Literarische Schätze

Ruth Landshoff-Yorcks Nachlass-Roman „Die Schatzsucher von Venedig“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ähnlich des – zumindest früher – bekannten Kinderspiels Schnitzeljagd ist das der Schatzsuche organisiert. Nur dass es sich bei Letzterem um ein Gesellschaftsspiel der besseren Kreise handelt, dessen TeilnehmerInnen einem Gegenstand von beträchtlichem Wert hinterherjagen. Im Falle der „Schatzsucher von Venedig“ ist das Objekt der Begierde eine kostbare Brosche, die von einem Millionär gespendet wurde. Im Venedig der 30er Jahre erfreute sich die Suche anhand von „Rätselverschen“ offenbar großer Beliebtheit. Dem Schmuckstück dicht auf der Spur, bricht eine „wilde Horde junger Menschen“ in das Partytreiben einer illustren Gesellschaft ein, zu der so merkwürdige Figuren wie ein „depossedierter König“ und die „pompöse Dame Hofknix“ ebenso gehören wie der erfolgreiche Theaterregisseur Bachmann, der Deutsche Dr. Müller oder ein Mann namens Proktor – und natürlich Madelin, eine „schöne Verstrickte“ sowie Sympathieträgerin des 1932 verfassten Romans aus der Feder Ruth Landshoff-Yorcks, der nun nach über 70 Jahren dem Publikum zugänglich gemacht wurde.

Die junge Amerikanerin Madelin, mit ihrem Bruder Jack auf einer vom Herrn Papa finanzierten Europareise, ist des Spieles unkundig. Als sie das Kleinod unversehens an ihrer Schulter findet, überlässt sie es daher einem – wie sich herausstellt – nicht eben ehrlichen Gondoliere, noch bevor die Gesellschaft der Schatzjäger eintrifft. Durch diese aufgeklärt, begibt sich die Protagonistin in das Dunkel der nächtlichen Stadt, um das Schmuckstück wiederzuerlangen, was sie nicht nur den Weg eines Jungen kreuzen lässt, der ihr seine Unterstützung anbietet und sich ihr anschließt, sondern sie auch zu den sehenswertesten Plätzen und Gebäuden der Kunst- und Canale-Metropole führt.

Landshoff-Yorck, die Venedig gut kannte und mehrere Feuilletons über die Stadt veröffentlichte, gelingt es mit wenigen Zeilen leicht, den Lesenden das Hotel Excelsior, die Scuola Grande di San Rocco, den Markt am Canale Grande oder Wagners Sterbehaus plastisch vor Augen zu führen, ohne den Fluss der Handlung zu hemmen. Bis zum Morgengrauen haben fast alle Figuren ihren je eigenen, ganz besonderen Schatz gefunden, „but the heroine found the greatest treasure of all, after many dificulties – - love“, wie die Autorin in ihren autobiografischen Aufzeichnungen erklärt.

Dass der oft amüsant geschriebene Roman stilistisch gelegentlich noch nicht ganz ausgereift ist, hier und da also einer weiteren Überarbeitung bedurft hätte – eine kürzere Passage gehört offenbar sogar einem früheren Entwurf an –, stört das Lesevergnügen kaum.

Seinerzeit verhinderte der Nationalsozialismus die Publikation des Werkes der damals durchaus nicht namenlosen Autorin, die bereits 1933 ins Exil ging: zunächst nach Frankreich, England und in die Schweiz, 1937 dann in die USA, wo sie 1966 im Alter von 57 Jahren verstarb. Noch in den 50er Jahren hatte sie sich erfolglos um die Publikation des Buches bemüht, „das nur eine Nacht zum Inhalt hat in der sich die Schicksale mehrerer Menschen erfüllen“, wie die Autorin 1956 in einem Brief erklärte.

Sicher handelt es sich bei „Die Schatzsucher von Venedig“ um keines der bedeutendesten Werke der Weltliteratur und wohl nicht einmal um Landshoff-Yorcks besten Roman. Doch nach der Neuauflage von „Die Vielen und der Eine“ (2001) und der Erstveröffentlichung des „Romans einer Tänzerin“ (2002) ist mit „Die Schatzsucher von Venedig“ nun Landshoff-Yorcks gesamtes Roman-Werk zugänglich. Und das ist gut so.

Titelbild

Ruth Landshoff-Yorck: Die Schatzsucher von Venedig.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Walter Fähnders.
AvivA Verlag, Berlin 2004.
166 Seiten, 16,50 EUR.
ISBN-10: 3932338235
ISBN-13: 9783932338236

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