It can happen anywhere!

Erika Manns "Geschichten aus dem Dritten Reich" erstmals in deutscher Übersetzung

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist erstaunlich, dass dieses Buch erst jetzt in deutscher Sprache vorliegt. 1940 war "The Lights go down" in New York und London erschienen. Zuvor schon hatte Erika Mann 1938 "School for Barbarians", eine Studie zur Erziehung der Jugend im Dritten Reich, veröffentlicht und gemeinsam mit ihrem Bruder Klaus die beiden Bände "Escape to Life" (1939) und "The Other Germany" (1940). Auch diese Bücher blieben lange unübersetzt. Erst 1983 erschien die Studie unter dem Titel "Zehn Millionen Kinder". "Escape to Life" erschien 1991 im Zuge einer Klaus

Mann-Wiederentdeckung.

Klaus und Erika Mann waren während der 20er Jahre als die "verrückten Mann-Geschwister" zu spektakulärer Bohème-Berühmtheit gelangt. Schlagzeilenträchtig war ebenso Klaus Manns exaltiertes Künstlertum wie Erika Manns ehrgeizige Vorliebe für schnelle Autos. Politik spielte in ihrem lustbetonten Tempoleben keine Rolle. Doch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 bestand für beide zu keinem Moment ein Zweifel am tödlich-verbrecherischen Charakter des Nazi-Regimes. Sofort war ihnen klar, dass der Kampf gegen Hitler und den Nationalsozialismus ein Kampf um die Verteidigung elementarer Grundwerte wie Zivilisation und Humanität war. Unduldsam wurden die Geschwister, wenn andere dies nicht zu erkennen schienen. So wie der Vater: Als Thomas Mann noch zögerte, sich eindeutig für das Exil und damit gegen Nazi-Deutschland zu entscheiden, bekam er die Rigorosität zu spüren, mit der sein "kühnes und herrliches Kind", wie er die Tochter einmal nannte, die Entscheidung von ihm forderte.

Erika Mann bezog Postion gegen die Naziherrschaft zunächst in der "Pfeffermühle". Das noch in München gegründete Kabarett hatte bis 1936 in über 1000 Vorstellungen überall in Europa mit großem Erfolg gespielt. Der Versuch jedoch, auch in Amerika dasProgramm fortzusetzen misslang. 1937 löste das Ensemble sich auf. Erika Mann reiste nun als erfolgreiche "Lecturer" durch Amerika und Europa. Besonders in Amerika kam ihre direkte, zuhörerfreundliche Rede an. Sie informierte über die Situation der Exilanten ebenso wie über den Alltag im Nationalsozialismus, warnte vor der von Deutschland ausgehenden Kriegsgefahr und appellierte seit 1939 an ihre Zuhörer, sich für einen amerikanischen Kriegseintritt auszusprechen.

In diesem Zusammenhang entstand auch "The Lights go down". Erika Mann hatte sorgfältig recherchiert. "Alle Geschichten", so erläuterte sie in einer Nachbemerkung, "mußten typisch sein. [...] Also entschloss sich die Verfasserin, wahre Geschichten vollkommen durchschnittlichen Charakters zu erzählen; Geschichten, die vollkommen durchschnittlichen Leuten widerfuhren, die weder besonders mächtig noch besonders heldenhaft waren, weder ausnehmend unglücklich noch ausnehmend kriminell."

Erika Mann schrieb für ein amerikanisches Publikum. Das bedeutete zum einen eine wohltuend direkte, unkomplizierte Dramaturgie und Sprache. Zum anderen führte es zuweilen auch zu kuriosen Anpassungen an amerikanische Lesegewohnheiten. So trinkt der Wirt, mit dem der ausländische Fremde in einer bayrischen Wirtschaft sich unterhält, "einen Whisky nach dem anderen", was wohl bis heute eher selten vorkommt ... Sei's drum. Der Rahmen ist schlicht: ein "Fremder", wohl ein Amerikaner, besucht als Tourist eine süddeutsche Universitätsstadt - in ihrer idealtypischen Charakterisierung erinnert sie an Kaisersaschern, jene deutsche Gelehrtenrepublik, in der Thomas Manns Tonsetzer Adrian Leverkühn lebte. Idyllische Fachwerkhäuser, Kathedrale, mittelalterliche Gässchen und Marktplatz prägen ebenso das Stadtbild wie die Universität, ein Krankenhaus, aber auch eine Fabrik und Mietshäuser am Stadtrand. Zunächst noch beeindruckt von der biederen Stadtromantik, die so ganz seinen touristischen Erwartungen entspricht, irritiert ihn doch das Dröhnen der marschierenden Uniformkollonnen. Zweifel stellen sich ein. In den nun folgenden locker miteinander verbundenen zehn Geschichten werden diese Zweifel bestätigt, indem erzählt wird, wie das nationalsozialistische Regime in den Alltag des Stadtlebens wirkt. Dabei nutzt Erika Mann, darauf weist im Nachwort die Erika Mann-Biographin (1993) Irmela von der Lühe hin, ein dem amerikanischen Leser vertrautes Genre: die "small town literatur". In diesem Rahmen lassen sie die Lebensalltäglichkeiten einiger wie zufällig ausgesuchter Menschen im Kontext einer historisch-politischen Ausnahmesituation anschaulich schildern. Zudem klingt eine Botschaft immer mit: "it can happen anywhere!".

Erika Mann führt Figuren ein, die dem Regime zunächst keineswegs ablehnend gegenüberstehen. Doch durch die ebenso rücksichtslosen wie irrationalen Auswirkungen der Diktatur geraten sie in eine für sie existenzielle Zwangslage. So wie der Kaufmann Schweiger, der sich gezwungen sieht, seine Bücher zu frisieren, da sein Laden im Rahmen der neuen Wirtschaftspolitik als unproduktiv gilt. Von nun lebt er mit einer Lüge, die sich bis in sein Eheleben hinein auswirkt: "Zwischen ihnen wuchs das Mißtrauen, ein schmutziges und lähmendes Gefühl. Es ging mit ihnen durch die Straßen und kam mit ihnen nach Haus, es betrat die Wohnung, es kroch in das breite Bett ..." Oder der örtliche Gestapochef Franz Deiglmeyer, Polizist schon zu Republikzeiten, der sich aus Gewissensgründen den Pogromplanungen des 9. November 1938 verweigert. Stattdessen warnt er die in der Stadt lebenden Juden und hindert die Überfallkommandos an Zerstörungen und Plünderungen. Er flieht. Doch das "das freie, demokratisch regierte" Nachbarland liefert ihn aus. Packend schildert Erika Mann in der letzten Geschichte die bürokratische und unmenschliche Schikane des Regimes, mit der der ausreisewillige Literaturredakteur Eberhardt gepeinigt wird. In letzter Sekunde erst gelangt er mit seiner Familie auf das rettende Schiff, auf dem sich 'zufällig' auch der Fremde befindet - just am Tag des Kriegsausbruchs. So schließt sich der Erzählkreis dieser Geschichten.

Auch wenn diese oftmals etwas holzschnitthaft konstruiert wirken und ihre belehrende Absicht deutlich wird, so sind sie doch immer ergreifend und spannend erzählt. Die Einblicke, die Erika Mann in das deutsche Alltagsleben unter den Nazis bietet, sind bis heute lehrreich: sie erzählen vom wirksamen Gift der Diktatur.

Titelbild

Erika Mann: Wenn die Lichter ausgehen. Geschichten aus dem Dritten Reich.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004.
315 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3498044966

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