Von den drei Stadien

Johannes Rohbeck (be)schreibt Geschichtsphilosophie

Von Stephan GünzelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Günzel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Bändchen "Geschichtsphilosophie zur Einführung" liegt abermals eine Publikation in der Einführungsreihe des Verlag Junius vor, die bis vor wenigen Jahren noch Personendarstellungen vorbehalten war und sich - wie die Kopie des Reihenkonzepts im Campus Verlag - großer, anhaltender Beliebtheit, nicht nur unter Studierenden, erfreut.

Der in Dresden Praktische Philosophie lehrende Johannes Rohbeck hat die Einführung verfasst und scheut dabei nicht den großen Entwurf im kleinen Umfang. Geschichtsphilosophie teilt sich für ihn selbst in drei Perioden ein: Die Philosophie der Geschichte im engeren Sinne zur Zeit der Aufklärung (18. Jahrhundert), deren heraufziehender Kollaps im Historismus (19. Jahrhundert) sowie die Nachgeschichtskonzeptionen in den Ruinen des Posthistoire (20. Jahrhundert). Während die erste Periode (von Voltaire zu Marx) vom grenzenlosen Fortschrittsdenken und ebensolchem Optimismus geprägt war, hebt sich die zweite Phase (nach Rohbeck beginnend mit Vico) durch ein höheres Maß an Selbstreflexivität heraus. War in der Aufklärung noch Selbsterkenntnis das höchste Gebot, ging es nun um deren Kritik: Der Gegenstand ist hierbei nahezu beliebig, dennoch gelingt es Rohbeck eindrücklich zu zeigen, wie gerade aus dem Problem der Geschichtlichkeit (einem lange von wissenschaftlicher Erkenntnis ausgeschlossenem Gegenstandsbereich) heraus sich bis heute anhaltende Richtungen der Philosophie (allen voran die Hermeneutik) entwickelten. So führen die Spuren des Historismus bis hin zu Paul Ricœur und Hayden Whites Stilanalyse der historiografischen Sprachspiele.

Wirkliche Kritik aber beginnt für Rohbeck erst dort, wo sie destruktiv, mithin apokalyptisch wird: Burckhardt, Nietzsche, Benjamin, Horkheimer / Adorno, Foucault und Lyotard müssen sich so unter die Posthistoristen rechnen lassen. Die 'eigentliche' Wurzel des Posthistoire im Hegelianismus vernachlässigt Rohbeck dabei etwas (auch fehlen die dem deutschen Diskurs völlig fremde, weil stochastische Variante posthistorischen Denkens bei Cournot sowie der begriffliche Ursprung bei Hendrik de Man), sodass ihr Geschichtsbegriff mit dem der Postmoderne identisch wird. Ist Rohbeck begriffsgeschichtlich auch nicht immer korrekt oder um letzte Klärung bemüht, so wird er dem Genre der Einführungsreihe gerecht und erzeugt Ideen vom Ganzen.

Ein Manko des Bandes liegt sicher in der Herkunft des Manuskripts, das wie manch andere Einführung auf Vorlesungen basiert. So hat man hier trotz der apersonalen Grundausrichtung der Darstellung doch wieder einzelne Mikrobiografien vor sich liegen, welche den Themen einzelner Vorlesungen entsprechen dürften. Ein zweiter Nachteil kann darin gesehen werden, dass die historischen Bedingungen eines jeweiligen Geschichtsdenkens kaum zur Sprache kommen, also ein Ausblick auf die zugrunde liegende Kulturgeschichte und historiografischen Praktiken fehlt. Zwar ist dies auch nicht das Thema, doch bleibt die Darstellung hier zu sehr Textexegese bzw. eben Vorlesung und somit zugleich zu voraussetzungshaft.

Seine eigene Philosophie der Geschichte entlehnt Rohbeck im letzten Kapitel ("Ausblick" betitelt) unausgesprochen Nietzsche, dessen Philosophie der Geschichte einen kritischen Umgang mit den Formen von Geschichtsschreibung forderte und damit den Sinn "pragmatischer Geschichtsschreibung" neu definierte. Bei Rohbeck heißt diese Kategorie der kritischen Historie im Dienste des Lebens (vielleicht aus Furcht vor den liberalen Implikationen des "Pragmatismus", im Schielen auf Marx und mit Blick auf die Ethik als Fachdisziplin mit apriorischem Grundverständnis) schlicht "Angemessenheit". Damit sei ein "sozialer Zustand" definiert, wonach "ein bestimmtes Niveau der wissenschaftlich-technischen und ökonomischen Entwicklung eine bestimmte Lebensweise auf einem bestimmten Niveau der Kultur möglich macht. Daran knüpft sich für die Zukunft die Erwartung, neue Möglichkeiten auch zu realisieren. In politischen Kontexten gehen daraus bestimmte Forderungen hervor, die darauf dringen, das technisch und ökonomisch Mögliche in die Tat umzusetzen." Die Systemtheorie weiß: Eine Selbstbeobachtung erscheint unter den gegenwärtigen Bedingungen immer als Beobachtung zweiter Ordnung und zieht diejenige Differenz, die sie produziert, notwendig auch zur Selbstbeschreibung heran, wodurch sie diese reproduziert: Gesichtsphilosophie (be)schreibt also nicht Geschichte, sondern - Geschichtsphilosophie.

Titelbild

Johannes Rohbeck: Geschichtsphilosophie. Zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2004.
177 Seiten, 13,50 EUR.
ISBN-10: 3885066025

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