Musik in der Sprache

Claudia Albert zu deutscher und französischer Literatur über Musik

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mag seine Musik beglücken oder nicht - der Musiker, bis hin zu Thomas Manns Adrian Leverkühn, ist zumindest in der Literatur fast immer ein unglücklicher Mensch. So sind auch die Komponisten und Virtuosen, die in den von Claudia Albert interpretierten Texten aus der deutschen und französischen Literatur auftreten, zumeist Scheiternde: Bei Diderot zersprengt sich Rameaus Neffe fast in seiner pantomimischen Nachahmung von Musik; Wackenroders Komponistenfigur Berglinger stirbt erschöpft, nachdem ihm endlich ein Meisterwerk gelungen ist; der Kapellmeister Kreisler in Hoffmanns "Lebensansichten des Katers Murr" ist am Hof mit seinem ernsten Anspruch an Kunst fast ein Sonderling; Grillparzers "armer Spielmann" schließlich, schon sozial am unteren Ende der Reihe, wird aus dem Glück, das er vielleicht beim Klang seiner statischen Harmonien empfand, herausgerissen und kommt ums Leben, als er bei einem Brand als Lebensretter aktiv einzugreifen versucht. Anders als alle diese Figuren ist Gambara in Balzacs gleichnamiger Erzählung von Beginn an als musikalischer Nichtskönner vorgestellt, analysiert der Autor schonungslos die Illusionen seiner Figur, der er gleichwohl etwas wie Größe belässt.

Kann, wenn schon die Biografien scheitern, wenigstens der Klang Utopisches repräsentieren? In Tiecks "Franz Sternbalds Wanderungen" sind bei genauerer Betrachtung die über den Roman verstreuten Lieder desillusionierend in sich gebrochen und sperren sich die Töne der Natur gegen menschliches Verständnis. Nur momenthaft und schließlich in einer erzwungen optimistischen Schlusswendung können artifizielle Klänge, die als Natur gelten: Orgel, Horn, weiblicher Gesang - das Undarstellbare flüchtig darstellen. Als unerreichbar erscheint die musikalische Harmonie dann noch entschiedener in Hölderlins "Hyperion". Wenn gegen Ende der "Kunstperiode" die Musik als Gegenstand der Literatur zurücktritt und die Malerei an Gewicht gewinnt, so scheint dies keine Lösung: Die beiden Erzählungen über Maler-Schicksale, die Albert am Ende ihres Buchs untersucht, sind jedenfalls nicht ermutigender. In Balzacs "Chef-d'œuvre inconnu" entpuppt sich das Meisterwerk, das erst nach einem entwürdigenden Tauschhandel vorgezeigt wird, als Block sinnlos aufeinander geschichteter Farben; einzig ein wunderschöner Fuß ist noch erkennbar und deutet darauf hin, dass wirklich ein Kunstwerk existierte, bevor die zerstörerischen Verbesserungsversuche begannen. Stifters Roderer, reich und vom Markt unabhängig, kehrt früheren Beteuerungen entgegen in "Nachkommenschaften" der Kunst den Rücken und zerstört seine Werke, als ihm die Familiengründung gelingt.

Claudia Albert liest und interpretiert diese neun Texte genau und überzeugend. Heute durchaus nicht mehr selbstverständlich, sind die Bezüge auf die Forschungsliteratur nicht als Beleg für Fleiß und Belesenheit aufgehäuft; im Gegenteil führt Albert eine produktive Auseinandersetzung auch mit Ansätzen, die zwar überholt scheinen, doch eine Beschäftigung lohnen. So ist die Argumentation stets geschärft und klar, zumal die Autorin sowohl anbiedernde Verflachungen als auch protzigen Wissenschaftsjargon vermeidet - auch das eher eine Seltenheit.

Ebenso wenig zwingt sie den Texten ein interpretatorisches Raster auf. Wo es nahe liegt, arbeitet sie durchaus musikgeschichtliche Fakten ein - etwa Stand und Bedeutung der Pergolesi-Rezeption für Wackenroders Erzählung oder die Bedeutung instrumententechnischer Entwicklungen für Tiecks Roman. In anderen Fällen stehen die in den Texten beschriebenen Werke oder die musikalische Faktur der Texte selbst im Mittelpunkt. Nachteil dessen ist freilich, dass die Verbindung zwischen den Kapiteln zuweilen allzu locker wird. Zusammenfassungen und Vergleiche gibt es nur selten und zudem unauffällig platziert. Dabei regen die Interpretationen zu Fragen an, auf die man gerne Antworten gehabt hätte.

