Der Vampir als Störgeräusch

Hendrik Blumentraths "Blutbilder. Mediale Zirkulationen einer Körperflüssigkeit"

Von Anne-Kristin PalmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne-Kristin Palm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ströme von Blut, die aus einem Altarkreuz quellen, Kelche voll Blut, Blut als dünnes Rinnsal aus dem Mund einer Frau: Exzessive Blutbilder wie diese mögen einem vor Augen kommen, denkt man an Francis Ford Coppolas Film "Bram Stoker's Dracula". Weniger wohl erinnert man das Bild einer Rose, der der Vampir langsam, ganz langsam die rote Farbe entzieht. Doch illustriert vielleicht eben dieser formale Bruch des Films eine der Hauptthesen dieser kulturwissenschaftlichen Analyse von "Blutbildern in der Postmoderne": So wie Dracula die Rose ihrer behaupteten filmischen Glaubwürdigkeit beraubt, "indem er eine regelrechte Dekolorierung des Farbfilms vornimmt", so droht jegliche Störung des 'Blutkreislaufs' der als Körper imaginierten Gemeinschaft die scheinbare Natürlichkeit ihrer Zeichensysteme zu zerstören, ihr den Anschein eines stabilen Sinnsystems zu entziehen.

Ein kulturwissenschaftliches Blutbild

Grundannahme seiner Analyse, wie Hendrik Blumentrath im klar geschriebenen ersten Methodenkapitel verdeutlicht, ist die von 'Kultur als Text'. Ein Außerhalb dieses Textes, von dem aus man durch stabile und neutrale Beobachtung auf vorgängige Strukturen stoßen könnte, gibt es nicht. Bedeutungen werden nicht vorgefunden, sondern in ständiger Wiederholung hergestellt, weit davon entfernt, sich wie bei einem medizinischen Blutbild auf einen "sauberen Objektträger" fixieren und lesen zu lassen.

So wie der Körper als Ganzes gerät sein "flüssiges Organ" Blut damit als etwas in den Blick, das keine neutrale, vorgängige Gegebenheit darstellt, sondern einen unabschließbaren Prozess kultureller Setzung und Wahr-Nehmung. Auf solche Blut-Bilder, die durch sämtliche gesellschaftliche Bereiche zirkulieren, will Blumentraths Analyse das abendländische Kapitel des 'kulturellen Textes' befragen. Ihn interessieren dabei gerade die Übergangseffekte solcher Zirkulationsbewegungen zwischen verschiedenen Diskursen: Was passiert, fragt er, wenn die Repräsentationen von Blut etwa aus dem Bereich der Medizin in den des Films oder den der Politik gelangen, dort aufgegriffen, neu kontextualisiert und umgeschrieben werden? Welchen Aufschluss gibt dies über die Bedeutungszuweisungen von Blut und über die Mechanismen von Bedeutungszuweisung überhaupt?

Der Kollektivkörper und sein Blutkreislauf

Entscheidende Prämisse seiner Analyse ist das (als patriarchal apostrophierte) Konzept des 'Kollektivkörpers', das Blumentrath diskursanalytisch an kulturellen Intensitätspunkten aufweist: Im 'Herrenmahl', in dem die Feiernden durch Teilhabe am 'Leib Christi' zu Mit-Gliedern des christlichen Einheitskörpers werden, in Hobbes' Leviathan, Hegels 'lebendigem Staatskörper' wie in den 'beiden Körpern des Königs' verschränken sich Bilder von Gemeinschaft mit denen des Körpers. Erst vor einigen Wochen hob ein schwedisches Gericht eine Strafe gegen einen Pastor auf, der in einer Predigt Homosexalität als "Krebsgeschwulst am Körper unserer Gesellschaft" bezeichnet hatte - und auch das Unbehagen, das einen bei solchen Rhetoriken befällt, sind sie doch diskreditiert durch ihre Verwendungsgeschichte in der 'Volkskörper'-Metaphorik des Nationalsozialismus, zeugt von der Wirkmächtigkeit dieser Verschränkungen.

Folgt man der Analogie von Körper und Gemeinschaft - und hier denkt Blumentrath das Konzept des Kollektivkörpers auf originelle Weise weiter -, dann bilden die Zeichenprozesse der Gemeinschaft den Blutkreislauf dieses kollektiven Körpers. Als 'Körper' stabilisiert sich die Gemeinschaft als eine scheinbar natürliche, geschlossene und lebendige Einheit - und ihre Zeichenprozesse fügt sie als 'Lebenssaft' in diesen Körper ein. Hinter Blumentraths Analyse der Blutbilder verbirgt sich also eine Analyse der semiotischen Prozesse, die eine Gesellschaft formieren. Durch die Bilder des Bluts, so seine These, wird die Bedeutung der Zeichen, die doch immer erst durch einen komplexen Prozess generiert wird, als unmittelbar sinnerfüllt und 'wahr' ausgewiesen. Dem Phantasma eines geschlossenen Körpers korrespondiert das eines geschlossenen 'Blutkreislaufs': einer einzigen Stimme, kernhaften Identität und stabilen Geschlechterordnung. Dieses scheinbar geschlossene System voll 'reinen Bluts', das die Stabilisierung der Gemeinschaftsordnung sichern und authentifizieren soll, beruht jedoch immer schon auf dem Ausschluss eines als 'unrein' und 'fremd' konstruierten 'Anderen'.

Vampirismus

Dass diese Authentifizierungsfigur alles andere als stabil ist, zeigt Blumentrath an Coppolas Film "Bram Stoker's Dracula" und Elfriede Jelineks Stück "Krankheit oder Moderne Frauen". Beide 'Texte' begreift er als mediale Schnittpunkte, die sich gesellschaftliche Diskurse einverleiben und dabei exzessiven Blutfluss produzieren. Ihre Inszenierungen von Blutbildern erzählen nicht nur von Phantasmen der Sinn- und Gemeinschaftserzeugung, sondern auch von der Möglichkeit ihrer Infragestellung und Störung. Zentraler Agent hierfür ist der Vampir, der seine Zähne in den Kollektivkörper schlägt und aus dieser Wunde den Blutfluss der Zeichen absaugt, ihn stört oder verunreinigt. Die Texte zeigen diese "blutleeren oder mit sonderbarem Blut durchströmten" Figuren als immanente Störmomente von Kommunikation und Ordnung und spielen so mit der Angst vor deren Zusammenbruch. Diese Bedrohung, die Möglichkeit der Revision bestehender Bedeutung und vorherrschender Ordnung, ist im System immer schon angelegt: Sinnerzeugung und -feststellung, scheint Blumentrath damit behaupten zu wollen, sind als Strategien der Festlegung und des Ausschlusses immer schon prekär. Denn "der Strom von Zeichen garantiert keine kohärente, authentische Kommunikation, sondern trägt die Störgeräusche schon in sich". Der authentifizierende Einsatz von Blutbildern möchte dies vergessen machen.

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Hendrik Blumentrath: Blutbilder. Mediale Zirkulation einer Körperflüssigkeit.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2004.
99 Seiten, 17,50 EUR.
ISBN-10: 3895284718

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