kommt man eher zu dem Ergebnis, dass die "Schreckenswende" seine immer schon ausgeprägte Streitlust eher noch beflügelte. "Tamerlan in Berlin" belegt, wie sehr die vor 1989 verbreitete Einordnung Hacks' als harmonisierender Klassizist ein Missverständnis war. Er hatte wie kaum ein zweiter Autor die Befähigung, Übel nicht nur zu beklagen, sondern ästhetisch überzeugend Schuldige zu benennen und Abhilfen vorzuschlagen.

Für Hacks-Leser ist der Band auch deshalb wertvoll, weil einige der Gedichte im Lyrikband der Werkausgabe nicht enthalten sind. Letzteres gilt nicht für den zweiten, neueren Auswahlband, der Bekanntes in neuer Zusammenstellung bietet. Die "Hundert Gedichte", in zehn Gruppen zu je zehn angeordnet, konnte Hacks noch selbst aussuchen. In einer kurzen Vorbemerkung beleuchtet er den Idealfall einer solchen Sammlung, die die Interessen des Publikums mit denen des Autors versöhnt: "Er wählt also von den gelungenen die gefragten, von den gefragten die gelungenen." Dieser Fall aber ist nicht zu haben: "Aus Gründen des Ernstes gibt der Selbstherausgeber Stücke heraus, die für seine Kunst wichtig sind und aber dem Publikum nicht sehr gefallen, und er gibt Publikumsschlager heraus, die ihm nicht gefallen."

Man kann nun lange rätseln, wo sich die "Publikumsschlager" verstecken. Misslungene Gedichte gibt es in diesem Band nicht. Ob Liebes- oder Landschaftsgedichte, ob Lieder und Gedichte aus Hacks' Theaterstücken oder historische Dichtung: Durchgehend hält Hacks sein formales und sprachliches Niveau. Die Auswahl erhellt dabei, wie Hacks als Lyriker sich im Gegensatz zu einem Teil seines Publikums vor allem sehen und überliefert wissen wollte. Die aggressiven Epigramme fehlen hier ebenso wie die unmittelbar politischen Gedichte der Nachwendezeit. Von den Historien, in der Gesamtausgabe unter "Kunstformen der Geschichte" zusammengefasst, vermisst man jene, die Stoffe aus dem 20. Jahrhundert verarbeiten - offensichtlich wollte Hacks hervorheben, dass er Geschichtslyrik als Verarbeitung von Exempeln, nicht aber als engagiertes Eingreifen in die gegenwärtigen Kämpfe verstand. Gleichfalls ist keines der (wenigen) poetologischen Gedichte Hacks' vertreten.

Ein Ausweichen ins allgemein Menschliche also? Bei näherem Hinsehen erweisen sich jene Landschaftsgedichte, die in der Werkausgabe unter "Märkisches Museum" versammelt und beinahe ausnahmslos übernommen sind, als fast durchweg von menschlichem Tun durchwirkt und hält die scheinbar entrückte Geschichte noch gründlich durchdachte Lehren für die Gegenwart bereit. In seinen Liebesgedichten, die vielfach Erotisches unverdeckt aussprechen, verweigert sich Hacks der gängigen Methode, das Elend der Gegenwart durch ebenso freudlose Sexualität zu veranschaulichen. Hat die gelingende, lustvolle Vereinigung die Funktion eines Gegenbildes? Sie mag heute schon vielfach erlebt werden; ästhetisch wiederholt sich in Hacks' Klassizität der produktive Widerspruch in Schillers Klassik, gerade als zweckfreies Spiel einen Zweck zu haben.

Kein gesellschaftlicher Fortschritt, und soweit bislang absehbar auch kein medizinischer, kann den Tod besiegen. Ist dies die Grenze menschlicher Freude? Bei Hacks ist es die Bedingung: "Der Vater der Genüsse, / Der alte Knochenmann, / Hängt an die tiefsten Schlüsse / Doch seinen tiefern an." Kein Genuss, ohne dass es ein notwendiges Ende gäbe, und kein Denken ohne Bezug zur materiellen Begrenzung. Unter dieser Voraussetzung und gerade nicht unter der einer technisch-funktionalen Lebensverlängerung entstehen Sinn und Moral im gemeinsamen Erleben: "Du sollst mir nichts verweigern. / Ich will den letzten Rest. / Geht eine Lust zu steigern, / Ein Schurke, wer es läßt", heißt es im selben Gedicht.

Ein belangloses Nachwort Wiglaf Drostes beschließt den Band. Droste hebt den politisch wachen Schriftsteller Hacks hervor und zitiert vor allem jene Gedichte, die in "Tamerlan in Berlin" versammelt sind. Zu Recht polemisiert er dagegen, dass Günter Grass als repräsentativer Dichter seiner Generation gilt und gegen Marcel Reich-Ranickis Ferne von allem, was ein ästhetisch begründetes Urteil ausmachen könnte. Über allerlei schreibt Droste allerlei Richtiges und vergisst die hundert Gedichte, über die er schreiben müsste. Allgemein gehaltene Begeisterung ersetzt die genaue Begründung, weshalb man besser Hacks als Grass lesen sollte. Zum Glück macht das wenig aus; mit hundert Gedichten liefert Hacks dafür genau hundert Argumente.

Titelbild

Peter Hacks: Hundert Gedichte.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2004.
185 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 335901491X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Peter Hacks: Tamerlan in Berlin. Gedichte aus der DDR.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2004.
93 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3359014448

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