Erstens fordert die Textauswahl geradezu einen expliziten Vergleich zwischen deutschen und französischen Texten. Dabei wäre zu fragen, ob es Auswirkungen auf die Darstellungen hat, wenn in Deutschland Musik länger eine höfische oder kirchliche Kunst bleibt als in Frankreichs Zentrum Paris. Die Auskunft, dass französische Künstler die Musik wesentlich stärker als Medium der Kritik an Gesellschaft und Künstlerideologien nutzen, ist jedenfalls in den Umschlagtext verbannt - wobei noch zu fragen ist, welche Rückschlüsse die lediglich zwei angeführten Beispiele - Diderot und Balzac - erlauben.

Zweitens wird für einen bestimmten Zeitraum die Musik zu der Kunst, die Schriftstellern bestimmte Probleme abzuhandeln erlaubt, bevor die Malerei diese Funktion einnimmt. Warum? Ein kurzer Abschlussteil zur "Musik am Ende der Kunstperiode" benennt zwar anhand einer skizzenhaften Heine-Interpretation zwei Schwierigkeiten, Musik in Dichtung utopisch aufzuladen: Sie werde nun kulturindustriell verwertet, und sie sei nur schwer ins Medium des Worts zu übertragen. Doch ist beides weder neu noch für die Malerei einfacher zu gestalten. Die räumliche Gleichzeitigkeit eines Bildes ist ebenso wenig ohne Verluste ins Nacheinander der Sprache zu übersetzen wie der Klang. Um Subskribenten hatte schon Mozart zu werben, Hoffmann ließ seinen Kreisler an einem Hof mit einer Vorliebe für die leichtere italienische Oper leiden - während sich hier schon frühe Ausformungen einer musikalischen Kulturindustrie zeigen, wird das Bild im Normalfall schon als Ware konzipiert. Ein Medienwechsel löst also die Probleme nicht, und tatsächlich ist auch das utopische Potenzial der Malerei in den beiden Texten, die Albert untersucht, äußerst gering.

Drittens schließlich hätten zusammenfassende Bemerkungen zum Problem des Medienwechsels das Buch wertvoller gemacht, gerade weil Albert im Einzelnen - auch gegen oberflächliche Forschungstraditionen - erhellende Bemerkungen beisteuert. Hat man etwa ihr Kapitel zum "Kater Murr" gelesen, so wird man künftig die These, die Biografien von Murr und Kreisler seien kontrapunktisch aufeinander bezogen, allenfalls als metaphorisch gelten lassen; denn musikalischer Kontrapunkt bedeutet eine Gleichzeitigkeit, die Literatur ins Nacheinander auflösen muss. Ebenso kann die Sprache im "Hyperion" nicht den Anspruch von musikalischer Harmonie erfüllen, den der Titelheld und viele seiner Interpreten stellen. Die scheinbar modernere, rezeptionsästhetische Version, die Heine erprobt - freilich in der ironischen Paradoxie, dass ein Tauber die Musik aus Bewegungen erschließt -, nämlich Geschichten aus Musik zu lesen, besonders Biografisches, reduziert die Musik zum "leeren Zeichen". Derart der Subjektivität des Hörers unterworfen, verliert sie die Fähigkeit zur Transzendenz, die ihre Funktion in der deutschen "Kunstperiode" ausmachte.

Das dialektische Moment, dass gerade das Nicht-Funktionale, etwa bei Tieck: die Natur, zur Funktion werden muss; das komplexe Verhältnis von Dissonanz und Harmonie in mehreren der untersuchten Texte und damit auch von harmonischem Akkord und der literarischen Beschreibung im Nacheinander; der Konflikt zwischen sinnlich erfahrbarem Klang und sprachlicher Fixierung, die der Begriffe bedarf, ohne durch Begriffe festzuschreiben: das sind Themen, die in der Analyse der besonderen Texte anklingen können, doch einer Verallgemeinerung bedürften, die ein hoffentlich ebenso ästhetisch sensibler Nachfolgeband leisten sollte.

Kein Bild

Claudia Albert: Tönende Bilderschrift. Musik in der deutschen und französischen Erzählprosa des 18. und 19. Jahrh.
Synchron Wissenschaftsverlag der Autoren, Krottenmühl 2002.
167 Seiten, 24,54 EUR.
ISBN-10: 3935025262

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch